112-Peterson: Trotz Drama kein Opfer sein

Ich wurde gefragt, welchen Rat ich für einen Menschen habe, der ein traumatisches Erlebnis gemacht hat, sich aber trotzdem nicht als Opfer abstempeln lassen will.

Zunächst einmal gibt es im Leben nicht gerade wenig Anlass sich ausgeliefert zu fühlen. Psychotherapeuten der 50er Jahre beriefen sich gerne auf Heideggers Begriff der „Geworfenheit“, der willkürlichen Natur unserer Existenz.

Angefangen damit, dass wir die Ethnie und Rasse, die uns zugedacht wurde, hinnehmen müssen und keine Wahl haben. Wir sind zugleich Opfer und Nutznießer unserer Herkunft. Wir sind Opfer und Nutznießer all der Wunder und Gräueltaten, die wir in der Vergangenheit erlebt haben. Wir müssen mit unseren Emotionen umgehen. Wir müssen mit der Zeit und dem Ort umgehen, an dem wir uns gerade befinden.

Das gesamte Leben ist eigentlich auf Endlichkeit und Sterblichkeit ausgerichtet. Und im Grunde kann man sagen, dass wir alle durch unsere Empfindlichkeit für Tragödie und Verletzlichkeit zum Opfer gemacht werden. Dann ist aber die Frage, wie man damit am besten umgeht und dem eben nicht zum Opfer fällt?

Als meine Tochter klein war, war sie sehr krank (sie litt u.a. an Arthritis, Anm.d.Red.). Morgens hatte sie beim Aufstehen oft große Schmerzen. Da sie aber in die Schule musste, sagten ihr meine Frau und ich: „Nutze deine Krankheit nicht als Ausrede, denn du hast bereits genug ernste Probleme. Wenn du es schaffst, zwischen dem Teil zu unterscheiden, den du trotz deiner Krankheit machen kannst und dem Teil, den du wegen deiner Krankheit nicht machen kannst, hast du ein weiteres Instrument, um mit deiner Situation umzugehen. Versuche diese beiden Teile nicht verschwimmen zu lassen.“ Sie hat das tatsächlich geschafft, und zwar ziemlich unbeschadet. Trotz aller Schwierigkeiten hat ihr diese Einstellung sehr geholfen.

Opfer oder tragische Figur?

Nachdem sie eine künstliche Hüfte bekommen hatte, konnte sie nicht besonders gut laufen. Also haben wir entschieden, dass sie Motorroller fahren lernen sollte. Dies war natürlich ein beängstigender Gedanke angesichts der Tatsache, dass sie gerade eine Hüft-OP hinter sich hatte. Andererseits brauchte sie einen Motorroller, um wenigstens einigermaßen Bewegungsfreiheit zu haben.

Sie besuchte also mit ihrer Mutter die Motorrad-Fahrschule, wo man Motorräder benutzte und keine Motorroller. Einer der Fahrschüler verunglückte während einer Fahrstunde. Das war für meine Tochter sehr traumatisch. Am nächsten Tag hatte sie zu große Angst, um die Fahrschule zu besuchen. Wir sagten ihr, dass wir das verstehen würden, rieten ihr aber, trotzdem hinzufahren und zu sehen, ob sie es nicht dennoch schaffen würde teilzunehmen. Das tat sie, bestand ihre Prüfung und konnte in den nächsten Jahren auf dem Motorroller durch die Stadt sausen.

Selbstverständlich war es grundsätzlich nicht leicht, diese Trennlinie auszumachen, an der wir uns in unserer Erziehung entlang manövrierten. Als Eltern hat man natürlich eine überbordende Empathie, die unter solchen Umständen zerstörerisch wirken kann. Dann verhätschelt man sein Kind mehr als unbedingt notwendig ist. Und weil das Kind leidet, hat man auch wirklich allen Grund dazu. Aber ist es gut, ein Opfer und zugleich eine tragische Figur zu sein?

 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Kanal von Jordan B. Peterson.

