112-Peterson: Warum wir ein Ziel brauchen

Wenn ich Menschen zu motivieren versucht habe, das Future-Authoring-Programm zu probieren (ein von Jordan B. Peterson entwickeltes Online-Schreib-Programm, um sich mit der eigenen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auseinanderzusetzen, Anm. d. Red.), haben sie es oft aufgeschoben. Das ist nicht überraschend, denn dieses Programm ist nichts für zwischendurch. Vor allem denken viele: „Ich kann überhaupt keine Texte schreiben, ich werde das nicht gut machen, ich kann Aufgaben nicht leiden, aber ich muss es perfekt machen. Ich muss warten, bis ich genug Zeit habe.“

Und eine Ausrede davon reicht aus, um einen davon abzuhalten, und alle fünf sind das absolute Aus. Also rate ich den Leuten, einfach wahllos anzufangen, auch wenn es zunächst mehr schlecht als recht ist. Denn das ist immerhin das, was man schafft. Wenn meine Studenten mit ihrer Masterarbeit anfangen, rate ich ihnen immer: „Schreiben Sie einen wirklich schlechten ersten Entwurf.“ Und dann gibt es immer ein Gespräch darüber, denn sie glauben natürlich nicht, dass ich es ernst meine, weil es sich in gewisser Weise wie ein Klischee anhört.

Es ist aber alles andere als ein Klischee. Denn im Grunde heißt es nur: „Sie sind ein furchtbarer Autor. Aber würde Ihnen jemand eine Pistole an den Kopf halten und sagen: 'Sie müssen Ihre 100-seitige Arbeit bis nächsten Montag fertig haben, oder ich erschieße Sie, aber es ist mir total egal, wie schlecht das, was sie geschrieben haben ist', würden Sie sich hinsetzen und schreiben.“

Und die Sache ist die, dann hätten sie immerhin etwas vorzuweisen. Ihnen würde plötzlich etwas einfallen, und daran könnten sie dann weiter arbeiten, verbessern, es korrigieren. Dieser schlechte erste Entwurf ist das Wertvollste. Und auf das Future-Authoring-Programm bezogen heißt das, dass alles, was wir brauchen, ein schlechter erster Entwurf von uns selbst ist.

Das bringt uns zu Jungs Idee, die er über den Trickster beziehungsweise den Narren, den Komiker, entwickelt hat. Nämlich, dass der Narr der Vorläufer des Erlösers ist. Wenn man diesen Sachverhalt begreift, ist das eine unglaubliche Erkenntnis. Es mag absurd klingen, aber der Satiriker, der Ironiker, der Unruhestifter, der Komiker, der Narr ist der Vorläufer des Erlösers. Warum? Weil man ein Narr ist, wenn man etwas Neues beginnt. Wenn man also nicht bereit ist, ein Dummkopf zu sein, dann wird man nie etwas Neues anfangen, und wenn man nie etwas Neues anfängt, dann wird man sich nicht entwickeln. Und so ist die Bereitschaft, ein Narr zu sein, der Vorläufer der Transformation, und das ist dasselbe wie Demut.

Wie Gott in Ägypten

Wenn wir nun also unser Schicksal schreiben wollen, ist es möglich, dass uns der erste Entwurf misslingt, aber gut, wir werden alle klüger, wenn wir weiter voran gehen. (...) Manchmal ergreift uns etwas im Leben, das unser Interesse erweckt und wir fragen uns, ob wir ihm nachgehen sollen. Die Antwort lautet: Wenn es nicht dieses ist, dann kommt etwas anderes. Was, wenn es ein Fehler ist? Natürlich ist es ein Fehler, aber was wissen wir schon? Sobald wir etwas tun, bringt uns das ins Schleudern. Aber auch in Bewegung, wir werden nicht in der Statik verharren und nicht im Kreis laufen.

