112-Peterson: Warum Wettbewerb wichtig ist

Beim Bogenschießen befindet sich das Ziel in der Mitte, das sogenannte Bullseye. Es ist umgeben von einer Reihe farbiger Ringe. Man versucht natürlich, das Bullseye zu treffen, je näher man der Mitte kommt, desto besser. Man muss seinen Bogen spannen und zielen. Was hier um Ausdruck kommt, ist die Notwendigkeit, ein Ziel ins Auge zu fassen und sein bestes zu geben, es zu erreichen. Das macht Bogenschießen zum Sport.

Wenn man darüber nachdenkt, sind die meisten Sportarten auf diese Weise konzipiert, egal ob Fußball, Hockey, Basketball oder Rugby – in fast allen Mannschaftssportarten geht es um ein Geschoss, das man ins Ziel bringen muss. Normalerweise organisiert man sich in zwei Hierarchien (den Teams) und diese konkurrieren und kooperieren darum, das Geschoss ins Ziel zu bringen. Und aus irgendeinem Grund finden wir Menschen das toll.

Es lohnt sich, sich näher damit zu beschäftigen. Warum geben wir viel Geld dafür aus, ins Stadion zu gehen und Wettkämpfe anzuschauen? Es ist fast unmöglich, Tickets für Spiele der kanadischen Eishockey-Mannschaft Toronto Maple Leafs zu bekommen. Ausverkauft und unglaublich teuer, obwohl die Truppe seit ungefähr 1968 keine Meisterschaft mehr gewonnen hat.

Egal – die Leute geben ein Vermögen aus, um ins Stadion zu gehen und weit entfernt vom Geschehen das Spiel zu verfolgen. Sie schauen sich die starken, schnellen Sportler an, die um eine schwarze, gefrorene Scheibe kämpfen und versuchen, sie in ein Netz zu schießen. Während der Gegner versucht, sie aufzuhalten. Ganz schön absurd. Doch die Leute sind begeistert und bezahlen dafür.

Kein Vergleich zu Fußball-Toren

Schon vor dem Spiel sind sie schon ganz aufgeregt, stellen sich in eine Schlange und tragen auch noch Trikots dabei. Und dann schießt einer der Spieler ein technisch brilliantes Tor und alle springen im Freudentaumel auf. Man kann sich nur fragen: Was ist da los? So glücklich wart Ihr nicht einmal bei Eurer eigenen Hochzeit. Oder haben Sie schon einmal erlebt, dass es bei einer Trauung 10-minütige Standing Ovations gibt, sich Fremde in den Armen liegen und hinterher tonnenweise Bier in sich hinein schütten und es Krawalle gibt und Läden geplündert werden? Das schafft nur ein Tor. Guatemala und Ecuador würden wahrscheinlich wegen eines Fußballspiels gegeneinander in den Krieg ziehen.

Am besten gehen wir davon aus, dass wir nicht so dumm sind wie es scheint, sondern mehr hinter diesem seltsamen Gebaren steckt. Warum gefällt es uns, Menschen beim Treffen eines Ziels zuzusehen? Und sie dabei zu beobachten, wie sie fachmännisch miteinander kooperieren und konkurrieren? Und warum gefällt es uns besonders, wenn sie dabei über sich hinaus wachsen?

Leichtathletik-Wettbewerbe sind nicht schlecht. Doch sie sind kein Vergleich zu Fußball-Toren. Man muss sich nur einmal bei YouTube durch entsprechende Videos klicken. Die Spieler wirbeln in der Luft umher, hängen 2,50 Meter über dem Boden, nahezu auf dem Kopf stehend und schießen den Ball einen Meter neben dem Torwart ins Ziel. Unmöglich, wo sie doch 90 Meter vom Tor entfernt sind. Doch als Zuschauer denkt man sich: So ist der Mensch. Natürlich nicht man selbst, weil man so etwas niemals vollbringen könnte. Jedoch glaubt man anhand einer solchen Leistung, dass man etwas ähnlich außergewöhnliches möglicherweise doch schaffen könnte, weil man ja auch menschlich ist.

Mir wäre ein größerer sozialer Umbruch nicht recht

Solche sportlichen Leistungen sind auf jeden Fall eine schöne Darstellung des Potenzials, das wir erreichen können, um unser verdammtes Ziel zu treffen. Nun kommen wir zum eigentlichen Punkt. Nämlich der Frage, was das Ziel eigentlich ist. Genauso gut könnte man fragen: Was bedeutet es? Ich möchte im Folgenden erläutern, welches Ziel für mich dadurch repräsentiert wird. Ich werde also einen Einblick in mein persönliches Wertesystem liefern, wenigtens in Teilen.

