Im Folgenden geben wir einen Auszug aus einem Gespräch zwischen Jordan B. Peterson und der somalisch-niederländischen Frauenrechtlerin, ehemaligen Politikerin, Bestseller- sowie Achgut.com-Autorin Ayaan Hirsi Ali (*1969) wieder. Ali lebt in den USA, wo sie 2007 die Frauenrechtsorganisation AHA gründete. Ihr Buch „Beute. Warum muslimische Einwanderung westliche Frauenrechte bedroht“ ist soeben erschienen.
Jordan B. Peterson: Sie vergleichen die islamische Haltung gegenüber Frauen mit der westlichen Haltung gegenüber Frauen. Kann man sagen, dass es letztendlich ein Vergleich zwischen der islamischen und der judeo-christlichen Haltung gegenüber Frauen ist? Ist es vernünftig, daraus eine Frage der Religion zu machen? Was meinen Sie?
Ayaan Hirsi Ali: Es ist eine Frage der Religion, es ist eine Frage der Kultur. Dann ist es aber auch eine Frage der Modernität – westliche Gesellschaften sind der Motor der Modernität, weil sie sich konstant weiterentwickeln. Bei meiner Analyse islamischer Herrschaft wurde mir der religiöse Aspekt bewusst, der in einer Enttäuschung von der Moderne besteht, in der Ablehnung der Moderne.
Jordan B. Peterson: Was lehnt der Islam denn ab, das wir stattdessen akzeptiert haben? Was sind die Unterschiede, die den Gedanken befördern, dass Frauen gleichgestellt sind? Und die dafür sorgen, dass dieser Gedanke geplegt, befördert und bewahrt wird? Ich erwarte nicht, dass Sie eine Antwort darauf haben, aber das ist ja letztendlich die Frage.
Ayaan Hirsi Ali: Wenn man sich das Narrativ ansieht, das radikale Muslime verbreiten, dann findet man darin die tiefe Enttäuschung darüber, dass der Islam nicht länger die dominierende Kraft des Globus ist. Diesen Verlust erklären sie damit, dass die Muslime von der reinen Lehre und dem Vorbild des Propheten abgewichen sind, vor allem hinsichtlich seines Wirkens in Medina. Damals war er so mächtig geworden, dass er nicht nur Arabien, sondern auch darüber hinaus Regionen erobert hatte und seine Jünger erreichten schließlich fast jeden Kontinent und machten dort Eroberungen.
Was lief danach also falsch? Ich glaube, Leute wie Bertrand Russell und andere haben versucht, darauf eine Antwort zu finden. Relativ spät kamen sie auf das Spiel der Moderne. Und unter den Muslimen entstanden Diskussionen darüber, dass wenn sie mit dem Westen mithalten wollten, den sie zugleich verachteten, sie genauso werden müssen. Das versuchte beispielsweise Kemal Atatürk in der Türkei.
Abstimmen mit den Füßen
Doch rückwärtsgewandte Kräfte, die modernen Islamisten, hielten dies für den falschen Ansatz und befanden stattdessen, dass sich der Westen den Muslimen unterwerfen sollte. Wenn ich sage, dass diese Leute die Moderne ablehnen, bedeutet das nicht, dass sie nicht trotzdem gerne moderne Geräte benutzen oder Nuklear-Waffen schätzen. Ihnen gefällt alles Moderne, was sie sich dominant und stark fühlen lässt.
Sobald es aber um das Übernehmen von Haltungen geht – die Befreiung der Frau beispielsweise – schrecken sie davor zurück. Sie haben Angst, dass sie dann wie die Leute im Westen werden. Sie fürchten, ihre Gesellschaften dann auch nach der „Zeitmaschine“ ausrichten zu müssen, wie es der Westen tut. Sie empfinden es als Leere, die ganze Zeit auf die Uhr schauen zu müssen. Es gibt Aspekte am Westen, die sie bewundern und übernehmen wollen. Es ist jedoch nicht ihr Ziel, westliche Werte zu übernehmen.
Doch viele Menschen aus diesen Regionen stimmen mit ihren Füßen ab. Sie sind arm, besitzlos, allen möglichen Formen von Gewalt ausgesetzt. Sie wollen in den Westen und ganz neu anfangen. Wenn wir diesen Leuten die Chance geben wollen, Teil der Moderne und einer modernen Gesellschaft zu werden, geht das nur durch ihre Assimilation. Der erste Schritt dies zu erreichen, ist, ihnen diese Wahl mit den Füßen vor Augen zu halten.
Jordan B. Peterson: Die klassische Kritik an dieser Perspektive würde lauten, dass diese mittellosen Menschen nicht mit ihren Füßen abstimmen müssten, wenn es durch den Westen keinen Kolonialismus gegeben hätte und damit nicht die ökonomischen Möglichkeiten von Zweidritteln des Globus zerstört worden wären, während der Westen sich selbst in eine Position unverdienter Überlegenheit erhoben hat. Es gibt nun nicht gerade einen Mangel an Beweisen dafür, wenn das die Beweise sind, die man näher betrachten möchte. Das alles zu ordnen scheint unmöglich zu sein. Der Westen ist Schuld an allen Verbrechen, die in seinem Namen verübt worden sind. Viele dieser Verbrechen waren real. Wir wissen nicht, wie wir unsere Werte hochhalten und gleichzeitig für unsere vergangenen Sünden aufkommen sollen. Ich würde sagen, dass wir wenigstens zugeben können, dass unsere vergangenen Sünden das Scheitern darstellen, unseren eigenen Werten gerecht zu werden. Ganz bestimmt lag es nicht an den Werten selbst. Doch nicht jeder wird dem zustimmen.
