Es ist sicherlich übertrieben und geradezu albern, zu behaupten, dass heute ein durchschnittlicher Mensch aus der Mittelschicht in Europa in jeglicher (sic!) Hinsicht vermögender ist, als es ein Millionär um 1920 war. Der Millionär hatte mindestens ein Haus und Garten und viele Durchschnittsverdiener wie ich geraten im Alter wegen exzessiv steigender Mieten in prekäre Lebensumstände. Aber dadurch gehören viele andere und ich dann ja nicht mehr zur Mittelschicht. Statt Zahnschmerzen Herzschmerzen. Zur Hölle mit den Verursachern.
Stimmt alles absolut. Wer’s noch nicht kennt: “200 Countries, 200 Years, 4 Minutes” von Hans Rosling, ein absolutes Muss! (Dauert, wie der Titel sagt, nicht länger als vier Minuten). Leider macht der Mensch sein Glück (oberhalb eines gewissen Niveaus) im Vergleich, insbesondere im Statusvergleich. Und da es nur immer nur einen Top-Gewinner geben kann (oder, meinetwegen: wenige), hat der Rest der Menschheit immer Grund zum Unglück, zum Neid, zur Beschwerde.
Man kann den Vergleich von früher zu heute auch physikalisch machen, indem man den Energie-Output des menschlichen Körpers mit demjenigen der Maschinen vergleicht, die unser modernes Leben beansprucht. Die durchschnittliche Leistung des menschlichen Körpers ist etwa ein Zwanzigstel PS. Es bräuchte z.B die kontinuierliche Arbeit von fünf Menschen, die mit Muskelkraft einen Generator antreiben, um eine einzige 150-Watt-Glühbirne am Leuchten zu halten. Oder: Ein 100-PS-Auto auf der Autobahn verrichtet die Arbeit von 2000 Menschen. Wenn man nun den Gesamtenergieverbrauch aller Maschinen betrachtet, an die wir uns gewöhnt haben und die für uns selbstverständlich geworden sind, und diesen mit dem Output des menschlichen Körpers vergleicht, kommt man zum Schluss, dass jeder moderne westliche Bürger mehr als das Equivalent von 150 “Energiesklaven” zur Verfügung hat, die 24 Stunden am Tag für ihn arbeiten. Jeder König oder Sultan aus der vorindustriellen Zeit würde da vor Neid erblassen.
Schuldig im Sinne der Anklage, Solche Gedanken wie die des armen Millionärs hatte ich auch schon. Bedenken Sie z. B. auch, dass fast jeder Mensch in den Industrieländern aktuell in Räumen mit Heizungsanlagen hockt, die der Fußbodenheizung eines Kaiser Augustus auf seinem Palatin auf beindruckende Art technologisch überlegen sind und auch seine mikrobakterielle Umgebung viel gefährlicher war als heute. Wahrscheinlich wäre ich sowieso Heizsklave mit niedriger Lebenserwartung gewesen und dazu auch noch die schiefen Zähne. Also wer die Auswahl zwischen diesem armen Caesar in seiner zugigen Hütte mit Einfachverglasung und Thomas Mustermann mit einer modernen Home-Cinema-Anlage hätte, würde sich, wenn er diesen Gedanken konsequent folgte wohl klar für Letzteren entscheiden. Früher war das Leben eben scheiße und gelacht wurde auch nicht. Endlich wieder geerdet worden und schön bescheiden bleiben. Ich schließe mich der Botschaft an.
Zum letzten Satz fällt mir nur das ein und vielleicht hilft’s: “Denke nie gedacht zu haben, denn das Denken der Gedanken ist gedankenloses Denken….” MfG
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