112-Peterson: Glaube ich an Gott?

Im Folgenden geben wir einen Auzug aus einem Gespräch zwischen Jordan B. Peterson und Jonathan Pageau wieder, Bildhauer christlicher Kunstwerke sowie Vortragsredner und Betreiber eines sehr erfolgreichen YouTube-Kanals über traditionelle Kunst.

Jordan B. Peterson: Ich wurde oft gefragt, ob ich an Gott glaube. Ich habe bislang auf verschiedene Weise geantwortet. Zum Beispiel: „Nein, aber ich fürchte, dass er möglicherweise existiert.“ Zutreffender ist wahrscheinlich: „Ich tue so, als würde Gott existieren.“ Ich gebe zumindest mein Bestes. Doch begegnet man hier einem Stolperstein. Denn es gibt keinen Maßstab dafür, ab wann man sich tatsächlich so verhält, als würde Gott existieren. Vielleicht ist es nicht vernünftig, Gläubigen zu sagen, dass sie nicht bekehrt genug erscheinen, alsdass man ihnen glauben könnte, dass sie an Gott glauben. Oder dass man nicht glaubt, dass sie die Geschichten glauben, die sie erzählen. Und doch ist es möglich, dass uns das Leben anderer nicht genügend Zeugnis der Wahrheit zu sein scheint, um ihnen ihren Glauben abzukaufen.

Man denke nur an die katholische Kirche oder zumindest ihr Erscheinungsbild. Stichwort: sexuelle Verderbtheit. Viele fragen sich, ob Mitglieder dieser Institution wirklich glauben, dass Jesus Gottes Sohn ist, wenn sie sich gleichzeitig so verhalten. Ich empfinde die Kirche in dieser Hinsicht als sehr schuldig. Denn die Versuche, den ganzen Mist zu beseitigen waren meiner Einschätzung nach bislang ziemlich halbherzig.

Christen – und hier schließe ich mich ein – zeigen keine Besonderheit in ihrer Einstellung, die es dem äußeren Beobachter ermöglichen würde, daraus zu schließen, dass sie gläubig sind.

Jonathan Pageau: Doch, das tun sie schon. Allerdings innerhalb einer bestimmten Hierarchie. Es gibt eine Hierarchie innerhalb des Preisgebens der Veränderung, die Gott der Welt anbietet. Wir Christen leben innerhalb dieser Hierarchie und die über uns halten uns zusammen. Die Kirche fungiert als Zeuge des Glaubens. Es gibt aberhunderte von Geschichten von Menschen, die ihren Glauben innerhalb ihres jeweiligen Wirkungskreises auslebten, je nachdem inwieweit es ihnen möglich war. Und auch heute gibt es lebende Heilige. In der orthodoxen Tradition, der ich angehöre, gibt es zum Beispiel die sogenannte Gabe der Tränen oder das „freudvolle Trauern“. Eine Tradition, die darin besteht, dass Gläubige dauerhaft im Gebet leben und unaufhörlich weinen. Und diese eigenartige Vermischung von Freude und Trauer überwältigt sie. Derartiges gibt es.

Ich kann verstehen, dass Sie Dinge äußern wie: „Ich verhalte mich so, als würde Gott existieren.“ Oder dass Sie befürchten, dass Gott existiert. Ich glaube, Ihnen kommen solche Gedanken, weil Ihnen das moralische Gewicht so stark erscheint, dass Sie darunter zusammenbrechen würden. 

Jordan B. Peterson: Ja, das glaube ich wirklich.

Jonathan Pageau: Ich kann verstehen, dass Sie so denken. Doch sich so zu verhalten, als würde Gott existieren erfordert zunächst keine moralische Handlung. Zuallererst erfordert diese Prämisse von uns Aufmerksamkeit. So tun als würde Gott existieren, bedeutet zunächst einmal ihn zu verehren.

Jordan B. Peterson: Im Moment habe ich damit aber ein furchtbares Problem, weil ich große Schmerzen habe (Anm.d.Red.: Jordan B. Peterson hat seit zwei Jahren gesundheitliche Probleme, siehe hier). Nicht umsonst beschäftigen sich Theologen mit der Idee des leichten Joch Jesu und dem Gedanken dass darin Freude läge. Das stellt natürlich ein Paradox dar. Noch dazu klingt es nach: Nehmt euer Kreuz und folgt mir.

