112-Peterson: Missverständnisse über den Glauben

Wie stärkt man seinen Glauben an das Sein, das Leben, und die eigene Existenz? Man sollte, so scheint mir, nicht versuchen, sich selbst von der Existenz einer transzendentalen Macht zu überzeugen, an die man glaubt, so wie man an empirische Fakten glaubt. Ich denke, das ist der falsche Ansatz. Tatsächlich glaube ich sogar, dass es ein sehr schwacher Ansatz ist, es ist die falsche „kognitive Technologie“ für diese Art von Problem. Es ist eher die Art von Technologie, die man nutzt, wenn man ein wissenschaftliches Problem lösen will.

Glaube sollte eher in Handlungen eingebettet sein als in ausdrückbaren Überzeugungen. Man stärkt seinen Glauben an das Leben, indem man vom Besten ausgeht, und in Bezug darauf mutig handelt. Das ist faktisch ein Ausdruck des Glaubens an das höchstmögliche Gut, ein Ausdruck des Glaubens an Gott. Es geht nicht darum, zu deklarieren: „Ich glaube an die Existenz einer transzendentalen Gottheit.“ Denn letztlich ist es ziemlich egal, woran Sie glauben. Woran jemand glaubt, tut eigentlich nichts zur Sache, viel wichtiger erscheint mir das Handeln.

Meine intensive Beschäftigung mit diesem Thema lässt sich auf Nietzsche und Dostojewski zurückführen. Wie Sie wahrscheinlich wissen, ist Nietzsche der Philosoph, der den Tod Gottes verkündete. Nietzsche war im besten Sinne ein bissiger Kritiker des institutionalisierten Christentums. Er verkündete den Tod Gottes, aber er sagte auch, dass wir nie genug Wasser finden würden, um das Blut wegzuwaschen. Es war keine triumphale Verkündigung, obwohl sie oft fälschlicherweise so interpretiert wird.

Nietzsches Empfehlung völlig falsch

Aus dem „Tod Gottes“, also der Tatsache, dass unsere ethischen Systeme kollabieren würden, wenn ihr Fundament weggezogen wird, zog Nietzsche die Schlussfolgerung, dass die Menschen ihre eigenen Werte erschaffen müssten. Doch dieser Ansatz hat ein Problem: Menschen sind offenbar nicht in der Lage, ihre eigenen Werte zu erschaffen – ein Thema, das u.a. Carl Jung gründlich untersucht hat.

Menschen können sich nicht selbst in jede x-beliebige Form gießen. Sie haben eine inhärente Natur, mit der sie kämpfen müssen. Es geht nicht darum, unsere eigenen Werte zu erschaffen – diese Fähigkeit haben wir wie gesagt nicht – sondern eher darum, diese Werte wiederzuentdecken. Das war das Ziel von Carl Jung.

Ich glaube also, dass Nietzsches Empfehlung völlig falsch ist. Ich denke, er hat sich über die menschliche Psyche geirrt. Dostojewskis Werke laufen in vielerlei Hinsicht parallel zu Nietzsches Überlegungen, und haben letztere maßgeblich beeinflusst. Die Lebenswege dieser beiden Männer weisen viele, fast wundersame, Parallelen auf. Es ist ziemlich unheimlich.

Dostojewski war natürlich eine literarische Figur, während Nietzsche Philosoph war (wenn auch ein literarischer Philosoph). Die beiden Männer rangen mit den gleichen Problemen, aber Dostojewski näherte sich ihnen durch das Medium der Literatur. In seinem großartigen Roman „Die Brüder Karamasow“ spielt der monastische Novize Aljoscha die Hauptrolle. Er ist ein anständiger Typ, kein Intellektueller, aber ein Mensch mit großer charakterlicher Reife.

Dostojewskis unwiderstehliche Bösewichte

Aljoscha hat einen älteren Bruder, Ivan, der ein mutiger, gutaussehender Soldat und ein großer Intellektueller ist. Dostojewskis Bösewichte (nun, Ivan ist nicht direkt ein Bösewicht, aber mir fällt kein besserer Begriff ein) sind stets sehr mächtig. Wenn Dostojewski ein bestimmtes Argument ausarbeiten möchte, legt er es einem seiner Charaktere in den Mund. Und wenn es ein Argument ist, dem der Autor selbst nicht zustimmt, macht er diesen Charakter so mächtig und attraktiv und intelligent wie möglich und lässt ihn auf die anderen Charaktere los.

In den „Brüdern Karamasow“ greift Ivan also Aljoscha ständig aus verschiedenen Richtungen an. Er versucht alles, um letzteren von seinem Sockel des Glaubens herunterzustoßen. Aljoscha kann keinem einzigen von Ivans Kritikpunkten etwas entgegensetzen. Ihm fehlen dazu die intellektuellen Kapazitäten und Ivan hat einen vernichtenden Intellekt, der letztlich auch ihm selbst schadet.

