Ich brauche mir eine Utopie gar nicht erst in allen Details auszumalen; das Schicksal würde sie obsolet machen. Ich kann auch nicht wirklich selbst bestimmen, welche Stellung ich im Leben erlange. Denn es gibt immer auch eine willkürliche Komponente im Leben, die Planungen bis zu einem gewissen Grad obsolet macht. Heißt das also, dass man sich auf seinen Lorbeeren ausruhen und abwarten soll, was passiert?
Der Heldenmythos besagt: Geh hinaus in die Welt! Stelle dich dem Drachen, hole den Schatz, teile ihn mit deiner Gemeinschaft und führe ein anständiges Leben. Ein zweites Element des Heldenmythos lautet: Stelle dich dem Tyrannen, gehe in die Wüste; schaffe eine neue Struktur, wenn alles auseinanderfällt; finde das versprochene Land. Der Heldenmythos ist göttlich, er ist dem Göttlichen näher als alles, was wir kennen.
Wenn man dem göttlichen Weg folgt, sollte eigentlich alles bestens gelingen, denn Gott ist ja auf deiner Seite. Aber dem ist nicht so; die Dinge geraten eben nicht perfekt. Aber: Du hast immerhin dein Bestes gegeben und deine erfolgreichsten Strategien eingesetzt. Und genau darum geht es.
Drachen wären keine Drachen, wenn sie dich nicht fressen könnten. Das finde ich an den biblischen Geschichten so wertvoll, besonders an der Geschichte Abrahams: dass Gott die Menschen zum Abenteuer ihres Lebens ruft. Gott ist also jene Kraft in dir, die dich zum Abenteuer deines Lebens ruft und dich auffordert: Verlasse deine Familie.
Hätte Abraham zuhause bleiben sollen?
Lasse die blinden, unbewussten Annehmlichkeiten hinter dir und geh verdammt noch mal hinaus in die Welt. Gott ruft Abraham von seinen Vätern und seiner Sippe fort, bei denen er lange und sicher lebte. Als erstes jedoch trifft er auf einen Feind und gerät dann in eine Gewaltherrschaft, wo seine Frau geraubt wird. Man könnte sagen: Abraham hätte zu Hause bleiben und den Ruf Gottes ignorieren sollen. Klar, oder?
Aber so ist es nicht. Denn wir Menschen sind für den Kampf geschaffen. Wir sind dafür gemacht, mit der Welt, mit der Realität zu kämpfen. Das beschreibt Dostojewski in seinen „Aufzeichnungen aus dem Untergrund“. Du suchst die Herausforderung? Dann gib es auf, nach Sicherheit zu streben. Du willst stark werden? Dann stelle dich einer großen Herausforderung, denn sie macht dich stark. Stelle deine Geschicke der Welt anheim und nimm die Irrungen und Wirrungen des Schicksals an. Du magst scheitern und das Glück mag dich verlassen. Aber es ist der beste Weg, um stark zu werden. Aus katastrophalem Versagen kann auch sagenhafter Erfolg entstehen.
Ich meine das nicht naiv. Ich weiß sehr genau, dass auch dies passieren kann: Jemand lebt ein erfolgreiches Leben, erkrankt dann plötzlich an Krebs und stirbt sechs Monate später – und alles Heldentum der Welt kann ihm nicht helfen.
Aber darum geht es nicht. Wir alle müssen sterben. Das heißt nicht, dass man nicht hinaus gehen und kämpfen sollte. Man entwickelt sich durch das Kämpfen weiter und man verringert das Leiden in der Welt. Das ist es, was ein Mann tun muss. Das ist besser, als zu Hause zu liegen, gesund zu werden und jene überflüssigen Dinge zu tun, die Normalbürger tun.
Du kannst nicht wirklich selbst bestimmen, welche Stellung im Leben du erlangst. Aber du kannst immer dein Bestes geben. Und das ist dann gut genug. Der Sinn, den du darin findest, wird dich dauerhaft durch die Stürme des Lebens tragen.
Du kannst Katastrophen nicht aus dem Weg gehen. Aber du kannst dich darauf vorbereiten, in Würde mit ihnen umzugehen, wenn sie dich treffen. Das ist es, was du in der Hand hast.
Dieser Beitrag ist ein Ausschnitt aus den „April 2018 Q & A“. Hier geht’s zum Original-Video auf dem Youtube-Kanal von Jordan B. Peterson