112-Peterson: Warum eine Tragödie keine Entschuldigung ist

Im Alten Testament heißt es:

„Die Midianiter aber verkauften Josef nach Ägypten an Potifar, einen Hofbeamten des Pharao, den Obersten der Leibwache.“ (Genesis 37:36)

„Josef hatte man nach Ägypten gebracht. Ein Hofbeamter des Pharao, ein Ägypter namens Potifar, der Oberste der Leibwache, hatte ihn den Ismaelitern abgekauft, die ihn dorthin gebracht hatten.“ (Genesis 39:1)

Nun ist er also ein Sklave. Ein Mann, der allen Grund hat, sich über die Struktur der Realität zu ärgern. Einst Lieblingssohn, wurde er von allen seinen Brüdern verraten, das ist ziemlich hart, und dann wird er auch noch zum Sklaven gemacht und als solcher zum Arbeiten verkauft.

Eigentlich würde man denken, dass dies seinen Charakter verdirbt: Denn Menschen suchen immer nach einer Ausrede, um ihren Charakter verderben zu lassen. Denn wenn ihr Charakter verdorben ist, dann dürfen sie lügen und betrügen, sie dürfen stehlen und verraten und sie dürfen nachtragend handeln, und sie dürfen nichts tun. Und das ist alles ganz einfach. Es ist einfacher zu lügen, als die Wahrheit zu sagen. Es ist einfacher, nichts zu tun, als etwas zu tun. Also denkt ein Teil von uns immer: „Ich brauche nur eine Rechtfertigung, um nutzlos und schrecklich sein zu können, denn dann hätte ich viel weniger Arbeit.” Wenn einem dann ein Unglück widerfährt, denken wir uns: „Aha, das ist genau die Entschuldigung, auf die ich gewartet habe”, und schon sind wir verbogen. (All dies geschieht Josef nicht, sondern er bleibt standhaft, Anm. d. Red.).

Eine gewaltige Forderung

Als der Schriftsteller Solschenizyn in Russland im Gulag war, konnte er beobachten, wie sich die Menschen dort verhielten. Rückblickend sagte er, dass es Menschen gab, die, nachdem sie in die Lager gebracht wurden, sofort zu Verwaltern oder Wachen wurden, und dabei noch bösartiger waren als die Menschen, die als Wachen angeheuert worden waren. Er entwickelte die Theorie, dass sie diese Verderbtheit – wie er es nannte, soweit ich mich entsinne – bereits im normalen Leben entwickelt hatten, aber bislang nicht die Möglichkeit gehabt hatten, sie auszuleben. Aber sobald sie Gelegenheit dazu bekamen, brach die Schlechtigkeit sofort aus ihnen heraus.

Wenn wir uns nun wieder an die alttestamentliche Josefsgeschichte erinnern, scheint sie zu vermitteln, dass, nur weil Dir etwas Schreckliches passiert, das noch lange nicht heißt, dass Du vom Weg abkommen und die Dinge verschlimmern solltest, egal wie schrecklich das ist, was mit Dir passiert. Und das ist schon eine gewaltige Forderung. Denn natürlich trifft man immer wieder Menschen im Leben, die es wirklich schwer haben und denen scheinbar 50 schlimme Dinge auf einmal zugestoßen sind. Und wenn solche Leute dann verbittert, verärgert und feindselig werden, denkt man sich: „Kein Wunder.”

Dann gibt es aber noch die andere Sorte Mensch. Solschenizyn beschreibt es in seinem Werk „Der Archipel Gulag”. Er traf einige Menschen, die ihn im Gulag-System damit beeindruckten, dass sie sich von ihrem Unglück nicht verderben ließen. Und das ist ein wichtiger Punkt.

Das willkürliche Element in unserer Existenz

Vielleicht besteht das einzige wirkliche Unglück darin, sich verderben zu lassen. Ich denke, das ist ein nützlicher Gedankengang. Vielleicht ist jedes andere Unglück trivial im Vergleich dazu, charakterlich zu fallen. Ich weiß, dass das radikal klingt, denn natürlich gibt es die grässlichsten Lebensumstände, aber ich denke, dass da etwas dran ist. Gott war bei Josef, und er wurde bei den Ägyptern ein erfolgreicher Mann. Und die Ägypter erkannten, dass Gott bei ihm war und alles, was Josef anfasste, gedeihen ließ. Man könnte also sagen, Josef ging mit Gott. So ging Adam mit Gott, bevor er die Frucht mit Eva aß, dann ging Noah mit Gott und Abraham mit Gott. Letztlich sind das Metaphern für die Idee, sich auf das höchste Ideal auszurichten. Mir scheint es wenigstens so.

Natürlich kann man „Gehe mit Gott“ auch als metaphysischen Anspruch betrachten, aber ich glaube nicht, dass er das ist. Ich habe in den letzten Jahren Tausende
von Briefen von Menschen erhalten, die mir davon berichteten, dass sie sich in einer Notlage befunden haben. Und dass sie beschlossen, zu versuchen, ihr Leben in Ordnung zu bringen, und dass es letztlich funktioniert hat. Überrascht schrieben sie mir Dinge wie: „Nun, ich habe entschieden, mein bestes zu geben und so aufrichtig wie möglich zu sein. Ich dachte, ich versuche es ein paar Monate lang. Und alle möglichen guten Dinge fingen an, mir zu passieren. Fast als ob die Welt tatsächlich nach diesem Gesetz funktioniert.”

