112-Peterson: Was ist es, was Dich packt?

Eine Reihe von Autoren hat mich stark beeinflusst. Zu ihnen gehört natürlich Carl Jung. Wie Friedrich Nietzsche schrieb er Dinge, die einen, wenn man sie versteht, in Stücke reißen. Eines der Dinge, die Jung – und Psychoanalytiker im Allgemeinen – verstanden haben, ist eng mit dem religiösen Denken verbunden. Es ist die schreckliche Erkenntnis, dass Du nicht Herr im eigenen Hause bist. Es gibt Geister, die in Dir wohnen. Du hast zwar einen eigenen Willen und kannst in gewissem Maße bewusste Kontrolle über deine Existenz ausüben. Aber es gibt alle möglichen Dinge in Dir, die außerhalb Deines Einflussbereichs zu liegen scheinen.

Deine Träume, zum Beispiel, oder Deine Impulse. Sie kommen Dir oft fremd vor. So fremd, dass Du nicht einmal willst, dass sie ein Teil von Dir sind. Subtiler ist es bei den persönlichen Interessen, bei den Dingen, die Dich antreiben. Wo kommen die her? Du kannst sie nicht aus eigenem Antrieb heraufbeschwören. Wenn Du Student bist und einen schwierigen Kurs belegst, könntest Du zu Dir selbst sagen: „Ich muss mich hinsetzen und drei Stunden lernen.“ Aber das wird nicht passieren. Alle möglichen Dinge werden Deine Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Wenn alle möglichen Dinge Deine Aufmerksamkeit erregen, könnte man berechtigterweise fragen: Wessen Aufmerksamkeit ist es dann? Du sagst, es sei Deine Aufmerksamkeit. Aber wenn es Deine Aufmerksamkeit ist, müsstest Du sie kontrollieren können. Aber das kannst Du eben nicht. Das führt zu der Frage: „Was zum Teufel kontrolliert meine Aufmerksamkeit?“. Man könnte zu dem Schluss gelangen, dass es vom Zufall abhängt. Aber das wäre sehr schlecht. Denn sprunghafte, wahllose Aufmerksamkeit gehört zu den Symptomen von Schizophrenie.

Es handelt sich nicht um Zufall. Die Aufmerksamkeit wird von Phänomenen angetrieben, die man sich meiner Meinung nach am besten wie Unterpersönlichkeiten vorstellen muss. Aber selbst das ist nur eine Teilerklärung. Man kann sich nicht dazu zwingen, sich für etwas interessieren. Das Interesse manifestiert sich und packt Dich. Das ist etwas ganz anderes.

Unsere Interessen treiben uns voran

Also was ist es, was Dich packt? Wie konzeptualisiert man das? Ist es eine göttliche Kraft? Nun, für Dich ist es göttlich, weil es Dich packt und Du nichts dagegen tun kannst. Menschen fühlen sich dazu berufen, das zu tun, was sie antreibt und was sie interessiert. Das kann manchmal sehr düster sein. Aber unsere Interessen treiben uns voran. 

Es gibt etwas jenseits von Dir selbst, was Dich dazu bringt, Deine Heimat und Dein Elternhaus und die Geborgenheit Deiner Kindheit zu verlassen. Etwas, das über Dir steht und auf das Du hörst. Man kann sich weigern, das „Gott“ zu nennen, und das ist in Ordnung. Denn es spielt keine Rolle, wie genau man es nennt. Es existiert einfach.

Natürlich kannst Du es ignorieren. Aber ich war Kliniker und habe mit genügend Leuten in meinem Alter gesprochen um mit absoluter Gewissheit sagen zu können: Wenn Du nicht Deiner Berufung folgst, wirst Du einen unvorstellbar hohen Preis dafür zahlen. Alles an Deinem Leben wird schrecklich und nichts wird gut sein. Und schlimmer noch: Du wirst wissen, dass es Deine Schuld war und dass Du vergeudet hast, was hätte Deins sein können.

