112-Peterson: Wie sinnvoll sind geisteswissenschaftliche Arbeiten?

Im Folgenden geben wir einen Auzug aus einem Gespräch zwischen Jordan B. Peterson, Dr. David M. Haskell und Dr. William McNally wieder:

Peterson: 80 Prozent aller geisteswissenschaftlichen Arbeiten werden kein einziges Mal zitiert.

Haskell: Damit es verständlicher wird: Das bedeutet, dass Wissenschaft betrieben wird, die niemand beachtet.

Peterson: Genau. Denn was bedeutet am Ende ein Zitat? Es bedeutet, dass ich eine wissenschaftliche Arbeit lese und mir eine bestimmte Idee gefällt, die ich benutze, um eine eigene Idee zu untermauern oder mich von Ansichten zu befreien oder in diesem Zusammenhang Kritik zu üben. Und dann zitiere ich die betreffende Person, ich gebe an, wer sie ist, wann ihr Text veröffentlicht wurde und wende mich ihrem Artikel zu. Es wird viel Verwaltungsaufwand betrieben, um den Überblick über Zitate zu behalten, und zitiert zu werden ist ein hohes Indiz für akademische Kompetenz. Fast wie eine akademische Bezahlung. Wenn aber 80 Prozent aller geisteswissenschaftlichen Arbeiten kein einziges Mal zitiert werden, dann ist das ein absolutes Scheitern.

Haskell: Man könnte fast ein Spiel daraus machen. Man schaut sich die Titel der Veröffentlichungen von Professoren eines bestimmten Bereichs an und überprüft, ob die Titel alle gleich klingen. Und wenn sich alles um Intersektionalität, Kolonialismus und ähnliche Begriffe sozialer Gerechtigkeit dreht, kann man sich fragen: „Wird mir denn von jedem dieser Professoren immer und immer wieder dieselbe Lektion erteilt? Denn ihre gesamte Forschung scheint ja sehr ähnlich zu sein.“ Wie kann das sein, wenn es doch so ein breites Wissen auf der Welt gibt, dass wir eine so große Ähnlichkeit zwischen den Publikationen feststellen, sodass man sich am Ende fragen muss: „Warum muss ich eigentlich das Zeug meiner Kollegen lesen, wenn es doch meinem eigenen gleicht?“ Das müssen wir ja feststellen. Jordan, nur zur Orientierung: Wie oft wird Deiner Meinung nach jemand insgesamt zitiert, der gute wissenschaftliche Arbeit geleistet hat?

Peterson: Tausende Male. Eine großartige Veröffentlichung bringt ungefähr 100 Zitate, eine herausragende, überwältigende Publikation wird 1.000 Zitate hervorbringen. 10 ist schon mal nicht schlecht, damit kann man anfangen, aber gar keine ... Null bedeutet Scheitern. Es bedeutet, dass Deine Arbeit null Auswirkungen hat, es bedeutet, dass Deine Arbeit nicht das Papier wert ist, auf dem sie gedruckt wurde.

Dies führt uns wiederum zu einem interessanten Punkt hinsichtlich der Fäulnis in Universitäten (...) Es scheint folgerndermaßen zu laufen: Wir legen einen kleinen ideologischen Garten an, in dem 10 Leute spielen. Wir alle publizieren in derselben Zeitschrift, und wir betreiben untereinander Peer-Review (wissenschaftliche Qualitätssicherung für Texte, Anm. d. Red.) für die Artikel und veröffentlichen sie einfach. Es gibt keine oder kaum Kritik, sodass die Schwelle für eine Veröffentlichung sehr, sehr niedrig ist, obwohl sie sehr hoch sein sollte. Eigentlich selbstverständlich für eine gute Zeitung. Eine gute Zeitung sollte 90 Prozent aller eingereichten Beiträge ablehnen.

Also spielen Ablehnungsraten eine große Rolle. Die Frage ist, warum werden Arbeiten veröffentlicht, wenn sie doch niemand liest und sie keinen Nutzen haben? Und die Antwort darauf lautet, ganz direkt: Besagte Journale sind sehr teuer, sie sind viel teurer, als sie sein sollten. Für eine gewöhnliche Person kostet eine einzige wissenschaftliche Arbeit im Netz im Schnitt 40 Dollar, mehr als ein Hardcover-Buch. Nur, um ein PDF herunterladen zu können. Die Zeitschrift selbst, in dem Fall die Publikation, genauso wie ein Abo ist also sehr teuer. Doch die Bibliotheken sind voll damit. Denn die Professoren drängen die Universitäts-Bibliotheken dazu, ihre Veröffentlichungen zu kaufen, und die Bibliothek finanziert die Verlage. Also veröffentlichen die Verlage alles mögliche. Der Routledge-Verlag ist ein gutes Beispiel hierfür. Zu meinem eigenen Bedauern, denn sie haben mein erstes Buch herausgebracht und waren damals ein toller Verlag. Heutzutage veröffentlichen sie fast alles. Und das nur, weil die Bibliotheken gezwungen werden, radikal überhöhte Preise für Veröffentlichungen zu bezahlen, die niemand jemals liest. Also schreiben Leute, um in Zeitschriften veröffentlicht zu werden, die Bibliotheken zu Wucherpreisen kaufen müssen und produzieren somit Wissen, das niemand jemals lesen wird.

