112-Peterson: Viele Eltern rächen sich an ihren Kindern

„Lass nicht zu, dass deine Kinder etwas tun, das sie dir unsympathisch macht“, lautet ein Kapitel in meinem Buch „12 Rules For Life“. Ich freue mich, dass dieses Kapitel recht kontrovers aufgenommen wird. Es gründet sich auf die Beobachtung, dass viele Eltern ihre Kinder physisch und psychisch verletzen. Natürlich werden sie alle sentimental, wenn es um die Beziehung zwischen Eltern und Kindern geht – insbesondere um die Beziehung zu sich selbst: Denn alle denken von sich, dass sie gute Eltern werden, während genau das alles andere als offensichtlich ist. 

Eltern, die nicht wissen, wie man Kinder diszipliniert, werden von ihren Kindern in ihren Streitigkeiten um die Hierarchie oft mit Füßen getreten. Kinder drängen auf eine Position in der Hierarchie, und das tun sie mit ihrem Verhalten. Sie erspüren quasi die Konturen der sozialen Struktur.

Ein Beispiel: Ihr Kind benimmt sich zu Hause beim Abendessen perfekt. Beim Essen bei Fremden aber fällt es urplötzlich aus der Rolle. Und Sie fragen sich: Was ist bloß los mir dir, du kleines Monster? Das ist los: Das Kind will herausbekommen, welche Machtverhältnisse in der neuen Situation bestehen. Es tut das nicht wissentlich. Es verhält sich aber so, um herauszufinden, ob die Regeln, die zu Hause gelten, auch in der neuen Situation gelten.

Kinder können nicht danach fragen; sie wissen nicht einmal, dass es genaue Regeln gibt. Es gibt für sie nur die Regularien, die sie gelernt haben. So testen sie es ein ums andere Mal aus. Und Sie müssen ihm ganz klar und deutlich zeigen, dass auch hier dieselben Regeln wie zu Hause gelten.

Erzieherische Disziplin – für Sie und Ihr Kind

Viele Eltern schrecken jedoch davor zurück, ihre Kinder zu disziplinieren. Sie glauben, dass uneingeschränkte Freiheit das Beste für sie und dass Einschränkungen unangemessen sind. Das jedoch ist ein fundamentaler Irrtum, eine Annahme, wie sie falscher nicht sein könnte.

Wenn Sie zulassen, dass Ihr Kind eine Situation auf Ihre Kosten zu seinem Vorteil nutzt und wenn Sie Rückgrat haben und Aggression verspüren – was Sie sicher tun, vor allem, wenn Sie es sich nicht eingestehen –, dann werden Sie sich an Ihrem Kind rächen. Wenn Ihr Kind Sie beim Einkaufen blamiert, weil Sie ihm die Buntstifte oder die Schokolade nicht kaufen wollen, dann mögen Sie sich noch sagen, dass das in Ordnung geht und dass Sie nicht so wütend sind. Aber innerlich kochen Sie. Wenn das Kind dann zu Hause etwas Schönes gebastelt oder eine gute Tat vollbracht hat und zu Ihnen kommt und belohnt werden will, dann geht die Wahrscheinlichkeit gegen Null, dass Sie es angemessen belohnen. Sie werden nämlich die Gelegenheit nutzen, sich an Ihrem Kind zu rächen. Wenn Ihnen das nicht bewusst ist, füllen Sie Ihre Elternrolle nicht gut aus.

Wenn Ihr Kind sich so verhält, dass es Ihnen nicht gefällt, sollten Sie herausfinden, wie Sie dieses Verhalten stoppen und dem Kind richtiges Benehmen beibringen können. (Sprechen Sie aber mit Ihrer Frau bzw. Ihrem Mann, um sicherzugehen, dass Sie dabei nicht zum Monster werden.) Diese erzieherische Disziplin ermöglicht es Ihnen, Ihr Kind zu mögen, solange Sie es lieben.

Und mehr noch: Eltern reden oft davon, Selbstachtung und Kreativität und all das in ihren Kindern zu fördern. Aber das wird oft missverstanden und ist aus verschiedenen Gründen zu flach. Erstens: Kreativität lässt sich nicht so einfach fördern, denn es gibt sie selten. Zweitens: Selbstachtung ist ein nur schlecht definiertes Konzept, mit dem meistens Schaden angerichtet wird. Als Eltern eines zwei- bis vierjährigen Kindes müssen Sie ihm vielmehr helfen zu lernen, mit seinem Verhalten Menschen für sich zu gewinnen, sodass diese bei Begegnungen lächeln und das Kind gerne um sich haben. 

