Jordan B. Peterson, Gastautor / 15.11.2017 / 11:02 / 4 / Seite ausdrucken

112-Peterson: Keine Rechtfertigung für Nihilismus

Von Jordan B.Peterson.

Lange Zeit verstand ich den Nihilismus sehr gut. Ich sah seine Rechtfertigung darin, dass er mit der Tragödie des Lebens verbunden war, mit Leid und dem Bösen, mit der Objektivierung der Endlichkeit und der willkürlichen und ungerechten Natur der Welt. 

Aber je mehr ich darüber nachgedacht habe, desto weniger glaube ich daran, dass es überhaupt irgendeine Rechtfertigung dafür gibt. Und ich denke, der Grund dafür ist, dass Nihilismus Anstrengung verhindert. Er verhindert die Fähigkeit, sich selbst zu erkennen. Vielleicht gibt es keinen Grund, so gottverdammt hoffnungslos zu sein, außer dem, dass es eben einfacher ist, nutzlos zu sein.

Ich rede hier nicht von Menschen, die etwa klinisch depressiv sind; das ist nicht mein Punkt. Klinische Depression ist eine schreckliche Sache. Es gibt viele Anlässe und Gründe, in solch einen katastrophalen Zustand zu geraten. Darum geht es mir nicht. 

Ich meine diese Art von zynischem, arrogantem, rationalem, hyper-intelligentem Nihilismus, der die Welt wegwirft, als ob sie keinen Wert habe, ohne sich wirklich mit ihr zu beschäftigen. 

Es ist aber besser, sich mit ihr zu beschäftigen und zu sehen, was passiert. Und es ist besser, anzunehmen, dass, wenn die Welt Dir nicht das gibt, was du brauchst, Du es vielleicht einfach nicht richtig machst, oder Du eine falsche Vorstellung davon hast, was Du brauchst. 

Herausfinden, welchen Fehler man begangen hat

Warum sich dieser Möglichkeit nicht wenigstens öffnen? Weil es doch sein könnte, dass Du falsch liegst. Und es ist gut zu wissen: Wenn du leidest, dann liegst Du hoffentlich falsch. Denn wenn Du leidest und Du recht hast, dann bleibt Dir kein Ausweg mehr. Es ist also sehr nützlich herauszufinden, welche Fehler man vielleicht begangen hat. 

Hier ist noch ein anderer Aspekt, eine wirklich interessante Sache über die Juden im Alten Testament. Es ist bemerkenswert: Jedes Mal, wenn sie von Gott gestraft werden, ist es immer ihre Schuld. Sie sagen nie, dass die Welt, die Gott geschaffen hat, korrupt sei, und Gott böse. Sie sagen das niemals, egal was passiert, egal welche Katastrophe sie auch trifft. Auch wenn sie allen Grund haben, diese Hypothese zumindest anzunehmen, tun sie es nicht. Sie sagen: Wir haben uns geirrt, wir sind vom Weg abgekommen, es ist unsere Schuld.

Und das wiegt schwer, denn es lädt das ganze Gewicht der menschlichen Katastrophe auf den Menschen. Das wiegt sehr hart, aber das Gute daran ist, dass es Dir die Kontrolle gibt. Es öffnet sich eine Tür. Es eröffnet sich die Möglichkeit, dass man selbst die Person sein könnte, die es zum Guten wenden könnte, wenn man einfach alles loslassen würde, was einem im Weg steht – was auch immer das sein mag.

Dieser Beitrag ist ein Ausschnitt aus dem Vortrag „Bible Series XI: Sodom and Gomorrah“. Hier geht’s zum Original-Vortrag auf dem Youtube-Kanal von Jordan B. Peterson.

