112-Peterson: Missbrauchtes Vertrauen

Wenn man betrogen wird, bricht eine ganze Welt in sich zusammen.

Wenn man eine Beziehung zu jemandem hat, basiert sie auf Vertrauen, und ein Teil des Grundes dafür ist, dass Vertrauen uns in die Lage versetzt, einander anzusehen, ohne schreiend wegzulaufen. Was ich meine, ist, dass ich, wenn ich dir vertraue, nicht berücksichtigen muss, wie kompliziert du bist, weil du schrecklich kompliziert bist. (..)

Solange du tust, was du sagst, kann ich dich beim Wort nehmen. Dein Wort vereinfacht dich und du kannst mich beim Wort nehmen und mein Wort vereinfacht mich. Und dann können wir so tun, als würden wir uns verstehen, obwohl wir es nicht tun. Aber wenn dieses Vertrauen missbraucht wird, kommen alle „Schlangen“ sehr schnell zum Vorschein und Sie alle, so vermute ich, sind auf die eine oder andere Weise betrogen worden.

Wenn Sie in einer Beziehung mit jemandem sind und ihm vertrauen, haben Sie bestimmte Annahmen über die Vergangenheit, über die Gegenwart und über die Zukunft. Und alles ist stabil, Sie stehen auf festem Grund und das Chaos ist versteckt, der Hai ist unter den Wellen, Sie sind sicher im „Rettungsboot“.

Aber wenn die Person Sie betrügt, z.B. wenn Sie in einer intimen Beziehung sind und die Person eine Affäre hat und Sie davon erfahren, denken Sie, der Moment, an dem sie am richtigen Ort, ist vorbei. Sie waren sicher, richtig zu sein, Sie haben Ihre Wahrnehmung der Welt auf die Maxime des Vertrauens gestützt. Und in der nächsten Sekunde sind Sie an einem ganz anderen Ort. Und nicht nur dieser Ort ist jetzt anders. Auch der Ort, an dem Sie vorher, vor Jahren waren, ist anders. Und der Ort, an dem Sie in der Zukunft sein werden, ist auch anders.

Unterwelt

Und so kann all diese seltsame Gewissheit, in der sie lebten, in unglaublicher Komplexität zusammenbrechen. Wenn Sie jemand betrügt, denken Sie: „Wer warst du, denn du warst nicht der, für den ich dich hielt. Ich dachte, ich kenne dich, aber ich kannte dich überhaupt nicht und ich habe dich nie gekannt. So waren all die Dinge, die wir zusammen erlebt haben, nicht die Dinge, von denen ich dachte, dass sie passieren. Es passierte etwas anderes. Du warst jemand anderes. Das bedeutet, dass ich jemand anderes bin, weil ich dachte, ich wüsste, was vor sich geht. Und offensichtlich weiß ich nicht, dass ich eine Art blinder Trottel bin oder das Opfer eines Psychopathen oder jemand, der so naiv ist, dass er kaum leben kann.“ Und ich verstehe nichts vom menschlichen Wesen. Und ich verstehe nichts von mir selbst, und ich habe keine Ahnung, wo ich jetzt bin. Ich dachte, ich wäre zu Hause, aber das bin ich nicht, ich bin in einem Haus, das voller Fremder ist. Und ich weiß nicht, was ich morgen oder nächste Woche oder nächstes Jahr tun werde.

Es ist, als ob all diese Gewissheit, wieder in das Potenzial zurückfällt, aus dem sie entstanden ist. Und das ist eine erschreckende Sache, das ist eine Reise in die Unterwelt aus mythologischer Sicht. Und das ist wirklich etwas Wissenswertes, denn Reisen in die Unterwelt in mythologischen Geschichten sind außerordentlich häufig. So wie der Hobbit, der loszieht, um Smaug, den Drachen, zu finden und das Gold zu holen. Und die modernen Menschen verstehen nicht, was die Unterwelt ist, oder dass wir alle dort schon gewesen sind.

Wir gehen ständig dorthin, jedes Mal, wenn die Solidität und Stabilität der Welt, (…) erschüttert wird, weil eine Art „Schlange“ auftaucht. (..) Egal, wie  sorgfältig Sie den kleinen bewohnbaren Bereich um sich herum bauen, es gibt immer etwas, das auftaucht und Ihnen Schmerzen bereitet oder Sie sogar umbringt und Ihne Ihre Sterblichkeit bewusst macht. Und das ist die permanente Situation des Lebens.

Dies ist ein Auszug aus einem Video von Jordan B. Peterson.

