112-Peterson: Pornografie und Intimität

Im Folgenden geben wir ein Gespräch zwischen Jordan B. Peterson und dem Blogger Andrew vom Youtube-Kanal Sorting Myself Out wieder:

Andrew: Irgendwann begann ich, mir oft Pornos anzusehen. Es durfte nicht irgendetwas sein, die Pornos mussten einem bestimmten Bild entsprechen. Ich beschränkte mich mehr und mehr auf einen einzigen Typ. Dann las ich eines Tages das Buch „Neustart im Kopf“ von Dr. Norman Doidge (...) Und ich verstand vollkommen, worum es ging. Mir wurde klar, dass ich mit jedem Nachgeben den Schaltkreis am Laufen halte und es besser wird, wenn ich nicht nachgebe. Doch das Umsetzen bereitete mir Probleme. Ich habe es vor Kurzem geschafft. Seit über einem Monat sehe ich keine Pornos mehr.

Jordan B. Peterson: Ich würde Dir diesbezüglich gerne ein paar Fragen stellen. Im Internet gibt es gerade viele Männer, die sich über den Konsum von Pornografie austauschen, obwohl es schwer zu sagen ist, wie viele sich dazu entschließen, aufzuhören. Ich selbst habe mich mehrfach öffentlich dazu geäußert und Pornokonsum als, sagen wir, suboptimal bezeichnet. Ich glaube, er schadet den Frauen, die in Pornos mitwirken, aber auch den jungen Männern, die sie sich ansehen. Denn er gewährt uns den Zugang zu einem Teil, aber verweigert uns das Ganze. Und ich finde das gefährlich, denn Pornografie bietet eine unmittelbare Befriedigung, aber keine Option der mittel- bis langfristigen Entwicklung des Lebens oder des Charakters. Eine gefährliche Falle.

Und dann kommt noch etwas hinzu, worüber sich auch Dr. Doidge in seinem Buch geäußert hat. Wir wissen nicht, was diese massive Belastung durch mehrere virtuelle Sexpartnerinnen für Auswirkungen auf die Entwicklung des Sexualverhaltens, der sexuellen Befriedigung, des sexuellen Impulses sowie der Partnerschaft junger Männer hat. Gewissermaßen also ein technologisches Wunderwerk, das sehr gefährlich ist. Oder wenigstens das Potenzial dazu hat.

Suche nach sofortiger Befriedigung

Was hat Deiner Meinung nach der Pornokonsum mit Dir gemacht und hast Du Nutzen daraus gezogen, ihn zu stoppen und wenn ja, welchen?

Andrew: Eines meiner grundsätzlichen Probleme war die Suche nach sofortiger Befriedigung. In meinem Fall ging es um Essen, Marihuana, Fernsehen und Pornos. Meine Gedanken kreisten also ständig um eines davon, und sobald die Erfahrung vorbei war, spürte ich eine kleine schnelle Erlösung, sodass ich mich gut fühlte, bis der Schmerz wiederkam. Irgendwann wurde mir klar, dass mein Vergnügen lediglich darin bestand, Schmerz loszuwerden. Schmerz und Vergnügen waren also zwei Seiten derselben Münze, die ich immer und immer wieder warf.

Nachdem ich beschlossen hatte, damit aufzuhören, dachte ich, dass ich versuchen will, es jedes Mal aufzuschreiben, wenn ich den Wunsch verspüre, Pornos zu sehen. Am ersten Tag konnte ich es kaum glauben, denn fast jede Minute hatte ich einen Gedanken wie: „Schau Dir einen an, schau Dir einen an.“ Ich beobachtete, wie meine Gedanken versuchten, mich auszutricksen. Ich weiß nicht, wie Du das findest, aber schließlich habe ich mir immer auf eine bestimmte Stelle auf meinem Daumen gebissen, wenn ich an Pornos dachte. Dann stellte ich fest, dass in den nächsten Tagen die Gedanken immer seltener kamen. Und nun, wo es einen Monat her ist, denke ich kaum noch daran und der Nutzen ist für mich, dass ich mich um einiges bewusster fühle und nicht mehr so sehr nach Vergnügen suche. Ich genieße es jetzt, spazieren zu gehen und in der Natur zu sein.