Ich bin Autor, Forscher, Kliniker und Professor, vermutlich auch in dieser Reihenfolge. Dadurch habe ich Anspruch auf eine bestimmte Position in der sozialen Hierarchie. Dieser ist darin begründet, dass ich eine bestimmte Kompetenz habe, die für wertvoll gehalten wird, wodurch ich nach den Spielregeln ein gerechtfertigtes Anrecht auf die mit dieser Position verbundenen Privilegien und den dazugehörigen Status habe. Wenigstens so lange ich kompetent bin.

Es gibt also eine Übereinstimmung zwischen sozialer Forderung und meiner Fähigkeit. Und so lange ich mitspiele, bin ich sicher. Auf diese Weise werden meine Emotionen reguliert. Nicht durch eine innere Regulation, sondern einfach nur durch die Tatsache, dass ich tun kann, was ich behaupte tun zu können. Und alle anderen finden das auch. Die Leute wertschätzen mich dafür und dadurch bin ich in Sicherheit.

Darum wäre mir ein größerer sozialer Umbruch nicht recht, weil ich mit meinen Fähigkeiten in einer Gesellschaft landen könnte, die diese Fähigkeiten nicht werschätzt und dann wäre ich erledigt. Also wünsche ich mir eine Isomorphie zwischen meinem internen Wertesystem und der sozialen Struktur selbst. Darum sind auch radikale Forderungen des Multikulturalismus falsch.

Sich mit positiven Gefühlen durch die Welt bewegen

Denn unterm Strich müssen wir ein vereinheitlichtes Spiel spielen, damit jeder weiß, woran er beim anderen ist. Das heißt nicht, dass vielfältige Meinungen nicht nützlich wären. Denn natürlich kommt es vor, dass der allgemeine Anspruch falsch ist und erneuert werden muss. Darum braucht man immer ein paar „Verrückte“, die kreativ sind und neue Wege gehen.

Doch im Allgemeinen wollen wir, dass alle vom selben Spiel eingehegt sind und vielleicht darüber hinaus noch ein weiteres Spiel spielen. Wir brauchen das. Denn nur auf diese Weise können wir uns in der Welt orientieren. Nur so können wir eine Übereinstimmung zwischen unseren Erwartungen, Fähigkeiten und Wünschen und dem, was die Welt von uns erwartet, erreichen.

Es gibt doch für uns nicht gefährlicheres, als nach den Spielregeln zu spielen, ein guter Mensch zu sein und am Ende dafür bestraft, anstatt dafür belohnt zu werden. Das ist unglaublich demotivierend. Man will, dass das, was man für gut und richtig hält, von der Welt auch in diesem Sinne honoriert wird. Und das bedeutet, dass die soziale und psychologische Struktur übereinstimmen muss.

Ein Grund, warum wir unsere Kultur beschützen, liegt darin, dass wir dadurch unsere soziale und psychologische Struktur schützen und unsere Orientierung beibehalten können. Auf diese Weise können wir uns mit positiven Gefühlen und ohne uns zu Tode zu ängstigen durch die Welt bewegen. Das ist von entscheidender Bedeutung. Darum kämpfen wir für das, was wir aufgebaut haben. Es ist das Spiel, das wir verstehen und das nicht willkürlich verschoben oder geändert werden kann.

Dies ist ein Auszug aus einem Vortrag von Jordan B. Peterson. Hier geht's zum Auszug.

Foto: jordanbpeterson.com

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Leserpost

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Johannes S. Herbst / 09.12.2020

Prima dass ihr den Peterson bringt. Den lese ich immer wieder gerne in der deutschen Übertragung. Bittel weiter so!

Judith Hirsch / 09.12.2020

Die Begeisterung für Fussball ist wahrscheinlich damit zu erklären, dass in diesem Spiel Kampf und Jagd vereint sind. Das Tor ist die Beute und der Ball symbolisiert den Speer. Die gegnerische Mannschaft ist die konkurrierende Stammesgruppe.

