112-Peterson: Prüfen Sie sich selbst

Die meisten Menschen tragen viel Schuld mit sich herum. Doch wie soll man mit dem inneren Kritiker am Besten umgehen?

Wir neigen dazu, zynisch zu denken, dass die meisten Menschen eher egoistisch sind. Dass sie egozentrisch sind und nur das wollen, was für sie selbst gut ist. Aber das ist gar nicht wahr. Es gibt zwar einige Menschen, die routinemäßig andere Menschen ausnutzen, um das zu bekommen, was sie im Moment wollen. Das gibt es aber nur selten, in der extremen Form von Psychopathie. (…)

Es sind nie mehr als drei Prozent der Menschen, und um die Psychopathen herum gibt es vielleicht noch eine Art Wolke von Narzissten, die in dieselbe Richtung tendieren, aber noch nicht so weit sind. Und vielleicht könnte man noch weitere fünf hinzufügen, je nach Schweregrad. Aber bei den allermeisten Menschen ist das einfach nicht der Fall. Die meisten Menschen haben das umgekehrte Problem. Sie behandeln sich selbst schlechter, als sie andere Menschen behandeln. (...)

Vielleicht behandeln Sie andere Menschen nicht so gut, weil Sie denken, dass die es so verdient haben. Warum sollten Sie das denken? Nun, weil Sie wissen, dass die Dinge bei denen nicht so gut sind, wie sie sein könnten. Und Sie wissen, dass diese Leute Fehler gemacht haben, dass sie vom Weg abgekommen sind. Sie haben Dinge getan, die sie nicht hätten tun sollen. Also behandelt man sie nicht so gut, wie man es sonst tun würde.

Aber über sich selbst können Sie das auch sagen und wissen Sie es besser als über jeden anderen, oder? (...) Sie haben privilegierten Zugang zur gesamten Palette der Sünden, für die Sie verantwortlich sind, und das ist eine Menge. Und die meisten Menschen tragen eine schwere Last an existenzieller Schuld. Manches davon ist nicht gerechtfertigt. Oft sieht man Menschen, die ein Über-Ich im Freudschen Sinne haben, das sie lautstark anschreit. Einige der Dinge, die man in der Therapie mit Menschen macht, die so übertrieben gewissenhaft sind, dass ihre eigene innere Stimme ein Tyrann ist, ist, dass man versucht, sie zu mäßigen.

Unschuldsvermutung

Man kann sich selbst zu sehr für sein Fehlverhalten tadeln, aber selbst wenn man das nicht tut, hat man im Allgemeinen eine ganze Menge Fehlverhalten. Das hat zur Folge, dass man sich schämt und unsicher über seinen eigenen Wert ist. Und dann denkt man, dass man es nicht wirklich verdient hat, gut behandelt zu werden (...) Manchmal geraten Menschen in eine Situation, in der sie auf schreckliche Weise eines Fehlverhaltens beschuldigt werden. Vielleicht in einem Scheidungsfall oder vielleicht bei der Arbeit. (...)

Wir haben die Unschuldsvermutung, was ein Wunder ist. Es ist ein solches Wunder, dass unser Rechtssystem tatsächlich von dieser Perspektive ausgeht, weil es so viel einfacher ist, zu sagen, dass jemand einer Sache schuldig ist. (...) Eines der Dinge, die ich meinen Klienten in einer solchen Situation geraten habe, ist, eine Verteidigung zu verfassen. Man tut so, als wäre man unschuldig, nur um der Argumentation willen. Das Gleiche können wir auch an der Schuldfront tun. Vielleicht sollten Sie, wenn Sie in Schwierigkeiten stecken, sowohl Ihre Schuld als auch Ihre Unschuld begründen, um das ganze Gebiet abzugrenzen.

Aber zumindest sollten Sie sich verteidigen. Wenn Sie denken, dass andere Menschen es wert sind, dass man sich um sie kümmert, dann sind sie Individuen wie Sie. Es scheint nicht sehr plausibel zu sein, dass sie einen Wert haben könnten und Sie nicht, es sei denn, Sie sind der schlechteste Mensch, den es gibt. Das sind Sie wahrscheinlich nicht. Sie sind schlecht genug, aber im Durchschnitt nicht schlechter als jeder andere.

Dies ist ein Auszug aus einem Video von Jordan B. Peterson.

Foto: Shane Bart Balkowitsch CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Ute Maria Laufs / 19.06.2024

Spricht Herr Peterson am Ende über sich selbst und seinen podcast mit Douglas Murray? Dort hat er die Gentherapie über den Klee gelobt und angepriesen für jeder Mann und jede Frau. Die Unschuldsvermutung kann in Bezug darauf nicht greifen. Alles öffentlich. Alles nachvollziehbar. Ich denke, dass ist das wirkliche Problem mit unverlangten Bekenntnissen und Selbstenthüllung. Da hat die Scham gar keine Basis mehr und kann demzufolge auch nicht gelebt werden. Psychopathie ist auch nicht die einzige Form, die Egoismus hervorbringt. Die letzten vier Jahre und das immerwährende Theater des Absurden hat gezeigt und zeigt noch immer wie wenig humanistisches Denken und Handeln im Privaten und im Öffentlichen eine Rolle spielt.