Foto: jordanbpeterson.com

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Leserpost

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Karla Kuhn / 06.04.2022

“Ich wurde gefragt, welchen Rat ich für einen Menschen habe, der ein traumatisches Erlebnis gemacht hat, sich aber trotzdem nicht als Opfer abstempeln lassen will.”  Was für eine Frage. Wenn ich mich entschlossen habe, mich NICHT als Opfer abstempeln zu lassen, benötige ich keinen Rat, da ich meine Entscheidung bereits getroffen haben. Werner Arning, “Das Opfer wird regelrecht dafür belohnt, ein Opfer zu sein.”  Es scheint in der heutigen POLITIK allerdings darauf anzukommen, WEM in erster LINIE die “Opferrolle” nützt. Ein “Nahzieh” auch wenn noch gar nicht feststeht, ob er überhaupt eine Tat begangen hat, scheint in den meisten Fällen SOFORT der TÄTER zu sein.  Ein “PSYCHISCH” kranker TÄTER, teils auch noch mit MIGRAHIGRU, ist offenbar in vielen Fällen das OPFER. Bei Vergewaltigungen kann vermutlich das WAHRE OPFER ihn zu der Tat animiert haben, z.B mit einem “kurzen Röckchen.” Geht gar nicht in Deutschland. Ich bin immer begeistert, wenn ein Polizist gleich am TATORT erkennt, daß es sich um einen “psychisch kranken “Täter”  handelt, der doch das eigentlich Opfer sein müßte. Ich erinnere mich an den Autofahrer der in einen Menge Kinder ? gerast ist/ sein soll. Auf hoher See und vor Gericht , soll man ja angeblich in Gottes Hand sein.  Kommen jetzt noch die PSYCHIATER-Polizisten” dazu ?? In deren Hand man ev. auch noch sein könnte ? Sie sehen, es scheint gar nicht so einfach zu sein, sich zwischen Täter und Opfer entscheiden zu müssen. (ECHTE OPFER natürlich ausgeschlossen !!)

Stanley Milgram / 06.04.2022

Es wird immer schwerer, zwischen echten und vorgeblichen Opfern zu unterscheiden. Man schaue sich mal den Fall “Jil Ofarim” an, hier wird es sehr deutlich. Das arme Opfer bekommt Mitleid von allen Seiten, lediglich aufgrund der eigenen Aussage, ein Opfer zu sein. Doch möglicherweise, in dubio pro reo, handelt es sich um einen Täter, der mit seinem angeblichen Opferstatus irgendeinen Vorteil für sich herausschlagen will. Es gibt da einige Bevölkerungsgruppen, die dieses Spiel benutzen, und bei nächster Gelegenheit selbst Täter sind. Der arme Pizzabäcker, dem angeblich Rechte seinen Laden angezündet haben, die angeblich von Kachelmann vergewaltigte Frau… und endlose Beispiele mehr. Man kann auch beides sein oder vom einen zum anderen werden. Wichtig ist doch, dass man selbst weiß, was man gerade ist und aus dieser Situation wieder herausfindet hin zur Mitte.

Thomas Taterka / 06.04.2022

Jeden Abend trittst Du zur Geiselhaftstrafe vor dem Fernseher an und tagsüber überprüfst Du die Randnotizen anderer beim Wiederkäuen , um Dich auf ” Dein Ziel” auszurichten . In welch’  lächerliche Freiheit willst Du denn entkommen, Du ständig totgeborenes Gedankenwrack ? Hofgang ist alles , was Dir noch gewährt wird .

Werner Arning / 06.04.2022

Unsere heutige Gesellschaft honoriert das Opfer mehr, als dieses dem Opfer gut tut. Das Opfer wird regelrecht dafür belohnt, ein Opfer zu sein. Dadurch legt die (übersoziale) Gesellschaft das Opfer auf seine Opfer-Rolle fest. Sie überredet das Opfer, sich als Opfer zu fühlen, indem sie den Opfer-Status geradezu fördert. Es lohnt sich, ein Opfer zu sein und ein Opfer zu bleiben. Zu früheren Zeiten wurde benachteiligten Personen sicher häufig zu wenig Beachtung geschenkt, doch das Beschwören der „Opferschaft“ hilft dem Benachteiligten ebensowenig. Denn es erschwert ihm die Aussicht, selber aus seiner Opferrolle herauszufinden. Es hindert ihn daran, sein Leben relativ selbstständig zu meistern. Es wird es vorziehen, die Vorteile des Opferstatus auch in Anspruch zu nehmen, sie auszuschöpfen. Und lernt auf diese Weise womöglich nie Selbstständigkeit und Autonomie.

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