Volker Kleinophorst / 09.12.2020

Der Sport lebt nicht allein vom zuschauen, sondern vom machen. Und das jeder mitspielen kann. “Natürlich nicht man selbst, weil man so etwas niemals vollbringen könnte.” Natürlich nicht jeder, aber ein Tor zu schießen ist nicht so schwer. Herr Peterson schreibt darüber so, als wäre er immer der letzte gewesen, den man in seine Mannschaft gewählt hat. “Der Ball ist der springende Punkt. Er fasziniert alle.” (Dettmar Kramer, Fußballtrainer). @ T. Wirth Guter Einwurf zum Konservativismus in Deutschland. Allerdings ist mir wie ja anderen auch Herr Peterson etwas zu banal. Prechtig. Da kann ich nicht folgen. Dieser Text ist dazu ein gutes Beispiel. Da schreibt über Sport, wie einer der keinen treibt. Was will mir so einer erzählen, über die Angst des Tormanns vorm Elfmeter und die Wonnen des Sieges. @ C Buchta “Das Phänomen Fussball-Begeisterung” liegt daran, das es nahezu jeder Mann mal gespielt hat. Überall auf der Welt. Schmeissen Sie einen Ball zwischen ein paar gelangweilt rumstehende Männer. Es geht sofort los und flugs kommt einer im Anzug vorbei und will mitspielen. Die guten Schuhe müssen das aushalten. Ganz ohne Gesänge und Trommeln. Obwohl das, was sie da bezüglich “Massenpsychologie” geschrieben haben, selbstredend richtig ist. Es gilt aber eben für Massen aller Art und ist nicht auf den Sport begrenzt. Nochmal ganz deutlich: Sport ist mehr als der kleine Anteil, der im Fernsehen übertragen wird.

Cornelia Buchta / 09.12.2020

Das Bild “Sportbegeisterung” ist natürlich nur eine Metapher in Prof. Petersons Vortrag. Aber ich finde das Phänomen Fussball-Begeisterung auch noch aus anderen Gesichtspunkten interessant, da es Grundbedürfnisse in unserer Gesellschaft zeigt und befriedigt: Neben dem Bewundern der “fachmännischen Kooperation und dem über sich Hinauswachsen für das Erreichen des Ziels” spielt die Macht der Menge eine sehr große Rolle. Sitzt man vor dem Bildschirm erlebt man ersteres, jedoch nur im Stadion letzteres. Ich war als Musikerin regelmäßig baff von der enormen Bündelung der Energie innerhalb einer Masse von weitgehend unbekannten Menschen. Die Mobilisation dieser Massen durch die “akustischen Koordinatoren” ist unglaublich effektiv und manipuliert die Leistung auf dem Feld direkt. Die Masse erfährt dadurch einen gehörigen Teil an Befriedigung, an etwas Größerem mitzuwirken, mitzubestimmen, kurz: relevant zu sein. Die Vorsinger und Trommler, da bin ich mir ziemlich sicher, fühlen ähnlich wie ein Dirigent eine Mischung aus Stolz und Befriedigung, ihre lenkerische Macht zum Erreichen eines gemeinsamen Ziels erfolgreich - oder zumindest nach bestem Vermögen - eingesetzt zu haben. Meiner Meinung nach ist dieses Phänomen heutzutage wieder verdächtig geworden. Es scheint archaisch. Es hat eine Eigendynamik. Es wird von den normalen Menschen gesteuert, nicht von der Obrigkeit. Dass sich Menschenmassen mit dem dazugehörenden Talent von einer Person mobilisieren und manipulieren lassen, ist ja bekannt und kommt nicht nur in dunklen Kapiteln der Geschichte vor. Der Fußball bietet jedenfalls eine Plattform, auf der diese Ur-Emotionen in geschützer Form erlebt und ausgelebt werden können.

Thorsten Wirth / 09.12.2020

Sir Roger Scruton (R.I.P.) schrieb, “Conservatism sei” grundsätzlich nur in der “Angloshpere” zu finden. Tatsächlich findet zB ein Intellektueller aus dem konservativen Bereich wie Jordan Peterson praktisch kein Publikum in Deutschland. Darum DANKE an die Achse Des Guten für die Kolumne, die, schaut man auf die Kommentare, wohl bald verschwindet. Eventuell liegt es auch daran, dass Viele, wie ich, eh gleich im englischen Original Peterson, Murray & Co. verfolgen?! In der “Anglosphere”  haben Jordan Peterson, Sam Harris und (teilweise) Douglas Murray vor zehntausenden Zuschauern “talks” in kurzer Abfolge in Vancouver, Dublin und London gehalten. Auch die “talks” von The Spectator sind stets maximal gefüllt. Da sitzen zwei, drei konservative Menschen, sehr eloquente und intelligente, und diskutieren zwei Stunden buchstäblich über “Gott und die Welt” und die Menschen kommen in Scharen. Das gibt es nicht in Deutschland. Sir Roger Scruton hatte das exzellent beobachtet.

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