Klara Altmann / 19.06.2024

“Es scheint nicht sehr plausibel zu sein, dass sie einen Wert haben könnten und Sie nicht, es sei denn, Sie sind der schlechteste Mensch, den es gibt” Es ist aber anscheinend möglich, den Menschen einer gesamten Nation einzureden, sie hätten keinen Wert aufgrund geschichtlicher Ereignisse, die bald 80 Jahre her sind. Es ist auch möglich, ständig verbal auf sie einzuschlagen, sie zu beschimpfen und sie verächtlich zu machen für Ereignisse, die sie normalerweise nicht verursacht haben, da sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht lebten oder zu jung waren, um Einfluss zu haben. Und es ist möglich, diesen Menschen alles abzuwerten, die eigene Kultur, das Recht auf Freiheit und Sicherheit im eigenen Staat, das Recht die eigene Meinung zu sagen und sie wehren sich nicht. Weil sie nie gelernt haben, sich zu wehren, weil wie in Kafkas Prozess das Urteil von vornherein feststeht, egal was sie tun oder je getan haben. Sie sind verurteilt, eine Generation nach der anderen, entwertet und schikaniert von der eigenen Führung. Es ist keine innere Stimme, es ist äußere Schikane, die mit immer schlimmeren Drohungen einhergeht, einschließlich der Existenzvernichtung. Ein Individuum kann sich zu einem freien Menschen mit gutem Selbstwert entwickeln in einer Gesellschaft, die das zulässt oder gar fördert. In Deutschland, Herr Peterson, muss sich nicht der Einzelne prüfen, sondern die Gesellschaft ist darauf zu prüfen, was sie seit langem mit ihren Menschen macht.

Klaus Keller / 19.06.2024

An Ralf Pöhling: Ich unterscheide gerne Psychopathen und Soziopathen. Letztere schädigen die Gesellschaft. Der Psychopath hat einen schlechten Ruf weil Psychopathen, Personen deren geschädigte Psyche einen Mangel an Empathiefähigkeit aufweist, auch Straftaten begehen können. Das ist hängt m.E. aber von der Sozialisation ab. Man kann aus Vernunftgründen richtig Handeln. Der Arzt in der chirurgischen Notaufnahme benötig in erster Linie Fachwissen und Können um richtig zu handeln. Empathie kann hier sogar hinderlich sein. Journalisten beklagen hin und wieder den Mangel an Empathie bei Ärzten z.B. Ich Frage mich wo diese Wunderkinder herkommen sollen die bei den vielen Anforderungen die man an sie stellt auch das noch perfekt können. Ich denke Psychopathen mit gutem Charakter können auch sehr gut bei der Kriminalpolizei, der Feuerwehr oder im Börsenhandel arbeiten. Für die Gesellschaft ist ja nicht deren Empfindung von Bedeutung sondern deren Handeln. Was nutzt mir eine empathische Außenministerin die nicht interessegeleitet handelt sondern scheinbar in erster Linie emotional.

Klaus Keller / 19.06.2024

... aber selbst wenn man das nicht tut, hat man im Allgemeinen eine ganze Menge Fehlverhalten. Das hat zur Folge, dass man sich schämt und unsicher über seinen eigenen Wert ist… Ob der Autor auch mit Leuten wie Herr Biden oder Herr Netanjahu gesprochen hat ? Mit einem ausreichendem Vorrat an Arroganz schämt man sich doch nicht. Auch der Bundestag ist voller Leute die sehr wahrscheinlich keinerlei Schamgefühl haben.

Ralf Pöhling / 19.06.2024

Zitat:“Es gibt zwar einige Menschen, die routinemäßig andere Menschen ausnutzen, um das zu bekommen, was sie im Moment wollen. Das gibt es aber nur selten, in der extremen Form von Psychopathie.” Einspruch. Das ist nicht die Ausnahme und auch kein Einzelfall, es ist die Regel. Es wird nur hinter einem völlig verlogenen Weltbild verschleiert. Die wirkliche Ausnahme sind Menschen, die einfach nur in Ruhe gelassen werden wollen. Aber man lässt sie einfach nicht in Ruhe. Weil die Psychopathen die absolute Mehrheit in der Gesellschaft stellen und die wenigen normalen Menschen andauernd unterdrücken und ausplündern wollen. Insbesondere in der Politik. Da geht es nicht um Lösungen für ein zivilisiertes Miteinander. Das ist ein Sammelbecken für Psychopathen, die sich dort selbst auf Kosten anderer bereichern wollen, ohne dafür strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden zu können, weil sie dort selbst über genau den Gesetzen stehen, die sie andauernd für alle anderen erlassen.

Fred Burig / 19.06.2024

“Sie sind schlecht genug, aber im Durchschnitt nicht schlechter als jeder andere.” Diese Aussage scheint als Freibrief derzeitigen politischen Handelns genutzt zu werden!  Hoffentlich wird das bei der Feststellung der Schuldigen im Rahmen der kriminellen “Corona- Maßnahmen” nicht als Argumentationsgrundlage für mildernde Umstände verwendet .... MfG

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