112-Peterson: Warum heiraten?

Wofür brauchen wir die Ehe? Wir brauchen die Ehe genauso wie andere soziale Einrichtungen. Die Ehe ist eine große Last und Verantwortung, aber auch eine große Chance.

Sie ist eine Bürde und eine Verantwortung, weil man als Ehepaar alles, was das Leben einem bieten kann, gemeinsam bewältigen wird. Der Unterschied zwischen einer lockeren Affäre und einer Ehe besteht darin, dass bei einer lockeren Affäre nur Milch und Honig fließen. Sie ist ein reines Vergnügen – auch wenn das in Wahrheit nur sehr selten der Fall ist. Das ist jedoch die Theorie.

In der Ehe hingegen muss man sich mit den harten Realitäten aller Dimensionen des Lebens auseinandersetzen. Aber man nimmt es freiwillig auf sich, vor allem weil man es mit jemandem teilt. Und wenn einem dies im Rahmen einer Ehe gelingt, dann hat man jemanden, der den Faden der eigenen Lebensgeschichte zusammenwebt. Man hat jemanden, an dem man sich reiben kann, und man hat jemanden, mit dem man sich auf der Beziehungsebene verbessern kann, und man hat jemanden, auf den man Rücksicht nehmen muss, so wie man auf sich selbst Rücksicht nehmen sollte. Noch dazu haben Sie jemanden, auf den Sie über einen möglichst langen Zeitraum hinweg Rücksicht nehmen müssen. Das bedeutet, dass Sie gezwungen sind, auf impulsiven Hedonismus zu verzichten, wodurch Sie wahre Reife entwickeln können.

Nehmen wir mal an, Sie wären nur auf sich selbst bedacht. Vielleicht instrumentalisieren Sie andere gerne sexuell. Es geht Ihnen auf Teufel komm raus um Hedonismus und Vergnügen. Schauen wir uns das näher an. Was meinen Sie denn mit „Vergnügen“? Vergnügen in den nächsten 30 Sekunden, in den nächsten drei Minuten oder heute Abend?

Ich frage, weil man ja sagen könnte: Was spricht denn gegen Koks und Nutten als dauerhafte Kost? Die Antwort wäre wohl, dass so etwas gut für drei Minuten oder einen Abend, aber der Kater am nächsten Tag nicht wünschenswert ist. Und dieser Mechanismus verschlimmert sich, je mehr man diesen hedonistischen Weg beschreitet. Und wenn man dann um drei Uhr morgens fix und fertig ist, meldet sich das schlechte Gewissen. Man ist verkatert und völlig durch nach seinem idiotischen und promisken Amoklauf. Das ist eine sehr schlechte mittel- bis langfristige Srategie.

Wenn wir also von Hedonismus sprechen, müssen wir verdeutlichen, was wir meinen. Tut man, was einen in impulsiver Hinsicht glücklich macht? Oder tut man das beste für sich in vielfältiger Hinsicht über die gesamte Spanne von Jahrzehnten hinweg? Wenn man sich richtig gegenüber sich selbst und gegenüber all seinen zukünftigen Versionen verhält, dann opfert man den idiotischen, impulsiven Hedonismus der Gegenwart einer mittel- bis langfristigen Strategie, die in jeglicher Hinsicht zu bevorzugen ist. Ich würde sagen, dies ist Teil der Entwicklung einer erwachsenen Vision.

Inwiefern unterscheidet sich Ihr Verhalten von einem Zweijährigen?

Natürlich könnte man einwenden, dass man die Freiheit möchte, seinen hedonistischen Wünschen und Bedürfnissen nachzugehen, egal wann und unter welchen Umständen. Und ich würde entgegnen: Erstens – glauben Sie, dass das überhaupt möglich ist? Zweitens – Benutzen Sie nicht einfach nur andere Menschen zu Ihrem eigenen Vergnügen? Drittens: Benutzen Sie nicht auch sich selbst für Ihr eigenes kurzfristiges und kontraproduktives Vergnügen? Viertens: Inwiefern unterscheidet sich Ihr Verhalten von einem Zweijährigen? Darin liegt doch keinerlei erwachsene Vision.