Selbstverständlich klappt das nicht die ganze Zeit, weil man mitunter einfach k.o. geschlagen wird. Es gibt nunmal ein willkürliches Element in unserer Existenz, das man sich nicht wegwünschen kann. Aber das bedeutet nicht, dass es keine schlechten und guten Strategien gäbe. Und so denke ich, dass eine der grundlegendsten existentiellen Fragen lautet: Wenn die Dinge in Deinem Leben nicht gut für Dich laufen, bist Du Dir absolut sicher, dass Du absolut alles tust, was Du kannst, um alles in Ordnung zu bringen? Denn wenn Du es nicht bist, dann solltest Du Dich nicht beschweren, weil Du nicht weißt, inwieweit Du tatsächlich zu Deinem Unglück beiträgst oder sogar die Umstände verursachst.

Natürlich klingt das ziemlich hart und wir alle hören das nicht gern. Ich möchte zugleich betonen, dass ich nicht versuche, Opferbeschuldigung zu betreiben. Ich weiß, dass Menschen an Lungenkrebs erkrankt sind, weil sie Asbest ausgesetzt waren. Ich weiß aber auch, dass, wenn jemand Lungenkrebs bekommt, weil er Asbest ausgesetzt war, dies für ihn eine Tragödie oder die Hölle auf Erden sein kann. Und das hängt bis zu einem gewissen Grad davon ab, wie man sich selbst verhält.

Dies ist ein Auszug aus einem Vortrag von Jordan B. Peterson. Hier geht's zum Originalbeitrag.

Foto: jordanbpeterson.com

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Leserpost

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Gerhard L. Reiter / 28.08.2019

Was Herr Peterson hier schreibt, kann ich aus meinem Leben (68 J.) nur bestätigen!!! Ich hatte verschiedene Phasen (Prüfungen?) und nicht wenige an unangenehmen Ereignissen, die ich bis zu meinem 54 Lebensjahr immer voller Zuversicht und mit dem notwendigem Zutun meinerseits bewältigt habe. Was sich im Nachhinein immer “zu meinem Besten” herausgestellt hat. Dann kam ein Hammer, der mich an den Rand meines bisherigen Lebens geführt hat. Es fehlte nur noch das abdrücken der geladenen Waffe. Die Verzweiflung war nur noch unerträglich. Doch eine leise Ahnung, oder Stimme, hielt mich davon ab, der gefühlten Not zu entfliehen. (“Durch eine feige Flucht änderst Du nichts an deinem Problem”) Eine 3-jährige tiefe tiefe Depression lies mich nur noch dahin vegetieren. Ich dachte so geht es nun weiter, bis zu meinem Ableben. Am Ende dieser Zeit (Prüfung?) war ich glücklicher und zufriedener als jemals zuvor. Im Nachhinein - es war die beste Zeit meines Lebens. Meine Werte hatten sich am Ende dieser schmerzhaften, langen Periode derart verschoben, so dass ich heute weiß was für mich in diesem Leben noch wirklich wichtig ist. Ich liebe das Leben!!! Ein alter weiser Mann ;-)

Rex Schneider / 28.08.2019

Die Definition vom Unglück ist rein subjektiv, der eigene Fall aufgepeppt mit gewisser Emphatiesucht einige aus den tiefsten Kasten Indiens hätten sich im Gulag sicherlich besser gefühlt. Die Frage ist wohl eher nach der Belastbarkeit derer die meine Botschaft empfangen sollen oder anders gesagt wie lange muss ich den schlafenden Bären rütteln bis er wach wird? Um das alles philosophisch zu erklären reicht E. Kant auch zu.

Werner Arning / 28.08.2019

Wer anfängt, zu beten und sich unvoreingenommen zu interessieren, kann möglicherweise ein Wunder erleben (kein blaues). Gerade dann, wenn die Situation als aussichtslos erscheint. Und gerade dann, wenn die Furcht am größten ist.

Thomas Taterka / 28.08.2019

Harte Prüfungen, - wenn sie nicht allein bestanden werden müssen ( Schwere Krankheit, plötzlicher Tod eines Partners oder echten Freundes, Verlust des Arbeitsplatzes z.B. ) können auch das Beste aus einem Menschen hervorholen. Zeitgenössischen Anschauungsunterricht, wie so etwas gehen kann, bietet das Vermächtnis von Peter Weir : ” The Way Back “. Eine umfassendere Darstellung des zähen liebevollen Willens eine ungewollte Prüfung zu bewältigen und wieder Mensch zu werden, fällt mir so spontan nicht ein. Allerbeste Empfehlung, - so ad hoc.