Es gibt Menschen, die niemals herausgefunden haben, was sie tun sollen, und plötzlich sind sie 40. Das ist natürlich nicht so toll. Es gibt auch genügend Literatur, die darauf hinweist, dass Menschen, die auf ihr Leben zurückblicken, viel unglücklicher über das sind, was sie nicht gemacht haben, als über die Fehler, die sie gemacht haben, während sie Dinge taten. Dieser Gedanke ist es wirklich wert, verfolgt zu werden, denn es gibt erlösende Fehler. Ein erlösender Fehler wäre ein Fehler, den man macht, wenn man hinausgeht und versucht, etwas zu tun. Man versucht etwas, das man nicht gut kann, man macht also einen Haufen Fehler, und die Konsequenz ist, dass man irgendwann besser aufpasst, weil man nicht mehr ganz so dumm ist. Das ist die Folge davon, sich über die Quintessenz seiner Fehler bewusst zu werden.

Man folgt also dem Signal des Leuchtturms, man folgt dem Licht, dem Stern, und man ist blind, also weiß nicht, wo das Licht ist, es wird nur schwach wahrgenommen. Man hat Angst, ihm zu folgen, aber man beschließt, einige stolpernde Schritte darauf zuzugehen. Und während man stolpernde Schritte darauf zu macht, wird man angestrahlt und wird sich über die Dinge bewusst aufgrund der Natur dieser Erfahrung. Man treibt sich selbst voran, in ein Land, das man noch nie betreten hat und dadurch lernt man.

Und als nächstes bewegt sich der Stern. Man bewegt sich drei Meter auf ihn zu und denkt, man hätte die Richtung verfehlt. Man richtet sich also neu aus, bewegt sich wieder vorwärts, das Licht, dem man folgt, bewegt sich aber ebenfalls weiter. So wie Gott in der Wüste in Ägypten. Die Säule des Lichts, der wie folgen, bewegt sich, es ist keine dauerhafte Angelegenheit. Wir bewegen uns auf sie zu, und sie bewegt sich weg, sie führt uns vorwärts. Man könnte sich fragen, ob es vielleicht das Paradies selbst ist, dem man folgt? Die Antwort darauf kann nur „Nein“ lauten, denn was wissen wir schon? Wir könnten das Paradies nicht einmal erkennen, wenn es direkt vor uns wäre, aber wir können einen Schimmer davon bekommen und uns darauf zubewegen und wachsen. Und dann, wenn wir das nächste Mal unsere Augen öffnen, sehen wir ein bisschen klarer, und so geht es immer weiter. Das Licht bewegt sich weiter. Und wir bewegen uns mit ihm.

Natürlich bewegen wir uns dabei auch mal im Zick-Zack (...). Bei jeder Kurve ist es, als würde ein Phönix aus der Asche steigen, und das ist schmerzhaft. Aber die Sache ist die, dass man, obwohl man 20 Meilen auf dieser Straße gefahren ist und sich nur drei Meilen vorwärts bewegt hat, sich immerhin drei Meilen vorwärts bewegt hat, anstatt rückwärts zu fahren. Sobald man stillsteht, fällt man zurück. Wir können nicht stillstehen, denn die Welt entfernt sich von uns, sobald wir stillstehen, und es gibt dann kein Verharren, sondern nur ein Rückwärts. Und wenn wir uns also nicht vorwärts bewegen, dann bewegen wir uns rückwärts. Und das meint der sogenannte Matthäus-Effekt: Denen, die alles haben, wird mehr gegeben werden. Denen, die nichts haben, wird alles genommen werden. Es ist eine Warnung, nicht an einem Ort verhaftet zu bleiben.

Dies ist ein Auszug aus einem Vortrag von Jordan B. Peterson. Hier geht's zum Auszug.

Foto: jordanbpeterson.com

Achgut.com ist auch für Sie unerlässlich?
Spenden Sie Ihre Wertschätzung hier!