Die Geschichte entwickelt sich wie folgt: Aljoscha lebt trotz der Angriffe seines Bruders weiterhin seine Verpflichtung zum Guten aus, und geht auf diese Weise schließlich als Sieger hervor. Es ist egal, dass er die Auseinandersetzungen mit Ivan verliert, denn der intellektuelle Streit ist mehr oder weniger ein Nebenschauplatz. Die wirkliche, existenzielle Frage ist nicht, woran jemand glaubt, sondern wie er sich in der Welt verhält.

Dieser Beitrag ist ein Ausschnitt aus dem Vortrag „Biblical Series XII: The Great Sacrifice: Abraham and Isaac“. Hier geht’s zum Original-Vortrag auf dem YouTube-Kanal von Jordan B. Peterson.

Foto: jordanbpeterson.com

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Leserpost

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Werner Arning / 20.12.2018

Was heißt überhaupt : „Glauben an ... „?Wie geht das? Dostojewski schrieb und während er schrieb kam es „aus ihm heraus“. Er wusste nicht, er glaubte nicht, aber er schrieb Wahres. Er gab weiter. Er übermittelt. In den Brüdern Karamasow ist alles enthalten. Die verschiedenen Weisen, in welchen man im Leben stehen kann. Intellektuelle Brillanz ist nichtig, wenn sie nicht von wesentlich wertvollerem begleitet wird. Das scheint mir Dostojewski ausdrücken zu wollen. Er beschreibt die Gottlosigkeit des aufkeimenden sozialistischen Gedankens. Er beschreibt die Begrenztheit des Menschen. Seine Machtlosigkeit. Und Glauben ist wohl mehr Fühlen. Glaube ist nicht mit dem Intellekt greifbar. Und doch ist er Gewissheit. Deshalb ist Glaube auch schwer vermittelbar. Er entzieht sich des Zuganges über den Verstand. Und doch stört der Verstand nicht. Weiß man, ihm seinen Platz zuzuweisen.

Michael Fasse / 20.12.2018

Die wirkliche, existenzielle Frage ist sehr wohl, woran man glaubt. Die richtige Beantwortung dieser Frage hat Konsequenzen, weit über den irdischen Horizont hinaus. Oder wie sonst ist dieses Wort von Jesus zu verstehen? „Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer dem Sohn nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm. (Joh. 3,36) Dieser intellektuell von jedem Menschen leicht zu erfassende Satz ist in seiner Deutlichkeit und Einfachheit völlig klar. Jesus war entweder wahnsinnig, so etwas zu sagen (und er sagte dergleichen häufig) oder es entspricht schlicht der Wahrheit. Ich halte mich in diesem Punkt lieber an Jesus als an Peterson.

Albert Pflüger / 20.12.2018

Wenn man davon ausgeht, daß Menschen nicht in der Lage seien, ihre eigenen Werte zu erschaffen, dann verkennt man, daß jede Gottesfigur mit allen ihr zugeschriebenen Anforderungen an die Menschen ihrerseits ja Menschenwerk ist. Die ihr zugeschriebenen Eigenschaften sind allesamt idealisierte, absolut gesetzte menschliche Eigenschaften, bei denen die jeweilige negative Ausprägung weggelassen wird. Beispiel gefällig? Klugheit-Dummheit, Sparsamkeit-Geiz, Liebe-Haß. Eine Gottesfigur kann immer nur die positive Eigenschaft haben, die negative entfällt. Da das in der Realität des Lebens nicht vorkommt, macht gerade das das Göttliche aus. Die so transportierten Werte, die in und durch die Gottesfigur verkörpert werden, sind und bleiben menschlich in ihrem Ursprung. Der Mensch schuf Gott nach seinem (idealisierten) Bilde.

Dirk Jungnickel / 20.12.2018

“Ich glaube einen Gott, ist ein schönes löbliches Wort, aber GOTT anerkennen, wie und wo er sich offenbart, das ist eigentlich die Seligkeit auf Erden”, so ein Aphorismus von Goethe im Jahre 1829.  Und man darf getrost davon ausgehen, dass der Geheimrat auf die Natur anspielt. Das korrespondiert mit Faust: “Im Anfang war die Tat ! ” , nämlich die Schöpfung. Und die jeweiligen GOTTes - Vorstellungen beeinflussen durchaus unser Tun. Wir werden leider fast täglich damit konfrontiert.  Und nichts ist unangebrachter als Allah mit unserem   GOTT aus christlicher Sicht gleich zu setzen !