Man kann sich also vorstellen, und dies ist ein technisches Argument, dass die Natur moralischen Verhaltens durch den Ruf abgesteckt wird, den wir uns in den Stunden, Tagen, Wochen, Monaten und Jahren unseres Lebens erarbeitet haben. Man muss sich sich selbst gegenüber so verhalten, als wäre man eine zeitlich ausgedehnte Totalität.

Darum meldet sich das Gewissen, wenn man sich selbst betrügt. Denn das Gewissen zeigt das Verhältnis zwischen unserem Verhalten und der mittel- bis langfristigen Wirkung an. Darum sollte man sich selbst wie etwas Zeitübergeifendes behandeln. Und ein sehr tiefgründiger Weg, dies zu lernen, ist, sich selbst an eine andere Person zu binden, etwa im Rahmen einer Ehe. Denn man weiß, dass man mit dieser Person die Minuten, Stunden, Tage, Wochen, Monaten und Jahre seines Lebens teilen wird.

Eine sehr tiefgreifende Aufgabe

Der Umgang mit dieser Person sollte also wechselseitig produktiv sein und sich im Laufe der Jahrzehnte positiv entwickeln. Daraus ergibt sich natürlich ein komplexes Optimierungs-Problem. Denn letztlich geht es darum, wie man einen anderen von Moment zu Moment behandelt, damit die Beziehung in anhaltender Liebe erblühen kann. Denn das wäre doch ein angemessenes Ziel.

Dahinter steckt übrigens dasselbe wie hinter einem guten Verhältnis zu sich selbst. Wenn man also lernt, sowohl sich selbst als auch seinen Partner gut zu behandeln – eine sehr tiefgreifende Aufgabe, die einen beständig fordert – ist das wohl das beste, das einem überhaupt passieren kann. Und zweitens hat man damit die perfekte Basis hergestellt, um Kinder zu haben.

Denn wenn nun Kinder auf die Welt kommen, stehen Sie mit Ihrem Partner Seite an Seite und behandeln einander wie die jeweilige Verlängerung von sich selbst, was Sie zweifellos sind, weil man ja theoretisch für immer an der anderen Person hängt. Und somit hat das Kind dann ein verbundenes Amalgam zweier Persönlichkeiten, die feilschen und verhandeln mussten, um eine Einheit zu bilden. Und das Kind wird in diese Einheit hineingeboren (...) In eine Welt, in der eine Lösung zwischen zwei gereiften Partnern gefunden wurde. Das Verhalten des Kindes kann nun im Rahmen dieser Einheit austariert werden. Diese Einheit ist weiser als eines dieser Individuen alleine wäre.

Dies ist ein Auszug aus einem Video von Jordan B. Peterson. Hier geht's zum Video.

Foto: Shane Bart Balkowitsch CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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giesemann gerhard / 01.02.2023

Aber Frau Sara! Gruß Gerhard G.

Peter Woller / 01.02.2023

Als am 07. März 1963 geborener, also fast 60jähriger sage ich, bei der Ehe ging es nur um gegenseitige Wichtigtuerei. Wer hier nicht wichtig war oder ist, bekommt keine Ehe. Nur wer wichtig ist, darf Mann oder Frau in der Ehe genießen. Das fing auf dem Rummelplatz an. Wichtige Männer genießen wichtige Frauen. Das ganze Ehe- und Geschlechter-Ding funktioniert nur auf gegenseitiger aufgeblasener Wichtigtuerei. Es hat nie anders funktioniert. Die wichtigsten Männer und die wichtigsten Frauen aller Zeiten genießen hier Ehe. Alle anderen dürfen durch die leere Bierflasche glotzen. Es hat nie anders funktioniert.