Es ist wirklich ein Mysterium, warum die Idee der Gleichheit zwischen den Geschlechtern oder den Menschen überhaupt in unserer Kultur aufkam. Meiner Ansicht nach muss dieser Gedanke tief in der Idee der ewigen Seele und dem innewohnenden Wert eines jeden Menschen verwurzelt sein. Und auch im Glauben an die Fähigkeit eines jeden Menschen, sich sprachlich und kreativ auszudrücken. Ich glaube, das ist eine tief verankerte judeo-christliche Idee. Die Wurzeln reichen sogar noch tiefer. Gibt es ein islamisches Äquivalent dazu?
Ayaan Hirsi Ali: Erst einmal zum Thema der westlichen Schuld: Die Kolonisierung, die Sklaverei, die Rassentrennung – all diese gut dokumentierten, schrecklichen Dinge, die westliche Zivilisationen verübt haben, sind die eine Seite der Medaille.
Es gibt aber noch eine andere Seite. Nämlich die, dass es von allen Menschen ebenfalls westliche Menschen waren, die die Initiative ergriffen, all das zu ändern. Die Sklaverei, die Rassentrennung zu beenden, nach Gleichheit zu streben. Wenn man diese Geschichte schon erzählt, dann sollte man auch von beiden Seiten berichten.
Die Leute, die immer nur die negative Seite erzählen, Statuen zerstören und der Ansicht sind, dass die einzige Möglichkeit, den Westen zu erlösen, wäre, alles zu zerstören und von vorne anzufangen – das ist ganz offensichtlicher Nihilismus! In dieser Lust am Zerstören und selektiven Überlieferung von Tatsachen kann man auch ein Element der Überlegenheit oder Vormachtstellung ausmachen. Denn nur Weiße beziehungsweise Leute aus dem Westen werden für schlechtes Verhalten in der Vergangenheit oder Gegenwart zur Verantwortung gezogen.
Warum gelten für andere nicht dieselben moralischen Standards?
Jordan B. Peterson: Meinen Sie damit Schlechtes im Allgemeinen oder Schlechtes, das von Europäern begangen wurde? Es ist natürlich eine Tatsache, dass Sklaverei innerhalb der gesamten Menschheit vorkam. Es ist beim besten Willen keine Besonderheit der europäischen Gesellschaft.
Ayaan Hirsi Ali: Und dasselbe trifft auf Kolonialismus und Rassentrennung zu, und zwar bis heute. Nehmen wir mal einen Kontinent wie Indien, wo das Kastensystem immer noch lebendig ist. Oder nehmen wir irgendein arabischen Land, in dem Menschen mit meiner Hautfarbe bis heute als Sklaven angesehen werden.
Wenn man gegen die Geschichte und alles Schlechte, das von Menschen verübt wurde, prozessieren will, und dafür aber nur Weiße und vor allem weiße Männer auswählt und sie für ihre Sünden büßen lassen will – dann ist das doch ein Ausdruck von Überlegenheit. Aktuell verüben zum Beispiel die Chinesen einen Völkermord an den Uiguren. Es gibt Berichte darüber, dass dort Frauen zur Sterilisation gezwungen werden. Warum können wir die anderen nicht mit denselben moralischen Standards messen wie uns selbst?
Jordan B. Peterson: Halten Sie es also für unangemessen kolonialistisch, dass weiße Europäer sich allgemeine menschliche Schuld zuschreiben (lacht)?
Ayaan Hirsi Ali: Es ist ein Ausdruck von Überlegenheit. Es ist ein Ausdruck dafür, dass nur wir diese hohen moralischen Standards erfüllen können und der Rest der Menschheit nicht. Alle anderen sind auf die eine oder andere Weise Opfer. Wir gehen davon aus, dass die anderen dazu gar nicht imstande wären. Die Chinesen und ihr Verstoß gegen die Menschenrechte? Warum thematisieren, die wissen doch sowieso nicht, wie sie es anders machen sollten.
Verstehen Sie? Ausgehend vom Nihilismus, der selektiven Geschichts-Schreibung ... Wenn man das alles wieder und wieder liest, bleibt am Ende übrig: Sie können diese hohen Standards auf sich selbst anwenden, aber nicht auf mich.
Jordan B. Peterson: Also dieses Argument habe ich wirklich noch nie gehört. Sehr interessant und fast schon schwarzer Humor.
Dies ist ein Auszug aus einem Gespräch zwischen Jordan B. Peterson und Ayaan Hirsi Ali. Hier geht’s zum Auszug und hier zum gesamten Gespräch.