Peterson: Dein Bericht erinnert wirklich sehr stark an eine Sucht. Das hast Du echt gut erklärt. Wenn Du Dich auf ein Verhalten einlässt und dann ein Ausbruch der Freude wie bei einem Orgasmus einsetzt, wird dieses Verhalten bestärkt und der Schaltkreis, der Dich zu diesem Verhalten bringt, wird stärker werden. Denn Verhalten, das in eine Belohnung gipfelt, wird tendenziell stärker. Dazu gehören Einstellungen, Ideen, Gedanken, Impulse und Rationalisierungen von genau der Sorte, die Du beschrieben hast. Dann hast Du erzählt, dass Dich der Verzicht die ersten ein oder zwei Tage wirklich geplagt hat und dann angefangen hat, ziemlich steil nachzulassen, und das ist ein gutes Beispiel dafür, wie das Verhalten erlischt, wenn man aufhört, es zu belohnen.

Und was hat es Dir gebracht? Und inwiefern glaubst Du, wird sich das auswirken hinsichtlich Deiner Bereitschaft oder Deiner Fähigkeit, eine langfristige Beziehung zu führen?

Andrew: Natürlich habe ich jetzt plötzlich viel mehr Freizeit. Und was die Partnersuche angeht ... Ich habe oft keinen Kontakt zu Frauen gesucht, weil ich das Gefühl hatte, dass es mir bloß Probleme bereiten würde, egal wo es hinführt. Einmal sprach mich eine Frau an, und wir hatten ein paar Dates und es lief toll. Sie fühlte sich von mir angezogen, ich fühlte mich von ihr angezogen, wir verstanden uns super. Aber als es darum ging, miteinander intim zu werden, begann ich zu zittern wie Espenlaub. Denn ich war so sehr daran gewöhnt, den alten Reiz der Vorstellung zu nutzen. Immer dieselbe Sache, die ich mir im Kopf vorstellen konnte.

Sex ist mächtig

Ich weiß nicht, woran die meisten Männer denken müssen, wenn sie sich Pornos anschauen. Ich musste mir immer eine ganze Hintergrundgeschichte dazu ausdenken, denn ich hatte ein Problem mit dem Thema Vertrauen aufgrund meiner Vergangenheit. Also stellte ich mir vor: „Wo sind wir? Warum haben wir uns getroffen? Was wird danach passieren?“ Und wegen dieses ganzen Komplexes habe ich den Sex mit dieser Frau vermieden.

Peterson: Dazu folgendes: Ich habe versucht herauszufinden, welche vernünftigen Richtlinien es geben kann, wenn es um die Einleitung sexueller Aktivitäten mit einem neuen Partner geht. Mir scheint, dass man sich wahrscheinlich auf nichts einlassen sollte, worüber man mit dem anderen nicht reden würde. Denn das könnte bedeuten, dass man den anderen nicht gut genug kennt, um mit ihm körperlich so weit zu gehen. Und das birgt Gefahren in sich. Du hast einige von ihnen umrissen. Sex ist mächtig. Besonders, wenn Du unerfahren bist, kannst Du leicht verletzt werden und der Schmerz kann langfristig oder permanent sein. Und so gestaltet sich dann auch Deine Beziehung. Und eines der Dinge, die ich Dir vorschlagen würde, wenn Du die nächste Beziehung eingehst, ist folgendes, auch wenn es schwer fällt: Und zwar, sexuell nicht weiter zu gehen, bis Du nicht bereit dazu bist, darüber zu sprechen, wie Du in partnerschaftlicher und sexueller Hinsicht tickst.