Alle Eltern können ihre Kinder verletzen

Ich habe Kinder erlebt, die sich nicht benehmen konnten. Überall, wo sie hinkamen, stand ein falsches Lächeln auf dem Gesicht der Leute. Und überall waren die Leute erleichtert, wenn sie wieder gingen. So sieht die Welt aus der Sicht dieser Kinder aus: Jeder lügt sie an, jeder hasst sie. Das ist ihre traurige Welt. 

Ihr Kind sollte dagegen imstande sein, minimalen sozialen Anforderungen gerecht zu werden: z.B. eine Stunde lang zivilisiert am Tisch zu sitzen, Danke beim Essen zu sagen, teilen zu können, Erwachsenen zuzuhören (und nicht den schrecklichen Zynismus und die Arroganz besitzen, wie sie sich sogar in Vierjährigen entwickeln können, die immer ihren Willen bekommen).

Denn dann werden diese Kinder mit ihrem Verhalten die Sonnenseite der Erwachsenen zum Vorschein bringen: Überall lächeln die Leute sie an und streicheln ihnen übers Haar, erzählen ihnen vielleicht sogar nützliche und spannende Dinge, sodass sich ihnen die ganze Welt öffnet. Das ist die Folge davon, dass Sie den Mut haben, sich einzugestehen, dass Ihr Kind Dinge tun kann, die Sie nicht mögen – und dass Sie das an ihm auslassen werden, wenn Sie es nicht zu verhindern wissen. Diese Vorstellung mögen die Leute jedoch nicht, weil sie meinen, dass sie ihr Kind lieben und nichts und niemand sie jemals dazu bringen wird, es zu verletzen. Falls Sie so denken, besteht kaum Hoffnung für Sie. 

Als Eltern müssen Sie sich vielmehr klar machen: Ich bin wesentlich größer, fieser, durchtriebener und unberechenbarer als dieses Kind. Und daher gebe ich in meiner Beziehung zu diesem Kind besonders acht, damit das Schlechteste in mir nicht hervorkommt. Diese Klugheit erlaubt es Ihnen, einen minimalen disziplinierenden Rahmen aufzustellen, den Sie angemessen und vorsichtig durchsetzen. Und dann können Sie eine unglaublich gute Beziehung zu Ihrem Kind aufbauen.

Dieser Beitrag ist ein Ausschnitt aus dem Podcast Nr. 98 von Jocko Willink, wo Peterson zu Gast war. Hier geht’s zum Ausschnitt, hier zur vollständigen Folge des Podcasts. 

Foto: jordanbpeterson.com

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Leserpost

netiquette:

Yvonne Flückiger / 09.01.2019

@Wolfgang Kaufmann, da ist Ihnen aber das Kind mit dem Bade ausgelaufen…... Kleine Kinder sollten eben Mütter zuhause haben und nicht die Zeit in Kitas verbringen müssen. Damit Mütter nicht “regredieren”, resp. in Kontrollitis und Symbiose mit dem Kind ersticken, können(sollten)  andere Massnahmen ergriffen werden, als die Trennung von Mutter und Kind. Zum Beispiel einen starken und guten Partner und einen ausgleichenden Erzieher in Form des Vaters. Oft sind aber eben die Väter ebenfalls infantil und somit der Mutter keineswegs eine Stütze. Und den Kindern erst Recht nicht.

