Wenn man versucht, der politischen Korrektheit auf den Grund zu gehen, sollte man zuerst versuchen herauszufinden, ob es so etwas überhaupt gibt. Denn wenn man sich den politischen Dialog anschaut, stellt man fest, dass die Leute auf der Seite des politischen Spektrums, die als politisch korrekt definiert wurden, dazu neigen zu sagen, dass es keine politische Korrektheit gäbe und diese Kategorie nur ein abwertender Begriff sei, der von Leuten erfunden wurde, die alternative politische Meinungen haben. Und so ist die erste Frage: Was meinen wir damit, dass es politische Korrektheit gibt? Was meinen wir mit „existieren“? Woran erkennen wir, ob ein psychologisches Konzept real ist? Beispielsweise, ob Wut etwas ist, das objektiv existiert?
Ist „Wut“ auf ein objektives Phänomen zurückzuführen? Das ist nicht so einfach zu bestimmen. Wir tun so, als wäre „Wut“ ein leicht zu definierender Begriff. Wir verstehen, was „Wut“ bedeutet. Aber niemand läuft herum und sagt „Wut“, ohne diese näher zu erklären, sonst würde sich kein Mensch mit solch einer Äußerung abgeben. Wir platzieren das Wort „Wut“ in einem Satz und bauen den Satz in ein Gespräch ein, um es unserem Gegenüber somit zu ermöglichen, genau zu erkennen, was wir mit dem Wort „Wut“ meinen, da es sich aus dem näheren Kontext ergibt.
Und wenn wir den Begriff „Wut“ in einen objektiven Begriff verwandeln wollen, dann greift man sich das Wort „Wut“ heraus und stellt die Hypothese auf, dass es etwas Reales in der objektiven Welt repräsentiere. Es ist jedoch nicht so einfach festzustellen, ob etwas existiert, besonders wenn es sich um ein psychologisches Phänomen in der realen Welt handelt. Nochmal: Was meinen wir mit „existieren“? Das ist das Problem der Validierung eines Konstruktes. „Konstrukt“ wäre der nächste Begriff, den man kennen sollte, wenn man sich für experimentelle Psychologie interessiert. Ein Konstrukt ist die Darstellung von etwas Psychologischem, das hypothetisch objektiv existiert. Wie stellt man seine Existenz nun objektiv fest?
Voreingenommenheit in Messinstrumente einbauen
Genauso gut könnten wir fragen, ob „Angst“ existiert? Wir haben das Problem mit allen emotionalen Begriffen. Existiert Freude, Überraschung, Verlegenheit, Schuld, Scham, wie ist das alles miteinander verwandt? Schuld und Scham, zum Beispiel, scheinen einander sehr ähnlich zu sein. Und Schmerz, Angst und Wut, scheinen alle die Eigenschaft von unangenehmen und negativen Emotionen zu teilen. Wenn etwas existiert, dann sollte es manchen Dinge gleichen und sich von anderen Dingen unterscheiden. Dies ist auch ein Teil der Konstrukt-Validierung. Wut sollte beispielsweise eindeutig von Freude unterscheidbar sein, sonst gäbe es zwischen diesen beiden Emotionen ja keinen Unterschied. Und Wut und Angst sollten sich in gewisser Hinsicht ähneln, wenn es sich bei beiden um negative Emotionen handelt. Daran erkennt man, wie außerordentlich komplex es ist, ein Konstrukt zu validieren.
Nun kommen wir also zur politischen Korrektheit. Der Grund, warum ich überhaupt die politische Korrektheit als Beispiel benutze, ist der, dass sie eine Plattform bietet, auf der eigennützige Voreingenommenheit in die wissenschaftliche Arena einmarschieren kann. Egal, ob ich nun etwas über politische Korrektheit oder über Faschismus herausfinden wollte, ich könnte meine Voreingenommenheit wie zufällig in meine Messinstrumente einbauen, und dann würden sie als Ergebnis das produzieren, was ich ihnen zuvor eingeschrieben habe. Davor sollte ich mich schützen wollen, wenn es mir wirklich darum geht, meine wissenschaftliche Untersuchung richtig durchzuführen.