Dieser Beitrag ist ein Ausschnitt aus dem Vortrag „Biblical Series IX: The Call to Abraham“. Hier geht’s zum Original-Vortrag auf dem YouTube-Kanal von Jordan B. Peterson.

Foto: jordanbpeterson.com

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Test 45: 49550

Alexander Till / 09.05.2018

Handeln und das darauf folgende Bewusstsein desselben ist immer nur ein kleiner Rinnsal aus dem Stillstand des Gedächtnisses. Und dieses große, tiefe Meer muss man nicht Gott nennen.

Frank Meier / 09.05.2018

Mir kommt Peterson mehr und mehr wie ein evangelikales U-Boot vor.

Peter Zentner / 09.05.2018

Kompliment zu dieser Übersetzung, to whoever did it! Wer Jordan B. Petersons Live-Mitschnitte kennt, weiß um seine meilenlangen Sätze, frappanten Gedankensprünge, eingeschobenen Quer- und Literaturverweise, deren kognitive Brillanz sich erst im Verlauf seiner oft mehrstündigen Vorträge offenbart. Keine Frage, dass ich sein erklärter Fan bin. || Aber kleine Ausschnitte daraus zu wählen, sie in strukturiertes, verständliches Deutsch zu übertragen, so dass wenigstens ein Teil seines Denkens und Lehrens klar rüberkommt — das ist ein mühsames Handwerk, um nicht zu sagen: Sprachkunst.

Werner Arning / 09.05.2018

Das Ausgeführte scheint darauf hinzudeuten, dass es zwei Ichs geben könnte. Einmal das vordergründige Ich, welches aufgrund von Bedingungen, vorgefundenen Einflüssen, denen ich in frühester Kindheit und danach ausgesetzt war, entstanden ist. Dieses Konstrukt ist möglicherweise nicht das „ganze“ Ich. Und könnte es unsere Aufgabe sein, das von Einflüssen geformte Ich nicht als das eigentliche zu akzeptieren, sondern das, was man in Religionen als Seele bezeichnete, zu entdecken? Es ist deshalb wichtig die Regungen unseres Unterbewusstseins zu beobachten, sozusagen als Hinweise zu betrachten, die uns dabei helfen, uns zu diesem versteckten (geheimen) Ich zu führen? Wozu das Ganze? Weil es die Seele ist, die (nach einigen Religionen) ewig lebt. Dann wäre es von Vorteil, ihre Bekanntschaft zu machen, während das konstruierte Ich zusammen mit dem Körper von der Bildfläche verschwinden wird. Viele halten derartige Gedanken für Zeitverschwendung, da man sich auf nicht überprüfbares Terrain begibt. Ob man die Fragestellung für Unfug hält, muss jeder für sich sich entscheiden.

Petra Meinhardt / 09.05.2018

Auch eine wegradierte Schrift auf einem Blatt Papier hinterlässt ihre Spuren. Mit dem menschlichem Bewusstsein wird es unter Umständen nicht anders sein.

Siering Christian / 09.05.2018

Immerhin sind unsere kognitiven Fähigkeiten von der Evolution dem jeweiligen Bedarf zum Überleben angepasst worden. Die Tiefeinschichten der Entwicklung sind nach wie vor in uns enthalten, von der Zelle bis zu den verschiedenen Stufen unseres Gehirns. Eine vollständige und fugenlose Einheit hat sich daraus nicht ergeben. Die Entwicklungsstufen mischen sich den Anlässen entsprechend mit variierter Dominanz ein. Auch hier kann man das Prinzip das unseren Impulsen zugrund liegt "Gott" nennen, wenn man so will. Allerdings sind die Anforderungen an die von uns absorbierten Spezien zu sehr von einer nachvollziehbaren Dialektik zwischen Individuum und Umwelt bestimmt, als dass hier schon ein Anlass für Transzendenzerkärungen gegeben wäre.

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