Vor seinen Problemen davon zu laufen und sich nicht mit der Realität zu konfrontieren, verursacht nur noch mehr Probleme.
Ich denke, es ist sehr charakteristisch für die klinische Erfahrung und wird auch von den großen Klinikern (eher klinischen Psychologen) explizit beschrieben, dass Wahrheit die Komponente ist, die in der Therapie zu Heilung führt. Es gibt auch die Auseinandersetzung mit den Dingen, vor denen man Angst hat und die man vermeidet. Das ist eine Form der aufgezwungenen Wahrheit, denn wenn man weiß, dass es etwas gibt, was man nach seinen eigenen Regeln tun sollte, und man vermeidet es, dann belügt man sich. Wenn Sie wissen, dass es etwas gibt, das Sie gemäß Ihren eigenen Grundsätzen tun sollten und es trotzdem vermeiden, lügen Sie sich in gewisser Weise selbst an. Sie lügen zwar nicht sprichwörtlich, aber sie Sie handeln danach. Wenn Sie dazu gebracht werden, sich dem zu stellen, wird ein Prozess in Gang gesetzt. Sie versuchen, die eigene tiefste Wahrheit auszuleben.
Durch diesen Prozess verbessert sich das Leben der Menschen, die sich auf diesen einlassen, radikal. Die klinischen Beweise dafür sind überwältigend. Es geht den Menschen besser, wenn man sie den Dingen aussetzt, vor denen sie Angst haben und die sie vermeiden. Man muss es aber vorsichtig und behutsam machen und es mit ihrer eigenen Beteiligung tun. Die klinische Erfahrung ist sehr erlösend, weil sie darauf ausgelegt ist, das Leiden anzugehen indem die Menschen, die an dem Prozess beteiligt sind, sich gegenseitig die Wahrheit sagen. Wenn Sie Probleme haben und zu mir kommen, um mit mir darüber zu sprechen, dann haben Sie erstens zugegeben, dass die Probleme existieren, das ist ein ziemlich guter Anfang, und zweitens, wenn Sie mir davon erzählen, dann wissen wir, worum es sich handelt. Wenn wir wissen, worum es sich handelt, können wir anfangen, Lösungen zu finden. Und dann können Sie die Lösungen ausprobieren und sehen, ob sie funktionieren.
Aber wenn Sie nicht zugeben, dass die Probleme existieren, und nicht sagen, um welches Problem es sich genau handelt und ich als Ihr Psychologe nichts Genaues weiß und trotzdem egoistisch handle und das Gespräch dominiere, wird das nicht funktionieren. Es kann in diesem Moment komfortabel sein, in unserer Selbsttäuschung gefangen zu bleiben, aber es wird auf Dauer nicht funktionieren.
Es ist nicht so einfach auf die Wahrheit zu verzichten, und außerdem ist es gefährlich. Menschen, die wirklich verletzt wurden – vor allem durch Betrug – sind vom Schicksal überwältigt worden. Menschen können vielleicht mit Naturkatastrophen und Krebs und vielleicht sogar mit dem Tod umgehen, aber sie können nicht mit Verrat und Täuschung umgehen. Sie können nicht damit fertig werden, dass ihnen der Teppich unter den Füßen weggezogen wird, von Menschen, die sie lieben und denen sie vertrauen. Es macht sie krank, zynisch und verbittert und bösartig und nachtragend. Und dann fangen sie auch an, all das in der Welt auszuleben, und das macht es noch schlimmer.
Dies ist ein Auszug aus einem Video von Jordan B. Peterson.
Jordan B. Peterson (* 12. Juni 1962) ist ein kanadischer klinischer Psychologe, Sachbuchautor und emeritierter Professor. In seinen Vorlesungen und Vorträgen vertritt er konservative Positionen und kritisiert insbesondere den Einfluss der Political correctness und die Genderpolitik. Sein 2018 erschienes Buch „12 Rules for Life“ war internationaler Bestseller.