Dies ist ein Auzug aus einem Gespräch zwischen Jordan B. Peterson, Dr. David M. Haskell und Dr. William McNally. Hier geht's zum Auszug und hier zum gesamten Gespräch.

Foto: jordanbpeterson.com

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Andreas Frick / 31.07.2019

Das läuft in anderen Bereichen aber genauso. Zitierkartelle sind normal, und das Peer Review sorgt dafür, daß keine abweichenden Ansichten durchkommen, sondern nur der wissenschaftliche Mainstream. Das Problem ist auch, daß man heute dauernd veröffentlichen muß, sonst ist man weg. Das System der Zeitschriften ist heute krank. Wir brauchen Plattformen im WWW, auf denen man Artikel veröffentlichen kann, und dann kann jeder kommentieren und bewerten. Dann sieht man sehr schnell, wer gut ist.

Dieter Kief / 31.07.2019

Universitäten haben sehr viele Funktionen. Wissen finden, erkennen, begründen, ist eine davon. Status zu verschaffen, Lohn und Brot zu geben noch eines weitere. Die Frage ist, wieviel man für derlei als Gesellschaft ausgeben will. Genau wie bei den Öffis. Toll: Die Öffi-Reformen in der Schweiz (direkte Demokratie wirkt!) und - in Dänemark. Beides Reformen, die die Öffis in CH und D zurückschneiden. Der nächste Bereich, wo diese Förderproblematik auftritt, ist der der Stiftungen. Hier bei den Stiftungen passiert ebefalls sehr viel durch indirekte öffentliche Finanzierung (im Wege der Erbschaftssteuervermeidung, insbesondere), sehr viel passiert hier, sag’ ich,  das insgesamt nichts bringt oder schadet (Kahane-Stiftung - nicht zuletzt mit Geld der Autozulieferer-Dynastie Freudenberg in Weinheim, wenn ich recht sehe). Demnächst kommen die Zeitungen, wie ich fürchte, die öffentliches Geld verlangen.

Wolfgang Kaufmann / 31.07.2019

Klassische Wissenschaft lebt von verifizierbaren oder falsifizierbaren Thesen, tertium non datur. Dieser binäre Wahrheitsbegriff ist freilich so überholt wie die Lehre von den binären Geschlechtern. – Kuschelwissenschaften hingegen leben davon, dass schon alles gesagt wurde, nur noch nicht von allen. Jede Aussage ist gleich viel wert wie ihr Gegenteil, vor lauter Diskursen und Konstrukten gibt es keine Fakten mehr. – Doch durch die Beliebigkeit der Aussagen hört die Welt nicht auf zu existieren. „»Na prima«, sagt der Mensch, »das war ja einfach«, und beweist, weil’s gerade so schön ist, dass schwarz gleich weiß ist, und kommt wenig später auf einem Zebrastreifen unter die Räder.“