Diese Art von emotionaler Intimität scheint der richtige Vorläufer für körperliche Intimität zu sein. Und ich weiß, dass unsere Kultur vermutlich seit Erfindung der Antibabypille uns sehr dahin treibt, schnell weiter zu gehen. Es herrscht die allgemeine Vorstellung, dass zwangloser Sex erstens möglich und zweitens erstrebenswert sei. Aber ich glaube, das ist ein großer Fehler. Ich glaube keines von beidem. Ich glaube nicht, dass es sowas wie zwanglosen Sex gibt, und ich glaube auch nicht, dass es wünschenswert ist. Ich glaube, dieser Wunsch bringt den Leuten viel mehr Ärger, als sie glauben.

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus einem Video von Jordan B. Peterson und dem Blogger Andrew vom Youtube-Kanal Sorting Myself Out. Hier geht's zum Auszug.

Foto: jordanbpeterson.com

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Leserpost

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Frank Stricker / 19.06.2019

Lieber Herr Peterson , hier ist leider nicht der evangelische Kirchentag , wo “Vulven malen” und “Richtig kommen” auf dem Programm steht. Von da her empfinde ich ihren Beitrag hier auf der Achse “leicht” deplatziert. Nehmen Sie doch Kontakt mit Herrn Bedford-Strohm oder Herrn Leyendecker auf , die werden ihnen sicherlich ein entsprechendes Forum einräumen. Aber Vorsicht , wehe es kommt einer von der AFD zu ihrem Vortrag , dann muß die Veranstaltung sofort abgebrochen werden !

Werner Arning / 19.06.2019

Im Anschluss an die Jahre der sexuellen „Befreiung“ würde es anstrengend und angestrengt. Ende der 70er galt sexuelle „Zwanglosigkeit“ alles. Man durfte, ja, man MUSSTE alles. Eines ging nicht : Verklemmt sein. Gerade erst kennengelernt und nichts wie in die Kiste? Logisch, warum denn nicht? War man auf Besuch in einer WG und hatte sich nett unterhalten, galt ein körperlicher Nachtisch durchaus nicht als ungewöhnlich. Doch das „Mithalten“ war nicht selbstverständlich. Denn erzogen waren wir ganz anders. Es entstand ein Druck, der mit Freiheit wenig zu tun hatte. Viele meinten, nun ihre Männlichkeit unter Beweis stellen zu müssen (Andere ihre Weiblichkeit) und setzen sich einem regelrechten Leistungsdruck aus. Sexualität wurde zu einer Art kapitalistischer Ware. Von wegen Befreiung. Jetzt erkannte man, dass damit Geld zu verdienen war. Und nicht etwa auf dem Strich. Indem Gefühle von der Sexualität abgekoppelt wurden wie ein alter nutzloser Eisenbahnwaggon, konnte man diese als solche vermarkten. Gefühle, echte Gefühle, und nicht Kitsch oder Scheingefühle, sind bei diesem Unternehmen hinderlich. Sie müssen pervertiert werden. Dann sind sie „auf dem Markt“ wieder zu gebrauchen. Dann kann man sie dann verkaufen, verschicken, ausstrahlen oder aufzeichnen. Die „Verkitschung“ oder Pervertierung von Gefühlen ist ein ungeheures Machtmittel. Denn nichts ist gefährlicher für die „Macht“ als echte Gefühle (sehr anschaulich gemacht in „1984“ von George Orwell). Die „sexuelle Befreiung“ mündete u.a. in eine offene Kommerzialisierung von Sexualität und den damit verbundenen „Gefühlen“. Der junge Mann in Petersons Beispiel müsste zunächst Vertrauen fassen zu sich selber und dann, wenn er sich öffnet, zu einer Partnerin, die ihm aus seiner Isolation heraushilft. Den ersten Schritt muss er jedoch selbst tun. Sich selber versuchen kennenzulernen, wäre ein solcher. Er sollte sich kein Bild von sich machen, sondern nachsehen, wer da überhaupt ist. Und dann dieses „Etwas“ akzeptieren.

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