Als wir also das Maß bestimmten, mittels dessen wir politische Korrektheit ausfindig machen wollten, gingen wir folgendermaßen vor: Wir beauftragten eine Anzahl von Leuten damit, so viele Nachrichten-Quellen durchzugehen, wie sie in die Hände bekommen konnten, um jede Einstellung oder jedes Verhalten, das von irgendjemandem als potentiell politisch korrekt beschrieben wurde, zu identifizieren. Das Vorgehen war also in gewisser Hinsicht agnostisch und wir versuchten, es so zufällig wie möglich zu gestalten, um so viele neue Quellen wie möglich zu bekommen, sodass wir weitestgehend unvoreingenommen Proben nahmen.
Es gibt eine zweifache politische Korrektheit
Auf diese Weise kamen wir schließlich auf ein paar hundert Punkte, die grob auf das hindeuteten, was man als politisch korrekt bezeichnen könnte. Aber das reicht natürlich noch nicht, denn diese willkürliche Zusammenstellung von Merkmalen zeigt überhaupt nicht an, dass sie alle etwas Ähnliches messen, das ist einfach implizit. Diese Punkte werden alle als politische Korrektheit bezeichnet, aber man weiß nicht, ob diese Einstellungen kovariant sind. Das bedeutet: Wenn auf eine Person ein Merkmal der Liste zutrifft, gibt es eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein weiteres oder mehrere Attribute (auf der Liste, Anm.d.Red.) ebenfalls zutreffen? Genauso verhält es sich mit der bedingten Wahrscheinlichkeit: Besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch mehrere der genannten Eigenschaften besitzt, wenn er eine davon besitzt?
Kann man das mit einer Faktorenanalyse herausfinden? Wir haben daraus am Ende einen Fragebogen mit verschiedenen Fragetypen gemacht. Diesen haben wir dann an mehrere hundert Leute verteilt, haben eine Faktorenanalyse durchgeführt und festgestellt, dass es tatsächlich so etwas wie politische Korrektheit gibt. Denn die Fragen hingen zusammen, die Probanden haben sie zuverlässig auf vorhersehbare Art und Weise beantwortet. Dabei kristallisierten sich jedoch zwei Dimensionen heraus, die sich sehr voneinander unterschieden.
Demnach scheint es nicht nur eine politische Korrektheit zu geben, sondern zwei. Wir schauten uns schließlich die Persönlichkeitsprädiktoren und die IQ-Prädiktoren an, und eine Vielzahl anderer Prädiktoren, die es uns ermöglichen würden, zu einem gewissen Verständnis der Temperaments-Neigungen zu kommen, die mit diesen politischen Einstellungen einhergingen, sofern es sie überhaupt gab.
Wir wussten bereits, dass politisch Konservative dazu tendieren, wenig offen zu sein, also einen geringen Wert in der Kreativitäts-Dimension zu zeigen, sich dafür aber durch Gewissenhaftigkeit auszeichnen (Persönlichkeitsmerkmale nach dem Big-Five-Modell, Anm.d.Red.). Wohingegen Linksliberale dazu neigen, viel Offenheit und wenig Gewissenhaftigkeit zu zeigen. Aus der Perspektive des Big-Five-Persönlichkeitsmodells ist außerordentlich interessant zu wissen, dass unsere politischen Neigungen sehr stark von unserem Temperament beeinflusst werden.
Eines der Dinge, die man im Hinblick auf laufende politische Diskussionen in der realen Welt im Hinterkopf behalten sollte, ist, dass diese Diskussionen eigentlich Versuche von Menschen mit unterschiedlichem Temperamenten sind, erstens ihre jeweiligen temperamentsbegründeten Standpunkte der Welt aufzuzwingen und zweitens, einen Dialog mit Menschen zu führen, die eigentlich ganz anders sind als sie.
Dies ist ein Auszug aus einer Vorlesung von Jordan B. Peterson. Hier geht's zum Auszug und hier zur gesamten Vorlesung.