Gereon Stupp / 31.07.2019

»80 Prozent aller […]wissenschaftlichen Arbeiten« Worum geht es hier? Schließen die 100% der Arbeiten auch die zum erfolgreichen Abschluß eines Hochschulstudium nötigen Studien-, Diplom-, Magisterarbeiten ein? Promotionen auch? — Dann sind 20% kein schlechter Wert, denn ein Hochschulstudium dient in den allermeisten Fällen ja nicht dazu, wissenschaftlich zu arbeiten, sondern einen höheren Sozial- und Berufsstatus und damit ein höheres Gehalt erzielen zu können. In einer Gesellschaft, in der sagen wir 1910 etwa 8 v. H. eines Jahrgangs eine höhere Schule besuchen konnten/durften, bedeutet bereits das Abitur, zu einer Elite zu gehören. Ein Hochschulstudium beschränkte sich dann auf vielleicht 5-6 % dieses Jahrgangs, von denen am Ende ~5 %, also 0,25 bis 0,3 % tatsächlich im ‘wissenschaftlichen Betrieb’ hängenblieben. Heute besuchen 70% eines Jahrgangs (bitte nageln Sie mich nicht auf exakten Zahlen fest) eine höhere Schule und erlangen die Hochschulreife. Davon studieren sagen wir ebenfalls 70%, vermutlich sogar mehr, weil andere Berufsausbildungen ganz bewußt madig gemacht werden. Und diese 49% eines Jahrgangs müssen – der Form halber – irgendwelche wissenschaftlichen Arbeiten erstellen, um zum Abschluß zu gelangen. Wer sollte, und warum, diesen Mist zitieren? Hinterher landen sie dann als Gruppen- oder Abteilungsleiter auf Stellen, für die etwas gesunder Menschenverstand, emotionale Intelligenz und eine intakte Persönlichkeit nicht nur völlig ausreichend sondern (leider) auch nötig sind. Ob sie diese Eigenschaften mitbringen, wurde in ihrem Leben jedoch nie abgefragt. Was im Umkehrschluß selbstverständlich nicht heißen soll, daß sie sie nicht haben können. Die Inflation der akademischen Ausbildung führt nicht zu höherer Bildung, sondern nur zu mehr Lametta auf den Schulterklappen. Der homo sapiens (meist weniger) sapiens ist der gleiche, der auch schon die Statik der Pyramiden berechnet hat. Und die stehen, ganz im Gegensatz zum Berliner Flughafen, bis heute.

Wolfgang Häusler / 31.07.2019

Das heisst, eigentlich interessiert sich nur vroniplag für viele dieser Schwafelfdoktorarbeiten zur Erlangung von Titeln,  die Potenzersatz sind für Leute, die sich keinen Porsche leisten können?

Sebastian Weyrauch / 31.07.2019

Mein damaliger TM Prof. tätigte regelmäßig die Feststellung, dass es meist keine Wissenschaft sei, wenn es selbige im Namen führt. Gut drei Jahrzehnte später bin ich völlig überzeugt, dass die absolute Wahrheit dem Mann jedes Jahr ein weiteres großes Stück entgegen kommt.

Rolf Lindner / 31.07.2019

Ein Teil dieser Bibliothekenfüllkörper hat die Aufgabe, der Verfasserin (manchmal auch dem Verfasser) einen Abschluss oder gar Titel zu verschaffen. Zitiert werden die öfter als man denkt - z.B. von Vroniplag.

Petra Wilhelmi / 31.07.2019

Ich denke, dass wir nicht auf Geistes- und Sozialwissenschaften herabschauen sollten. Eine umfassend gebildete Nation muss auch Wissenschaftler in dieser Richtung haben. Große Denker in der Vergangenheit haben viel für unser heutiges Denken geleistet. Schließlich gehören auch Literaturwissenschaften, Sprachwissenschaften, Kulturwissenschaften, Altertumswissenschaften u.ä. zu diesen Bereichen. Das viele heute geringschätzig auf diese Studienrichtungen schauen, ist der Überzahl an Studenten zu verdanken, die sonst nichts anderes wegen Bildungsmangel studieren könnten. Mit einer großen Überzahl nicht studienreifer Abiturienten, die in diese Fächer ausgewichen sind, wird das Niveau der Lehre ins Bodenlose gestürzt. Damit ja alle studieren können, die das wollen, wurde sogar jetzt noch der Genderismus als Studienfach ausgewiesen, obwohl dieser nichts vorzuweisen hat, als Männer und Frauen gegeneinander zu hetzen. Dazu kommt noch die Ideologisierung der geisteswissenschaftlichen Fächer. In der DDR haben wir das auch schon umfassend erlebt, dass z.B. ein Kulturwissenschaftler eben mit seiner Diplomarbeit durchfiel, weil die Gedanken nicht zum damaligen sozialistischen Denken passte. Vor dieser Situation stehen wir wieder. Die Studienrichtungen als solche sind daran unschuldig. Schuldig ist die Ideologisierung in der heutigen Zeit. Dazu kommt noch, dass heutzutage in den Universitäten in diesen Studienrichtungen keine offene Diskussion mehr ermöglicht wird. Das senkt zusätzlich das Niveau. Das Niveau des Abiturs muss hoch geschraubt werden, damit nicht jeder, der nicht weiß, was er mit seinen Leben anfangen soll, animiert wird, diese Studienfächer zu belegen. Diese Studienrichtungen müssen auch entideologisiert werden und der Zugang dürfte nur noch auf hohem Bildungsniveau ermöglicht werden. Gendergaga sollte aus den Universitäten herausgehalten werden.

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