Foto: jordanbpeterson.com

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Leserpost

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Ralf Pöhling / 05.06.2024

Mein Vater hat mir einen guten Ratschlag mit auf den Weg gegeben: “Sieh jeden, den du kennenlernst zunächst als Verbrecher an.” Was so viel heißt wie, sei vorsichtig mit wem du Freundschaften schließt, weil der Verrat an jeder Ecke droht. Er hatte als alter Kriegsveteran sehr wohl recht damit. Er hatte die Abgründe der deutschen Gesellschaft ja selbst durchlebt. Ich hänge seit 2005 an dem immer noch aktuellen Problem dran. Dass wir hier verraten worden sind, war mir sehr schnell klar. Was mir jedoch nicht klar war, ist wie dumm, plump und renitent so manche alte Säcke im Apparat sein können, die trotz der Tatsache, dass sie längst überführt worden sind, dennoch einfach auf ihrem Sessel weiter kleben und offen Recht brechen, damit sie dort weiter kleben können. So viel dummdreiste Frechheit hätte ich dann doch niemandem in diesem Land mehr zugetraut. Aber jetzt ist mir klar, warum Elser und Stauffenberg Hitler weggsprengen wollten und Deutschland 1944-45 von den Alliierten gestürmt worden ist. Es ging nicht anders. Die renitenten alten Säcke wollten einfach das Land weiter ausplündern und ihren verdammten Chefsessel nicht räumen. Und jetzt soll mir keiner damit kommen, dass Hitler “im Führerbunker bis zum letzten Atemzug für Deutschland gekämpft hätte”. Der alte Saukerl hat im Amt nicht mal Steuern gezahlt und sich selbst durch Raub, Mord und Plünderung nicht nur an Juden und dem direkten Umland gesundgestoßen, sondern somit auch an den Deutschen selbst. Und diese Denke gibt es im Deutschland von heute immer noch. Ich bin weder links noch Bolschewick. Ich bin in der Tat selbst eher national-rechts. Aber ich werde einen Teufel tun, meinen Hintern noch nur eine einzige Sekunde für das hinterhältige, pseudo-konservative und pseudo-christliche Gelumpe weiter oben hinzuhalten, damit die sich weiter vollfressen können. Den unfreiwilligen Abtritt der Preußen hat Deutschland nie verkraftet. Die Lücke wurde nämlich durch Verbrecher gefüllt. Bis heute.

Lilja Wiese / 05.06.2024

Ja, ein sehr schöner Text ! und auch Ihr Beitrag, @ Klara Altmann , Danke!

Karsten Dörre / 05.06.2024

“Aber wenn die Person Sie betrügt, z.B. wenn Sie in einer intimen Beziehung sind und die Person eine Affäre hat und Sie davon erfahren…” - Wer die Anzeichen nicht vorher schon bemerkt, lernt spätestens jetzt dazu.

Gerhard Hotz / 05.06.2024

Auch in einer guten Beziehung kennt man sich nur sehr beschränkt. Man ist in der gegenseitigen Wahrnehmung, so wie es mal jemand treffend ausgedrückt hat, “immer nur auf dem neusten Stand des Irrtums.”

Klaus Keller / 05.06.2024

Bei einer Enttäuschung löst sich die Täuschung auf und die Wirklichkeit wird sichtbar. Häufig ist es aber so das man sich selbst täuschte. Die andere Frage ist ob man deswegen seine Beziehungen verändert. Vgl Sprengung einer bekannten Gaspipeline und die offensichtliche Unfähigkeit die richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen. In dem Fall besteht aber die Täuschung ggf darin das die Bundesregierung Kenntnis davon hat wer wie warum handelte und seither die Bürger täuscht. Ob die daraus eine Schlussfolgerung ziehen werden und im eigenen Interesse andere Wahlentscheidungen treffen ist völlig offen. Wahrscheinlich ist es aber so das sich die Bürger weiterhin selbst täuschen und ihre Wahlentscheidungen nicht ändern. Zumindest zeigt das die Erfahrung der letzten Jahre. Wer die Kenntnis oder die Beteiligung der Bundesregierung im Fall der Pipelinesprengung für unwahrscheinlich hält, den erinnere ich an zahlreiche weitere das Land und seine Bürger schädigende Handlungen die sie beschlossen hat.

Rüdiger Riedel / 05.06.2024

Ein wunderbarer Text!

Klara Altmann / 05.06.2024

Ich denke nicht, dass wir hilflos ausgeliefert sind und dass es keine Möglichkeit gibt, Menschen wirklich zu beurteilen. Wir haben nicht nur die Aussagen dieses Menschen über die Gegenwart, sondern auch über die Vergangenheit. Was er früher einmal getan hat, wird er wieder tun. Beginnt beispielsweise die Beziehung mit dem Betrug an seinem früheren Partner, dann kann man davon auf die Zukunft schließen. Man kann auch sehen, wie verlässlich jemand in kleineren Dingen ist, man kann an vielen Dingen auch das Ausmaß der Gefühle erkennen, die einem entgegengebracht werden. Das Grundproblem ist hier wohl das eigene Wunschdenken, das man auf die andere Person überträgt, die nicht ist, wen man sich wünscht. Also wird man auf sich selbst und seine eigenen Muster zurückgeworfen, aber ich denke nicht, dass all das völlig willkürlich ist. Das andere Problem ist das der generellen Glaubenssätze, die die modernen Gesellschaften mittlerweile prägen. Irgendwann wurde die Vorstellung von Verlässlichkeit auf der einen Seite und Treu und Glauben auf der anderen Seite als Ideal ersetzt durch eine reine Lehre des persönlichen Vorteils, die ersten Vertreter dessen begegneten mir in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Wenn die Psychologie die Lüge zu etwas normal Menschlichem erklärt, dann neigen die Menschen eher zum Lügen. Die aktuelle moderne Gesellschaft zieht Menschen - sicher nicht alle - zu Psychopathen verschiedenen Grades heran, die sich selbst schon nicht verlässlich sind. Denn was für jemanden gestern noch galt, gilt schon heute und morgen nicht mehr. Trau - schau wem und man überlege gut, wem man was anvertraut und gar die eigene Seele. Die Definition menschlicher Normalität prägt uns alle und wenn wir wieder und wieder betrogen werden, dann stimmt vielleicht etwas doch nicht mehr mit dieser Normalität. Für mich ist die Lüge keine normale Grundlage des menschlichen Charakters. Man ist nicht Herr über das eigene Schicksal, aber man kann schon lernen, mit wem man umgeht.

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