Der größte Fehler des Menschen könnte sein, dem Leben gegenüber eine Demut zu verlieren. Der Verlust jeglicher Demut mag ihn in einen nihilistischen Zustand zu versetzen. Er maßt sich ein Urteil an, zu welchem er gar nicht fähig ist. Besser ist wohl seine Unwissenheit und vielleicht auch Hoffnungslosigkeit zuzugeben, allerdings in der Annahme, dass zumindest die Hoffnungslosigkeit überwunden werden kann. Denn dann könnte, wie durch ein Wunder, der Weg zur Selbsterkenntnis frei werden. Und dass diese Voraussetzung für den nächsten Schritt, raus aus der Hoffnungslosigkeit ist, wussten schon die alten Griechen.
Tiere leben immer im Jetzt, Menschen können gedanklich reflektieren und projezieren. Der Nihilismus setzt einen Grad an Muße voraus, der in früheren Zeiten den Allermeisten fremd war. Wer immer gefordert ist, kann das Fordernde nicht beiseite schieben. Und wenn es nur der Hunger oder der Regen ist. Ob Sklaven häufig Nihilisten waren, ist nicht überliefert. Erst wenn das Individuum sich geistig frei ergehen kann in Realitäten und Irrationalitäten, dann erscheint auf der dunklen Seite der Macht das Nichts als Gegenpol zum Sinn. Die Sinnsuche kann man jederzeit beschließen oder aufgeben. Dem Nihilismus braucht man sich nur hinzugeben. Daher mag das Bild der Christen vom Teufel stammen. Den aber schon die Mesopotamier kannten. Doch gibt es keinen Sinn ohne das Nichts, mithin kein Gutes ohne den Teufel. Und sei er Fiktion.
Ich stimme Jordan B. Peterson und Herrn Paffendorf zu. Letzterem allerdings mit der Einschränkung, dass man ohne Halt in sich selbst auch auf der Suche nach der Schuld am eigenen Scheitern nur in der Wüste des Nihilismus landet. Um dort endgültig zu scheitern, so gut wie irreversibel. Dann helfen auch die besten Psychiater (im Englischen gern als “headshrinks” bezeichnet) keinen Millimeter weiter.
Werter Herr Peterson. Ich stimme Ihnen zu wenn Sie schreiben, dass Nihilismus etwas mit uns zu tun hat, mit unserer persönlichen Position uns selbst gegenüber. Zu dieser Erkenntnis kann ein klinisch Depressiver gelangen, wenn er den Mut zu ungeschminkter Selbsterkenntnis aufbringt. Das ist nicht leicht und kann zu der Erkenntnis führen, dass man sich mit der Welt nur eingelassen hat, um darin jenen Reisig zu sammeln, der den inneren Scheiterhaufen befeuert (In Anknüpfung und Umdeutung an Nietzsche). Ich bin zu dieser Einsicht aus eigener Betroffenheit gelangt. Das war ein sehr langer und schmerzvoller Prozess der Selbsterkenntnis. Das Positive für mich war eine drastische Verhaltensänderung in Bezug auf mein Urteil über die Menschenwelt, über menschliches Wünschen und Handeln. Im politisch-ideologisch-religiösen Raum ist der Begriff Nihilismus zum Kampfbegriff verkommen, zur primitiven Erziehungskeule. So wird denn auch Nietzsche irrigerweise als Philosoph verstanden, der rundweg alles ablehnt. Das ist falsch. Nietzsche war u.a. Moralist, er griff die Verlogenheit der Rechtgläubigen aller Ideologien und Religionen an; das nimmt man ihm bis heute übel. (Unter dieser Voraussetzung ist derjenige Nihilist, der die Ansichten und Intentionen einer bestimmten Ideologie ablehnt). Nihilismus ist m.E. eng verknüpft mit der Frage, in welcher Weise ich sein möchte. Allerdings warne ich davor, die Schuld für das eigene Scheitern nur bei sich selbst zu suchen; das kann ebenso in eine seelische Krankheit führen wie Umwelteinflüsse. Wer keinen Halt in sich selbst hat, wird durch einen unreflektierten Nihilismus leicht an einen Abgrund geführt.
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