Dr. Andreas Dumm / 20.12.2018

Es ist ein Kardinalfehler, Handlungen generell vor bzw. über Überzeugungen zu stellen - es handelt sich um einen echten Denkfehler, der die zeitgenössische Orientierungslosigkeit wiederspiegelt! Sie ist es, aus der sich der “Glaube” an die Höherwertigkeit der Spontanhandlung speist, die dann als Fixpunkt der Orientierung gedacht wird. Jedoch gilt unwiderlegt: Langfristige Überzeugungen formen jene Matrix (mit), aus der die Spontanhandlung erwächst.

Jochen Hensel / 20.12.2018

Orientiert sich die Zugehörigkeit zu einer Religion am Glauben oder an den Taten? Diese Auseinandersetzung ist besonders virulent in den USA, die sich ja in viele Denominationen aufspaltet. Ein zentraler Punkt ist dabei die Frage der Liberalen, ob Verbrechen und eine schlechte Politik nicht auch öffentlich als Unglaube bezeichnet werden kann. Die Fundamentalisten verneinen das und sagen, dass entscheidend ist, das Richtige zu glauben. Dabei gehen viele von ihnen soweit, dass sie die komplette Irrtumslosigkeit der Bibel verlangen. Dafür gibt es sogar einen Verein mit dem Hauptsitz in Chicago. Ein ähnlich wirkendes Merkmal ist der “Fundamentalismus à la carte”, d.h. man befolgt biblische Gesetze nur in den Teilen, die man haben will. Beispiel: ein Fernsehprediger kommt aus einem Bordell und wird gefilmt. Unter Tränen gesteht er seine Sünde, ihm wird verziehen und er kann weiter das Geld seiner Gläubigen an sich raffen. Im Alten Testament liest sich das Gesetz anders: Ehebrecher werden beide getötet, und zwar gesteinigt.

Hermann Neuburg / 20.12.2018

Sola gratia, sola fide. Wenn Politiker und eingeschränkt auch Philosophen über den Glauben Meinungen äußern, muss ich immer einen Vergleich heranziehen: Würden wir uns von einem von Geburt Blinden erklären lassen, wie zauberhaft Farben sind? Religion, so definiert es ein tief religiöser und gläubiger Mensch, Pater Herget, ist die Art der Gottesverehrung, die Art der Gottesanbetung. Klar kann man z.B. an den anthropogenen Klimawandel glauben. Aber das Wort war ursprünglich immer auf die Existenz Gottes bezogen. Und es ist ein sehr christlicher Begriff, denn wie Thomas Spahn es super herausgearbeitet hat: an die Existenz Gottes glauben die Christen im Gegensatz zu den Juden und Muslimen: sie wissen (zweifelsfrei), dass Gott existiert. Das Glaubensbekenntnis der Muslime ist ein Zeugnis, kein Glaubensbekenntnis im christlichen Sinn, über die Existenz Gottes. Also Nietzsche glaubt nicht an die Existenz Gottes, so schlicht ist es. Im religiösen Sinne kann man aber an nichts anderes glauben, als an Gott. Wenn Philosophen also an “das Leben glauben”, welcher Unterschied ist es, an den HSV zu glauben? Oder an den Fußballgott, oder an das Spaghettimonster? Nein, die Taten sind es nicht, die den Glauben ausmachen, sondern der Glaube an Gott: Sola fide, sola gratia. Und so steigt selbst Faust am Ende doch noch auf in den Himmel, durch Reue und Glaube.

Frank Holdergrün / 20.12.2018

Meines Erachtens hat niemand präziser ausgedrückt, was Jesus gemeint haben könnte, als Nietzsche. Einfach zwei Sätze von ihm und die Bemerkung, dass der Mensch keine eigenen Werte schaffen könnte, ist vom Tisch. Er könnte in der Tat und im Handeln einfach leben wie Nietzsche es entwickelte, und alles andere käme automatisch, und zwar augenblicklich: 1) “Das Reich Gottes‘ ist nichts, das man erwartet: Es hat kein Gestern und kein Übermorgen, es kommt nicht in ‚tausend Jahren‘ – es ist eine Erfahrung an einem Herzen: Es ist überall da.“ 2) „Das vorbildliche Leben besteht in der Liebe und Demut; in der Herzens-Fülle, welche auch den Niedrigsten nicht ausschließt, im Glauben an die Seligkeit hier, auf Erden, trotz Not, Widerstand und Tod, in der Versöhnlichkeit, in der Abwesenheit des Zorns, der Verachtung.“ Und eben in der Abwesenheit eines transzendenten Wesens, das einem vorschreibt, was zu tun sei, das unser Schicksal bestimmt. Wir denken, bestimmen und handeln selbst-ständig.

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