Hier via Paypal spenden Hier via Direktüberweisung spenden
Leserpost

netiquette:

Esther Burke / 15.04.2020

EIN Ziel ? - und auch viele kleinere Etappenziele.  Eines davon war vielleicht, am vergangenen Samstag den Aufgang des Ostermondes zu sehen - wunderbar riesig, mandarinenfarbig , atemberaubend schön. Da drängt sich die Erinnerung an das Paul Gerhard Lied (Der Mond ist aufgegangen) auf : Seht ihr den Mond dort stehen / er ist nur halb zu sehen (naja, das war dann nicht bei Vollmond)/ Und ist doch rund und schön./ So sind wohl manche Sachen / die wir getrost belachen / weil unsre Augen sie nicht sehn. // Wir stolzen Menschenkinder/ sind eitel arme Sünder / und wissen gar nicht viel./ Wir spinnen Luftgespinste / und suchen viele Künste / und kommen weiter von dem Ziel.  -  Das Ziel : herausfinden, wer ich bin. und dieses Leben leben. vertrauend und mutig. (wie dies W.Arning auch sieht.)

Karla Kuhn / 15.04.2020

H. Roth, ” Wer jedoch dreißig Jahre nach Schulabschluss seine Ziele nicht definieren kann, der wird das vermutlich niemals können.” Genau so denke ich, wahrscheinlich sind das diejenigen, die mit 60 Jahren oder später, nach dem Sinn des Lebens suchen. Es soll auch welche geben, die ihn ein Leben lang suchen.

Gabriele Klein / 15.04.2020

Würde mich sehr freuen über ein In Dubio mit Herrn Peterson.  Ich fand diese teils noch viel besser als die bloßen Auszüge.

Gabriele Klein / 15.04.2020

finde diese Erinnerung passt bestens zur lock-down Situation in der wir uns finde. Daher, geht das jetzt auf meinen Favoriten.

Gabriele klein / 15.04.2020

Danke!  Toller Artikel biblischer Prägung. Danke auch für den Hinweis mit dem Matthäus Effekt,  Sah mich als ich das las an die Seligmann Studie zur learned helplessness erinnert und die sogenannte James-Lang Theorie die sagt, dass nicht nur der Gemütszustand das Handeln zeitigt, sondern auch umgekehrt das Handeln auf den Gemütszustand wirkt. Beides Einsichten die zu den Überlegungen sich pro-aktiv auf den Weg zu machen, noch hinzu kämen. D.h. man kann sich auch selbst durch Nichtstun zur Learned Helplessness erziehen. Was mir aber am Wichtigsten zu sein scheint, ist die Frage der Transzendenz der letzten Wahrheit, oder des letzten übergeordneten Ziels die jeden Menschen im Grunde umtreibt.  Diese Frage, ob das letzte Ziel transzendent ist oder nicht, entscheidet am Ende ob wir in einer totalitären geschlossenen Gesellschaft hinter einem “Roten Stern” herlaufen(1), oder ob wir uns in einer offenen, pulsierenden dem Fortschritt zugewandten Umfeld bewegen.  Einem Umfeld, das sich an der Seele des Individuums nicht in Form von zwangsfinanzierter Propaganda vergreift, um so die Suche nach der letzten Wahrheit die den Frommen, wie den Forscher umtreibt zu unterbinden. (1) Jedes Kraut und jeder Pilz haben einen giftigen Doppelgänger. Das scheint mir auch für “leuchtenden Sterne” zu gelten. Es gibt die eine transzendente Wahrheit die sich dem Zweibeiner entzieht und ihn genau dadurch “frei” setzt und jenen Stern der Wahrheit der sich am Ende nur als das eigene ich herausstellt.. D.h. jener Stern,  der auf dem Hut von Zweibeinern leuchtet, um nicht nur den eigenen Weg, sondern gottgleich auch den der “Andern” auszufunseln wie im FDJ Lied vom roten Stern der Fall, an dem sich so manch ein(e)  Regierende(r ) sicherlich erinnerte als er/sie sich für eine zwangsfinanzierte “Grundversorgung” SEINES Evangeliums für die Allgemeinheit entschied…...........

