112-Peterson: Heute ist alles besser

Im folgenden geben wir einen Auszug aus einem Gespräch zwischen Jordan B. Peterson und dem britischen Politiker, Unternehmer und Autor Matt Ridley wieder.

Jordan B. Peterson: In Ihrem Buch „How Innovation Works: And Why It Flourishes in Freedom“ (deutsch: „Wie Innovation funktioniert: Und warum sie in Freiheit gedeiht“) nehmen Sie eine wohltuende Korrektur der idiotischen Romantisierung vor, durch die sich die Sehnsucht der Menschen nach der Vergangenheit ausdrückt. Es ist keineswegs übertrieben zu behaupten, dass heute ein durchschnittlicher Mensch aus der Mittelschicht in Nordamerika oder Europa – und zunehmend auch in anderen Teilen der Welt – in jeglicher Hinsicht vermögender ist, als es ein Millionär um 1920 war.

Matt Ridley: Das ist vollkommen richtig. Man nehme nur einmal das Beispiel Zahnmedizin. Egal, wie reich Sie um 1800 waren – es war definitiv kein Vergnügen, einen faulen Zahn zu haben. In der heutigen Zeit stellt so etwas jedoch kein nennenswertes Problem mehr dar. Es ist keine Frage, dass in materieller Hinsicht unser heutiges Leben um vieles besser ist als zur Zeit unserer Vorfahren.

Trotzdem lesen wir Jane Austen und denken uns: „Wäre es nicht toll gewesen, damals zu leben?“ Tatsächlich aber sind das Bücher über eine winzige Elite, die reich genug war, um sich Kerzen leisten zu können und Bälle zu besuchen.

Jordan B. Peterson: Selbst unter diesen Umständen: Das soziale Leben war viel eingeschränkter als heute. Ein Ball konnte das einzige soziale Ereignis eines gesamten Jahres sein.

Matt Ridley: Genau! Und wenn eine Frau nicht gewillt war, den feisten Offizier zu heiraten, der um ihre Hand angehalten hatte, lief sie Gefahr, als alte Jungfer zu enden. Nicht besonders spaßig im Vergleich zur heutigen Zeit. Wir haben wirklich Glück!

Da fällt mir ein weiterer wichtiger Punkt ein. Im Laufe der Geschichte wurden die Dinge, die der Einzelne produziert, immer spezialisierter und das, was wir konsumieren immer vielfältiger. Die Berufe werden immer enger gefasst und konkreter. Aber gleichzeitig wird das restliche Leben immer reicher: Wir können heutzutage beispielsweise Filme oder exotisches Essen konsumieren, wie wir es wünschen.

Jordan B. Peterson: Das ist eine wirklich interessante Antithese zum marxistischen Begriff der Entfremdung der Arbeit. Denn aus meiner Sicht wirkt der Marxismus aus zwei Gründen attraktiv, die verständlich erscheinen: einerseits die Betonung der Unannehmlichkeiten der Ungleichheit und andererseits die Entfremdung vom hergestellten Produkt.

Sehr interessant, dass Sie anbringen, dass man zwar vom fertigen Produkt insofern entfremdet ist, als dass die Spezialisierung immer weiter ansteigt, wir uns aber dafür die zwei Drittel unserer Zeit, in denen wir nicht arbeiten, mit immer abwechslungsreicheren Dingen umgeben können.

Vermutlich hat uns Covid wieder daran erinnert, weil wir momentan so isoliert leben, nur zu Hause sitzen und uns mit einer Einschränkung der Dinge, die wir für selbstverständlich hielten, konfrontiert sehen.

Matt Ridley: Wir bewegen uns ins solchen Zeiten der Rezession stets rückwärts hinsichtlich von Spezialisierung und Konsum. Zur Zeit der Großen Depression in den USA haben viele Familien wieder begonnen, Hühner zu halten, eigenes Gemüse anzubauen und so weiter. Man beginnt, sich wieder mehr selbst zu versorgen und hat gleichzeitig insgesamt weniger zu konsumieren. Wenn man nur konsumieren kann, was man selber herstellt, landet man bei einem sehr ärmlichen Dasein.

