112-Peterson: Wie beweist man, dass politische Korrektheit existiert?

Wenn man versucht, der politischen Korrektheit auf den Grund zu gehen, sollte man zuerst versuchen herauszufinden, ob es so etwas überhaupt gibt. Denn wenn man sich den politischen Dialog anschaut, stellt man fest, dass die Leute auf der Seite des politischen Spektrums, die als politisch korrekt definiert wurden, dazu neigen zu sagen, dass es keine politische Korrektheit gäbe und diese Kategorie nur ein abwertender Begriff sei, der von Leuten erfunden wurde, die alternative politische Meinungen haben. Und so ist die erste Frage: Was meinen wir damit, dass es politische Korrektheit gibt? Was meinen wir mit „existieren“? Woran erkennen wir, ob ein psychologisches Konzept real ist? Beispielsweise, ob Wut etwas ist, das objektiv existiert?

Ist „Wut“ auf ein objektives Phänomen zurückzuführen? Das ist nicht so einfach zu bestimmen. Wir tun so, als wäre „Wut“ ein leicht zu definierender Begriff. Wir verstehen, was „Wut“ bedeutet. Aber niemand läuft herum und sagt „Wut“, ohne diese näher zu erklären, sonst würde sich kein Mensch mit solch einer Äußerung abgeben. Wir platzieren das Wort „Wut“ in einem Satz und bauen den Satz in ein Gespräch ein, um es unserem Gegenüber somit zu ermöglichen, genau zu erkennen, was wir mit dem Wort „Wut“ meinen, da es sich aus dem näheren Kontext ergibt.

Und wenn wir den Begriff „Wut“ in einen objektiven Begriff verwandeln wollen, dann greift man sich das Wort „Wut“ heraus und stellt die Hypothese auf, dass es etwas Reales in der objektiven Welt repräsentiere. Es ist jedoch nicht so einfach festzustellen, ob etwas existiert, besonders wenn es sich um ein psychologisches Phänomen in der realen Welt handelt. Nochmal: Was meinen wir mit „existieren“? Das ist das Problem der Validierung eines Konstruktes. „Konstrukt“ wäre der nächste Begriff, den man kennen sollte, wenn man sich für experimentelle Psychologie interessiert. Ein Konstrukt ist die Darstellung von etwas Psychologischem, das hypothetisch objektiv existiert. Wie stellt man seine Existenz nun objektiv fest?

Voreingenommenheit in Messinstrumente einbauen

Genauso gut könnten wir fragen, ob „Angst“ existiert? Wir haben das Problem mit allen emotionalen Begriffen. Existiert Freude, Überraschung, Verlegenheit, Schuld, Scham, wie ist das alles miteinander verwandt? Schuld und Scham, zum Beispiel, scheinen einander sehr ähnlich zu sein. Und Schmerz, Angst und Wut, scheinen alle die Eigenschaft von unangenehmen und negativen Emotionen zu teilen. Wenn etwas existiert, dann sollte es manchen Dinge gleichen und sich von anderen Dingen unterscheiden. Dies ist auch ein Teil der Konstrukt-Validierung. Wut sollte beispielsweise eindeutig von Freude unterscheidbar sein, sonst gäbe es zwischen diesen beiden Emotionen ja keinen Unterschied. Und Wut und Angst sollten sich in gewisser Hinsicht ähneln, wenn es sich bei beiden um negative Emotionen handelt. Daran erkennt man, wie außerordentlich komplex es ist, ein Konstrukt zu validieren.

Nun kommen wir also zur politischen Korrektheit. Der Grund, warum ich überhaupt die politische Korrektheit als Beispiel benutze, ist der, dass sie eine Plattform bietet, auf der eigennützige Voreingenommenheit in die wissenschaftliche Arena einmarschieren kann. Egal, ob ich nun etwas über politische Korrektheit oder über Faschismus herausfinden wollte, ich könnte meine Voreingenommenheit wie zufällig in meine Messinstrumente einbauen, und dann würden sie als Ergebnis das produzieren, was ich ihnen zuvor eingeschrieben habe. Davor sollte ich mich schützen wollen, wenn es mir wirklich darum geht, meine wissenschaftliche Untersuchung richtig durchzuführen.