Werner Arning / 15.04.2020

Es gibt Menschen, denen werden im Leben radikale Entscheidungen abverlangt. Sie müssen sich entscheiden : Riskiere ich es oder nicht? Verzage ich, oder zeige ich Mut? Wähle ich das bereits Bekannte, oder wähle ich das Unbekannte? Angst vor dem Fehler. Das ist zutiefst menschlich. Wer etwa der Bibel glaubt, wählt das Risiko. Geht in das Ungewisse. Liefert sich mit Haut und Haaren aus. Hat Angst und vertraut doch. Hin und her gerissen macht er sich auf den Weg. Sein Gang wird mit jedem Schritt sicherer. Und dann sieht er sich nicht mehr um. Auf dem Weg begegnet ihm manche Überraschung. Was er tun soll? Das erfährt er schon rechtzeitig. Meist zahlt sich der Mut aus.

H.Roth / 15.04.2020

@ Herr Probst, sicher gibt es Leser, für die diese Ratschläge hilfreich sind. Sie und ich gehören einfach nicht zu der Zielgruppe. Zu Beginn meiner Studentenzeit haben mich solche Themen durchaus interessiert. Wer jedoch dreißig Jahre nach Schulabschluss seine Ziele nicht definieren kann, der wird das vermutlich niemals können.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Jordan B. Peterson, Gastautor / 05.02.2025 / 11:00 / 9

112-Peterson: Widerstreit zwischen links und rechts

Nur solange die selbstverständlichen Wahrheiten selbstverständlich bleiben, kann man sich so etwas wie linken Individualismus leisten. Das geht aber nur in einem konservativen Rahmen. Im…/ mehr

Jordan B. Peterson, Gastautor / 11.12.2024 / 11:00 / 5

112-Peterson: Ordnung und Chaos

Ihr Gehirn kann Ihnen sagen, wann Sie optimal zwischen Chaos und Ordnung positioniert sind, indem es ein Gefühl von Engagement und Sinn erzeugt. Ich würde…/ mehr

Jordan B. Peterson, Gastautor / 04.12.2024 / 11:00 / 7

112-Peterson: Verlieben Sie sich nicht in ein Trugbild

Wer seinen Traumpartner sucht, gerät leicht auf den Irrweg, seine Phantasien und Hoffnungen auf irgendeinen realen Menschen zu projizieren. Die Enttäuschung ist vorprogrammiert. Stellen Sie…/ mehr

Jordan B. Peterson, Gastautor / 27.11.2024 / 11:00 / 18

112-Peterson: Warum tragen Menschen Kleidung?

Welchen Zweck erfüllt die Kleidung und was hat sie mit Adam und Eva zu tun? „Und sie waren beide nackt, der Mensch und seine Frau,…/ mehr

Jordan B. Peterson, Gastautor / 13.11.2024 / 11:00 / 15

112-Peterson: Der Charakter Gottes

Gottes Rolle im Sündenfall ist bis heute nicht durchschaubar – man kann nur spekulieren. Es gibt eine Menge Fragen, über die die Menschen schon seit…/ mehr

Jordan B. Peterson, Gastautor / 06.11.2024 / 15:55 / 5

112-Peterson: Was hält Psychopathen unter Kontrolle?

Virtualisierung erleichtert Psychopathie und nimmt die ganze Gesellschaft in Mitleidenschaft. Man muss sich fragen, was die Psychopathen in der normalen Bevölkerung unter Kontrolle hält. Die…/ mehr

Jordan B. Peterson, Gastautor / 16.10.2024 / 11:00 / 4

112-Peterson: Störung in der sozialen Kommunikation?

Wie kann man Spannungen in Gesprächen begrenzen und die Ursachen für diese erkennen? Es gibt ein Muster depressiver Selbstwahrnehmung, das man sich als Zusammenbruch einer…/ mehr

Jordan B. Peterson, Gastautor / 09.10.2024 / 11:00 / 9

112-Peterson: Der richtige Lebensraum des Menschen

Der Mensch sollte die Erde als einen Garten betrachten, den er pflegen, aber nicht ausbeuten sollte. Das Ausmaß an menschlicher Motivation, Anderen zu helfen, Leiden…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com