Mir fällt hierzu eine Geschichte zum Buch „Second Nature“ von Haim Ofek ein. Ein wundervolles Buch, das ich vor ungefähr 20 Jahren gelesen habe. Darin äußerte er die Idee der größeren Spezialisierung im Beruf bei gleichzeitiger größerer Vielfalt im Konsumieren. Ich war ganz begeistert und schrieb ihm, um ihn zu fragen, wie er denn auf diese Idee gekommen sei. Er antwortete mir, dass er dazu von einem meiner Bücher inspiriert worden sei. Mir war aber gar nicht bewusst gewesen, dass mein eigenes Buch den Grundsatz für diesen Gedanken enthielt. Ein schönes Beispiel für Arbeitsteilung bei der Produktion von Ideen.

Dies ist ein Auszug aus einem Gespräch von Jordan B. Peterson und Matt Ridley. Hier geht's zum Gespräch.

Foto: jordanbpeterson.com

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Markus Viktor / 10.02.2021

Es ist sicherlich übertrieben und geradezu albern, zu behaupten, dass heute ein durchschnittlicher Mensch aus der Mittelschicht in Europa in jeglicher (sic!) Hinsicht vermögender ist, als es ein Millionär um 1920 war. Der Millionär hatte mindestens ein Haus und Garten und viele Durchschnittsverdiener wie ich geraten im Alter wegen exzessiv steigender Mieten in prekäre Lebensumstände. Aber dadurch gehören viele andere und ich dann ja nicht mehr zur Mittelschicht.  Statt Zahnschmerzen Herzschmerzen. Zur Hölle mit den Verursachern.

Marcel Seiler / 10.02.2021

Stimmt alles absolut. Wer’s noch nicht kennt: “200 Countries, 200 Years, 4 Minutes” von Hans Rosling, ein absolutes Muss! (Dauert, wie der Titel sagt, nicht länger als vier Minuten). Leider macht der Mensch sein Glück (oberhalb eines gewissen Niveaus) im Vergleich, insbesondere im Statusvergleich. Und da es nur immer nur einen Top-Gewinner geben kann (oder, meinetwegen: wenige), hat der Rest der Menschheit immer Grund zum Unglück, zum Neid, zur Beschwerde.

Gerhard Hotz / 10.02.2021

Man kann den Vergleich von früher zu heute auch physikalisch machen, indem man den Energie-Output des menschlichen Körpers mit demjenigen der Maschinen vergleicht, die unser modernes Leben beansprucht. Die durchschnittliche Leistung des menschlichen Körpers ist etwa ein Zwanzigstel PS. Es bräuchte z.B die kontinuierliche Arbeit von fünf Menschen, die mit Muskelkraft einen Generator antreiben, um eine einzige 150-Watt-Glühbirne am Leuchten zu halten. Oder: Ein 100-PS-Auto auf der Autobahn verrichtet die Arbeit von 2000 Menschen. Wenn man nun den Gesamtenergieverbrauch aller Maschinen betrachtet, an die wir uns gewöhnt haben und die für uns selbstverständlich geworden sind, und diesen mit dem Output des menschlichen Körpers vergleicht, kommt man zum Schluss, dass jeder moderne westliche Bürger mehr als das Equivalent von 150 “Energiesklaven” zur Verfügung hat, die 24 Stunden am Tag für ihn arbeiten. Jeder König oder Sultan aus der vorindustriellen Zeit würde da vor Neid erblassen.

Ingo Hahnen / 10.02.2021

Schuldig im Sinne der Anklage, Solche Gedanken wie die des armen Millionärs hatte ich auch schon. Bedenken Sie z. B. auch, dass fast jeder Mensch in den Industrieländern aktuell in Räumen mit Heizungsanlagen hockt, die der Fußbodenheizung eines Kaiser Augustus auf seinem Palatin auf beindruckende Art technologisch überlegen sind und auch seine mikrobakterielle Umgebung viel gefährlicher war als heute. Wahrscheinlich wäre ich sowieso Heizsklave mit niedriger Lebenserwartung gewesen und dazu auch noch die schiefen Zähne. Also wer die Auswahl zwischen diesem armen Caesar in seiner zugigen Hütte mit Einfachverglasung und Thomas Mustermann mit einer modernen Home-Cinema-Anlage hätte, würde sich, wenn er diesen Gedanken konsequent folgte wohl klar für Letzteren entscheiden. Früher war das Leben eben scheiße und gelacht wurde auch nicht. Endlich wieder geerdet worden und schön bescheiden bleiben. Ich schließe mich der Botschaft an.

Fred Burig / 10.02.2021

Zum letzten Satz fällt mir nur das ein und vielleicht hilft’s: “Denke nie gedacht zu haben, denn das Denken der Gedanken ist gedankenloses Denken….” MfG

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