Foto: jordanbpeterson.com

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Leserpost

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Werner Arning / 15.11.2017

Der größte Fehler des Menschen könnte sein, dem Leben gegenüber eine Demut zu verlieren. Der Verlust jeglicher Demut mag ihn in einen nihilistischen Zustand zu versetzen. Er maßt sich ein Urteil an, zu welchem er gar nicht fähig ist. Besser ist wohl seine Unwissenheit und vielleicht auch Hoffnungslosigkeit zuzugeben, allerdings in der Annahme, dass zumindest die Hoffnungslosigkeit überwunden werden kann. Denn dann könnte, wie durch ein Wunder, der Weg zur Selbsterkenntnis frei werden. Und dass diese Voraussetzung für den nächsten Schritt, raus aus der Hoffnungslosigkeit ist, wussten schon die alten Griechen.

Helmut Driesel / 15.11.2017

Tiere leben immer im Jetzt, Menschen können gedanklich reflektieren und projezieren. Der Nihilismus setzt einen Grad an Muße voraus, der in früheren Zeiten den Allermeisten fremd war. Wer immer gefordert ist, kann das Fordernde nicht beiseite schieben. Und wenn es nur der Hunger oder der Regen ist. Ob Sklaven häufig Nihilisten waren, ist nicht überliefert. Erst wenn das Individuum sich geistig frei ergehen kann in Realitäten und Irrationalitäten, dann erscheint auf der dunklen Seite der Macht das Nichts als Gegenpol zum Sinn. Die Sinnsuche kann man jederzeit beschließen oder aufgeben. Dem Nihilismus braucht man sich nur hinzugeben. Daher mag das Bild der Christen vom Teufel stammen. Den aber schon die Mesopotamier kannten. Doch gibt es keinen Sinn ohne das Nichts, mithin kein Gutes ohne den Teufel. Und sei er Fiktion.

Peter Zentner / 15.11.2017

Ich stimme Jordan B. Peterson und Herrn Paffendorf zu. Letzterem allerdings mit der Einschränkung, dass man ohne Halt in sich selbst auch auf der Suche nach der Schuld am eigenen Scheitern nur in der Wüste des Nihilismus landet. Um dort endgültig zu scheitern, so gut wie irreversibel. Dann helfen auch die besten Psychiater (im Englischen gern als “headshrinks” bezeichnet) keinen Millimeter weiter.

Wilfried Paffendorf / 15.11.2017

Werter Herr Peterson. Ich stimme Ihnen zu wenn Sie schreiben, dass Nihilismus etwas mit uns zu tun hat, mit unserer persönlichen Position uns selbst gegenüber. Zu dieser Erkenntnis kann ein klinisch Depressiver gelangen, wenn er den Mut zu ungeschminkter Selbsterkenntnis aufbringt. Das ist nicht leicht und kann zu der Erkenntnis führen, dass man sich mit der Welt nur eingelassen hat, um darin jenen Reisig zu sammeln, der den inneren Scheiterhaufen befeuert (In Anknüpfung und Umdeutung an Nietzsche). Ich bin zu dieser Einsicht aus eigener Betroffenheit gelangt. Das war ein sehr langer und schmerzvoller Prozess der Selbsterkenntnis. Das Positive für mich war eine drastische Verhaltensänderung in Bezug auf mein Urteil über die Menschenwelt, über menschliches Wünschen und Handeln. Im politisch-ideologisch-religiösen Raum ist der Begriff Nihilismus zum Kampfbegriff verkommen, zur primitiven Erziehungskeule. So wird denn auch Nietzsche irrigerweise als Philosoph verstanden, der rundweg alles ablehnt. Das ist falsch. Nietzsche war u.a. Moralist, er griff die Verlogenheit der Rechtgläubigen aller Ideologien und Religionen an; das nimmt man ihm bis heute übel. (Unter dieser Voraussetzung ist derjenige Nihilist, der die Ansichten und Intentionen einer bestimmten Ideologie ablehnt). Nihilismus ist m.E. eng verknüpft mit der Frage, in welcher Weise ich sein möchte.  Allerdings warne ich davor, die Schuld für das eigene Scheitern nur bei sich selbst zu suchen; das kann ebenso in eine seelische Krankheit führen wie Umwelteinflüsse. Wer keinen Halt in sich selbst hat, wird durch einen unreflektierten Nihilismus leicht an einen Abgrund geführt.

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