Peter Woller / 01.02.2023

Die wichtigsten Männer und die wichtigsten Frauen heiraten hier. Heiraten ist etwas für aufgeblasene Angeber und Wichtigtuer. Wer kein aufgeblasener Angeber und Wichtigtuer ist, darf auch nicht heiraten. Nur die wichtigsten Männer und Frauen aller Zeiten dürfen heiraten. Alle anderen glotzen durch die Röhre. Und das ist kein Rassismus, oder was? Also hier bestimmen Männer und Frauen untereinander, wer viel wert ist, und wer nicht? Das ist alles abgekartetes Spiel zwischen den Geschlechtern. Pfui. So viel Alkohol kann ich gar nicht mehr trinken, wie süchtig ich jetzt bin.

Patrick Meiser / 01.02.2023

“Der Umgang mit dieser Person sollte also wechselseitig produktiv sein und sich im Laufe der Jahrzehnte positiv entwickeln.” Ach du meine Güte - sowas kann nur von Leuten kommen, die mit sich selbst absolut nichts anzufangen wissen und Angst vorm Alleinsein haben. Allein zu sein heißt noch lange nicht einsam zu sein, Herr Peterson. Ich halte es da ganz mit W. Allen @ Gerhard Hotz, und darauf kann ein vernünftiger Mensch verzichten. Wäre mal interessant zu erfahren, wie viele Ehen infolge unterschiedlicher Auffassungen zu “Corona” in die Brüche gegangen sind.

Stephan Bender / 01.02.2023

“Ich frage, weil man ja sagen könnte: Was spricht denn gegen Koks und Nutten als dauerhafte Kost?”—- Ich schreibe, weil ja antworten könnte: Die eigene Gesundheit, die Kohle und dann natürlich die Moral als dauerhafte Seelenqual. Schlaflosigkeit ist ein weit verbreitetes Leiden. ... Die Verdorbenheit ist an sich nichts Schlechtes, wenn man sie in eine höhere Ethik transferiert, was aber nicht Jedem gegeben ist. Die individualistische Moral kann dann leicht als eine missratene Mikroebene in heilige Makrogebote eingebunden werden. ... Am Ende erfolgt eine komplette Transzendenz: Das Gute wird zu etwas Bösen, wenn man es um seiner selbst willen fordert, und das Böse wird zu etwas Gutem, weil dieses Gute zu sehr gequält worden ist. Darum geht es doch, wenn man sich vom Vollzeitphilosophen zum Teilzeitdenker weiterentwickelt hat, oder?

Rolf Wächter / 01.02.2023

Irgendwie kann ich der muslimischen Ehe etwas abgewinnen. Der Chef, oft ein Mann, bestimmt fast alles. Wie im Staat. Dort wird das Zusammenleben einer Gemeinschaft von Menschen dauerhaft geregelt, und es gibt einen Chef. Nur in einem so großen Gemeinwesen gibt es als Unterstützung für den Chef das Parlament. Noch vor 100 Jahren hatten die Frauen auch in Deutschland weniger Rechte als der Mann. Dann kam die Gleichberechtigung. Mann und Frau bestimmen gemeinsam über das Eheleben (ist nicht immer so). Das scheint aber das ursprüngliche Anliegen der Ehe zu gefährten. Der Mann als alleiniger Versorger hat ausgedient, die Frau als alleinige Hauswirtschaftlerin ebenso. Beide sind “freier”, haben keine bestimmte Aufgabe mehr. Frei heißt auch für beide mehr Eigenleben abseite der Ehe. Nun ist die muslimische Ehe das Gegenteil davon, aber vielleicht könnte man das Positive aus beiden Ehen für eine neue Eheform nehmen.

Gus Schiller / 01.02.2023

kleine Anmerkung: Fäden werden nicht gewebt—sondern gedreht, gesponnen oder gezwirnt. Ansonnsten gebe ich Gerhard Hotz recht.

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