Sandra Müller / 09.01.2019

Lieber Herr Peterson, dann scheinen wir (mein Mann und ich) ja intuitiv alles richtig zu machen. Unsere beiden Kinder (ein Mädchen und ein Junge) sind im Grundschul- bzw. Kindergartenalter. Ich bin stolz auf sie und erfreue mich daran, dass die Menschen so auf die beiden reagieren, wie Sie es beschrieben haben: “...Überall lächeln die Leute sie an und streicheln ihnen übers Haar, erzählen ihnen vielleicht sogar nützliche und spannende Dinge, sodass sich ihnen die ganze Welt öffnet. ...” Es ist wirklich so! Sie schreiben: “...Ihr Kind sollte dagegen imstande sein, minimalen sozialen Anforderungen gerecht zu werden: z.B. eine Stunde lang zivilisiert am Tisch zu sitzen, Danke beim Essen zu sagen, teilen zu können, Erwachsenen zuzuhören…” Diese Aufzählung ließe sich noch erweitern, z.B. durch: Hilfe anbieten, um Entschuldigung bitten können, höflich sein, sich nach einem Streit wieder miteinander versöhnen können, nicht alles mögliche unbedingt haben wollen/auf Dinge verzichten können, Verantwortung übernehmen (z.B. für ein Haustier), Verständnis zeigen (z.B. für ältere Menschen) usw. ... Zugegeben: Es ist oft anstrengend, aber es lohnt sich (für alle Beteiligten). Unser Leitsatz war von Anfang an: liebevoll und konsequent! P.S. Eine ganze Stunde lang hat allerdings bisher noch keiner von beiden an einem Tisch gesessen, das halte ich (aus Sicht von Kinder im Alter von acht bzw. vier Jahren) noch für zu lang, aber sie müssen zumindest aufeinander warten, d.h. wenn einer von beiden bereits fertig ist, muss derjenige am Tisch sitzen bleiben, bis auch der andere fertig gegessen hat.

Matthias Kaufmann / 09.01.2019

Ein schönes, tiefgründiges Plädoyer gegen den Laissez-faire-“Erziehungsstil”.

beat schaller / 09.01.2019

Wieder einmal mehr auf den Punkt gebracht, sehr geehrter Herr Dr. Peterson. Vielleicht nicht für alle, aber für mich auf jeden Fall. Danke. b.schaller

Wolfgang Kaufmann / 09.01.2019

Eltern sollten nicht mit ihren Kindern fraternisieren; ihner Rolle verlangt Führung. Sie müssen den Kindern frühzeitig die Anforderungen vermitteln, die später unweigerlich gelten. – Sie müssen die Kleinen nicht helikoptermäßig beschützen und in Kontrollitis ersticken, sondern sie müssen sie lebensfähig machen durch Zutrauen und Loslassen. – Wie weit sind regressiven Partnerschaften bereits der Normalfall: Papa geht arbeiten, Mutter und Kind verharren in Symbiose? Insbesondere ein Einzelkind wird leicht zum Ersatzpartner, meist der Mutter, während sie aus ihrer Rolle fällt, ihre Leadership leugnet und stattdessen sich selbst infantilisiert. Oft genug wäre das Kind in Kita, Kindergarten, Schule besser aufgehoben und die Mutter im Betrieb, wie dies in normalen Ländern üblich ist.

Werner Arning / 09.01.2019

Erst durch das Setzen von Grenzen erlaube ich meinem Kind, eine innere Struktur aufzubauen. Diese besitzt es nämlich nicht von sich aus. Linke, „antiautoritäre“ Erziehung geht häufig davon aus, das Gute sei dem Kind schon innewohnend, man dürfe dieses Gute nur keinesfalls kaputt machen. Daraus schließen sie, man müsse das Kind nur machen lassen, was es gerade möchte, dann würde schon alles gut. Das Kind soll sich ja selbstverwirklichen. Dieses ist ein schwerwiegender Irrtum. Kinder, denen keine Grenzen gesetzt wurden, werden nicht selten zu unglücklichen Menschen. Kinder brauchen Orientierung, brauchen Anleitung, brauchen auch Disziplin. Auch wenn dieses heute fast zu einem Unwort geworden ist. Erst das Erlernen ihrer Stellung in der Familie, in der Welt, gibt ihnen Sicherheit. Ansonsten bleiben sie ständig auf der Suche nach dieser. Dann müssen sie immer wieder ihre Grenzen austesten. Und sehnen dich dabei doch innerlich danach, endlich genau diese vermittelt zu bekommen. Und diese Vermittlung ist Aufgabe der Eltern und auch anderer Erwachsener, die an dem Leben des Kindes teilnehmen. Man kann einem Kind, indem man ihm nie „Nein“ sagt genauso schaden, als würde man es vernachlässigen. Denn wird versäumt Grenzen zu setzen, wird die Erziehung als solche versäumt und auf diese hat das Kind einen Anspruch.

Peter Pertz / 09.01.2019

Nicht doch, Disziplinierte Kinder? Laut Broschüre von der Amadeo Antonio Stiftung wären das dann Kinder von Nazis. Das geht doch gar nicht.

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