J. Polczer / 28.08.2019

Eva war die erste Hexe des Christentums. Eine böse…böse…böse Frau, die einfach nicht gehorcht hat. Kain hat seinen Bruder erschlagen, aber Eva hat nur einem (männlichen) Wesen nicht gehorcht. Es ist anzunehmen, dass sie Verfasser der Bibel das auch so implizieren wollten, da Adam ja zuerst erschaffen wurde und Eva nur als Gefährtin gedacht war.  Sie hat vom Baum der Erkenntnis genascht und damit der Menschheit die Erkenntnis, das eigenständige Denken gebracht.Das war ihre ganze Sünde. Was ist die Moral von der Geschicht´? Dass die Männer der damaligen Zeit keine eigenständig denkenden Frauen wollten. Die Bibel enthält noch heute viele bedeutsame Lehren, aber verzeihen Sie, dass ich eigenständiges Denken bei Frauen nicht zu den Sünden zähle. Man sieht ja schon, dass dieser Vorgang des eigenständigen Denkens bei einer Frau mit der Schlange, dem Teufel assoziiert wurde. Man sollte vielleicht hierbei beachten, dass die Bibel zwangsläufig von sehr wenigen Frauen mitverfasst wurde.

Dieter Kief / 28.08.2019

Der Unterschied zwischen einer Tragödie und der Hölle auf Erden ist laut Jordan Peterson wichtig, ja gegebenenfalls gar - erstrebenswert! Denk’ drüber nach, Schurke (Schurke = innerer Schweinhund, u. a.). - Jedenfalls ein dem 270. Geburtstag JWvGs, den wir heute feiern, durchaus angemessenes Unterfangen, diese derben aber keineswegs falschen Peterson’schen Überlegungen zum anstrebenswerten Unterchied zwischen einer Trafödie und der Hölle auf Erden! Mit dem heutigen großen Deutschen Jubilar Goethen an diesem existentiellen Kreuzungspunkt fortzufahren: Man soll sich Dinge vornehmen, durchaus auch schwierige Dinge, ja selbst solche, die so schwierig sind, dass man vielleicht Fehler macht, bei dem Versuch, sie zu erreichen. Und man soll sich von den Fehlern dann keineswegs irritieren lassen. Man soll trotz Fehlern und Widerständen “weiter gehen”, so Goethen nochmal, denn auch die Irrtümer seien uns nützlich, “indem sie aufmerksam machen und den Scharfsichtigen Gelegenheit geben, sich zu üben”. Voilà - Goethen und Peterson aufs Schönste vereint, nedwahr, und das heutige wie gesagt immerhin 270. Jubelfest schon mal würdig begonnen, immerhin!

Rainer Niersberger / 28.08.2019

Da ist ohne Zweifel einiges dran, was aber eine Differenzierung umso wichtiger macht. Vor allem in Zeiten des „ anything goes“ oder „ Du kannst Alles erreichen, wenn Du nur richtig willst“. Dem ist natürlich nicht so und ich habe ein großes Problem damit,  Menschen mit z.B. schweren Krankheiten irgendwelche Selbstschuldgefühle einzupflanzen und allen ! wenig bis nicht „Erfolgreichen“ das Versagerimage anzuheften. Tatsache ist, dass dieses Leben nicht nur von Genen und Sozialisation, sondern massiv von Zufällen bestimmt wird, womit „ der Mensch“ auf seiner ständigen Kausalitätssuche ein Problem hat, heute mehr denn je zuvor. Die übliche Redewendung, man könne dem Zufall ( Glück)“ nachhelfen“ , führt in diese Richtung. In einer Zeit, in der es realiter um alles Mögliche, kaum noch um Leistung und schon gar nicht um „ Charakter“ ieS geht, in der reine Äußerlichkeiten dominant sind, muss es evolutionäre Verlierer geben, was keineswegs gegen Diese spricht, eher im Gegenteil. Mir scheint es weniger um vergebliche„ Anstrengungen“ im ( Wettbewerbs)Hamsterrad ohne Niveau zu gehen, als um die Fähigkeit, auch ohne aufgesetztem Dauergrinsen die Dinge, so wie sie sind, zu akzeptieren und einen individuellen !! Weg zu finden, etwa dem des „ homo absolutus“ von Frank Lisson.  Richtig ist, dass der heutige Mensch infantil regrediert und alles Mögliche, nur nicht seine Selbstverwirklichungs - und Erfüllungsbedürfnisse mit sofortiger Befriedigung und die daraus resultierenden Folgen, seine zum Scheitern verurteilte Optimierungssuche, für sein „ empfundenes“ Unglück verantwortlich macht. Das hat er aber so gelernt.

Esther Burke / 28.08.2019

Zu diesem ermutigenden Wegzeiger (“Gehe mit Gott”) die Losung*  von heute :  “Siehe, ich will meinen Engel senden, der vor mir/dir her den Weg bereiten soll.” Maleachi 3,1 (* nach dem Frühstücken - privilegiertes Rentnerdasein!! -  lesen wir immer erst die “Losung”,  sozusagen als Filter für die unerfreulichen polit. Realitäten eines neuen Tages; “Gegengift” )

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