Als wir also das Maß bestimmten, mittels dessen wir politische Korrektheit ausfindig machen wollten, gingen wir folgendermaßen vor: Wir beauftragten eine Anzahl von Leuten damit, so viele Nachrichten-Quellen durchzugehen, wie sie in die Hände bekommen konnten, um jede Einstellung oder jedes Verhalten, das von irgendjemandem als potentiell politisch korrekt beschrieben wurde, zu identifizieren. Das Vorgehen war also in gewisser Hinsicht agnostisch und wir versuchten, es so zufällig wie möglich zu gestalten, um so viele neue Quellen wie möglich zu bekommen, sodass wir weitestgehend unvoreingenommen Proben nahmen.

Es gibt eine zweifache politische Korrektheit

Auf diese Weise kamen wir schließlich auf ein paar hundert Punkte, die grob auf das hindeuteten, was man als politisch korrekt bezeichnen könnte. Aber das reicht natürlich noch nicht, denn diese willkürliche Zusammenstellung von Merkmalen zeigt überhaupt nicht an, dass sie alle etwas Ähnliches messen, das ist einfach implizit. Diese Punkte werden alle als politische Korrektheit bezeichnet, aber man weiß nicht, ob diese Einstellungen kovariant sind. Das bedeutet: Wenn auf eine Person ein Merkmal der Liste zutrifft, gibt es eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein weiteres oder mehrere Attribute (auf der Liste, Anm.d.Red.) ebenfalls zutreffen? Genauso verhält es sich mit der bedingten Wahrscheinlichkeit: Besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch mehrere der genannten Eigenschaften besitzt, wenn er eine davon besitzt?

Kann man das mit einer Faktorenanalyse herausfinden? Wir haben daraus am Ende einen Fragebogen mit verschiedenen Fragetypen gemacht. Diesen haben wir dann an mehrere hundert Leute verteilt, haben eine Faktorenanalyse durchgeführt und festgestellt, dass es tatsächlich so etwas wie politische Korrektheit gibt. Denn die Fragen hingen zusammen, die Probanden haben sie zuverlässig auf vorhersehbare Art und Weise beantwortet. Dabei kristallisierten sich jedoch zwei Dimensionen heraus, die sich sehr voneinander unterschieden.

Demnach scheint es nicht nur eine politische Korrektheit zu geben, sondern zwei. Wir schauten uns schließlich die Persönlichkeitsprädiktoren und die IQ-Prädiktoren an, und eine Vielzahl anderer Prädiktoren, die es uns ermöglichen würden, zu einem gewissen Verständnis der Temperaments-Neigungen zu kommen, die mit diesen politischen Einstellungen einhergingen, sofern es sie überhaupt gab.

Wir wussten bereits, dass politisch Konservative dazu tendieren, wenig offen zu sein, also einen geringen Wert in der Kreativitäts-Dimension zu zeigen, sich dafür aber durch Gewissenhaftigkeit auszeichnen (Persönlichkeitsmerkmale nach dem Big-Five-Modell, Anm.d.Red.). Wohingegen Linksliberale dazu neigen, viel Offenheit und wenig Gewissenhaftigkeit zu zeigen. Aus der Perspektive des Big-Five-Persönlichkeitsmodells ist außerordentlich interessant zu wissen, dass unsere politischen Neigungen sehr stark von unserem Temperament beeinflusst werden.

Eines der Dinge, die man im Hinblick auf laufende politische Diskussionen in der realen Welt im Hinterkopf behalten sollte, ist, dass diese Diskussionen eigentlich Versuche von Menschen mit unterschiedlichem Temperamenten sind, erstens ihre jeweiligen temperamentsbegründeten Standpunkte der Welt aufzuzwingen und zweitens, einen Dialog mit Menschen zu führen, die eigentlich ganz anders sind als sie.

Dies ist ein Auszug aus einer Vorlesung von Jordan B. Peterson. Hier geht's zum Auszug und hier zur gesamten Vorlesung.

Foto: jordanbpeterson.com

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Leserpost

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Stephan Bender / 03.06.2020

“Was meinen wir damit, dass es politische Korrektheit gibt?”—- Wir meinen damit, dass die Schwerkraft die Menschheit unterdrückt, weil sie durch diese ständig auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wird. Diese Art der Diskriminierung muss endlich ein Ende haben!

Karl-Heinz Vonderstein / 03.06.2020

Auf Twitter gab es jetzt den Hashtag #rassismusgegenweiße.Fast alle Kommentare oder Tweets dazu, die ich las, empörten sich darüber und behaupteten, es gäbe keinen Rassismus gegen Weiße.So als hätten nur Weiße das Patent zu Rassismus.Drei User meinten auch, es gäbe keine heterophobie von Homosexuellen.Woher wissen die das alles? Was mich an solchen Leuten stört ist, dass sie es mit ihrem Gutsein übertreiben.

Werner Arning / 03.06.2020

Politische Korrektheit ist immer dann vonnöten, wenn natürlich auftretende Gefühle unterdrückt werden sollen, zugunsten einer Meinung, die diesen Gefühlen häufig entgegensteht. Eine bestimmte Gruppe entscheidet, dass eine bestimmte Meinung die korrekte Meinung sei, die sich jeder zueignen zu machen habe. Vertraut eine Person stattdessen beispielsweise ihrem Gefühl (und Verstand), welches die Person zu dem Schluss kommen lässt, dass diese korrekte Meinung eine falsche Meinung ist, dass diese Meinung nicht mit den Tatsachen einhergeht, dann kommt an dieser Stelle die politische Korrektheit ins Spiel. Mit ihrer Hilfe und unter „ihrem“ moralischen Druck soll „der Anzweifler“ gefügig gemacht werden. Seine Gefühle (und sein Verstand) sollen angepasst werden, wenn auch oft nur auf oberflächliche Weise. Es gilt, ihn „zu überzeugen“, dass seine Gefühle falsch sind, dass er besser etwa den Gefühlen „der Mehrheit“ (Statistiken) trauen sollte. Dabei wird sanfter bis offenkundiger Druck angewandt. Schafft man seine Gefühle in die Form zu bringen, die den eigenen Zielen dienlich ist, hat man mithilfe der politischen Korrektheit „Macht“ über die Gefühlswelt des Protagonisten errungen. Er schämt sich dann seiner wahren Gefühle und passt seine Gefühle an. Dieses geschieht nur mit einem gewissen Maß an inneren Zwang. Zwang erzeugt unterdrückte Wut. Nun gilt es, diese unterdrückte Wut gegen ein neues Objekt zu richten. Etwa gegen „Rechte“ oder gegen Trump oder gegen „Reiche“ oder gegen „Corona-Leugner“. Denn gelingt es nicht, der Wut ein neues Ventil zu verschaffen, mag sich früher oder später die Wut gegen die Gruppe derer richten, die die Maßstäbe der (erfundenen) politischen Korrektheit setzt. Das muss verhindert werden, deshalb werden neue Feindbilder bereitgestellt. Die Feindbilder werden über Massenmedien verbreitet. Ist man „erfolgreich“, „hasst“ der Protagonist am Ende diejenigen, die die anfänglich empfundenen Gefühle und Gedankengänge des Protagonisten teilen.

Dieter Kief / 03.06.2020

Das Gegenmittel zur PC ist die freie Rede. Deshalb hat der England-Korrespndent der australischen online-Wissenschaftszeitschrift Quillette - äh - deshalb hat dieser Mann, Toby Young, - ohh: Toby Young und Quillette und Jordan Peterson ziehen nota bene an einem Strang, es sind das allesamt brave Aufklärer, also deshalb hat Toby Young in England die Gewerkschaft der freien Rede gegründet! - Wunderbar!  - Genauso doll wie Jonathan Haidts freie wissenschafts-Organisation Heterodox Society. - Auch Haidt und Peterson sind Bundesgenossen. Top!

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