Aber die Tatsache, dass ich mit permanenten Schmerzen lebe, lässt die Idee der Freude grausam erscheinen. Und ich habe keine Vorstellung, wie ich mich damit aussöhnen soll. Natürlich habe ich mich damit abgefunden, indem ich trotzdem am Leben geblieben bin. Mit Anbetung hat das wenig zu tun. Das heißt nicht, dass ich das, was ich habe, nicht wertschätze. Ganz im Gegenteil, ich versuche, mir permanent vor Augen zu führen, was ich alles habe. Meine Frau unterstützt mich da sehr. Sie hat sich seit der Überwindung ihrer Krebserkrankung dahingehend verändert, dass sie nun viel offener religiös ist.

Vor dem Abendessen sagen wir ein Tischgebet auf und zwar sehr ernsthaft. Und natürlich empfinden wir beide viel Dankbarkeit angesichts der Segnungen, die in unverständlichem Umfang auf uns herabgeregnet sind. Und trotzdem hadere ich, weil ich nicht weiß, wie ich mich mit der Tatsache konstanter Schmerzen aussöhnen soll.

Ich habe das Gefühl, dass das ungerecht ist. Und da bin ich dann schon auf halbem Wege zum Nachtragendsein, was kein gutes Ergebnis ist.

Jonathan Pageau: Natürlich fällt es mir schwer, hier etwas zu entgegnen, weil ich damit keine Erfahrungen habe. Ich weiß nicht, was es mit mir machen würde, wenn ich dauerhafte Schmerzen hätte. Vermutlich würde es mich ruinieren.

Die Antwort darauf ist wohl das Kreuz, auch wenn das natürlich eine sehr einfache Entgegnung zu sein scheint. Doch das ist die Antwort des Christentums: Gott ging ans Kreuz und in den Tod. In diesen Tiefen liegen Geheimnisse begraben. Aber es ist nicht meine Aufgabe, an dieser Stelle zu moralisieren.

Dies ist ein Auzug aus einem Gespräch zwischen Jordan B. Peterson und Jonathan Pageau. Hier geht's zum Auszug und hier zum gesamten Gespräch.

Foto: jordanbpeterson.com

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Leserpost

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Rainer Mewes / 10.03.2021

Gott ist das Virus und das Virus ist Gott! Beide kann man nicht sehen, seine Auswirkungen jedoch sind jederzeit spürbar.

H.-J. Ewers / 10.03.2021

Aufgrund der uneingeschränkten Freiheit, die „Glaubens-Infizierte“ implizit in ihrem Glaubensinhalt ihrem „Glaubensgegenstand“ zuschreiben, müsste Er auch die kontralogische Fähigkeit besitzen, beliebig von Seiner Existenz in Seine Nichtexistenz wechseln zu können und umgekehrt. Seine Freiheit wäre nämlich eingeschränkt, wenn Er ständig auf die Substanz angewiesen wäre, die nach der Zuschreibung der „Glaubens-Infizierten“ Seine Existenz ausmacht. Denn etwas, was existiert, weist notwendigerweise eine irgendwie geartete Substanz auf, aus der es beschaffen ist.

H.-J. Ewers / 10.03.2021

Wenn sich ein Atheist darauf einlässt, darüber zu diskutieren, ob wohl ein „supranaturales Bibel- und / oder Koranwesen” irgendwie existieren könnte oder nicht, dann müsste er dazu bereit sein, die Logik aus dem Spiel zu lassen. Denn Menschen, die sich dem christlichen oder islamischen Glauben ausgeliefert haben oder ihm ausgeliefert wurden, müssen die Logik nämlich ständig aus dem Spiel lassen, weil dies dort die erste und alles entscheidende, glaubensimmanente Prämisse ist. Diese Faktenlage macht es für Atheisten natürlich wenig attraktiv, sich mit „Glaubens-Infizierten“ auf eine Diskussion über deren „Glaubensgut“ einzulassen. Wenn der „Glaubensgegenstand“ der „Glaubens-Infizierten“ existieren sollte, dann scheint Er in der Vergangenheit kein Interesse an der Verbesserung der Lebensverhältnisse für Mensch und Tier gehabt zu haben. Auch gegenwärtig scheint es so zu sein, obwohl Er, wie von „Glaubens-Infizierten“ geglaubt wird, sogar über kontralogische Fähigkeiten verfügen soll, die es Ihm möglich gemacht haben und gegenwärtig möglich machen müssten, das Leben von Mensch und Tier auf vielerlei Art und Weise zu erleichtern. Da der „Glaubensgegenstand“ der „Glaubens-Infizierten“ offensichtlich Seine kontralogischen Fähigkeiten nicht zum Wohle von Mensch und Tier nutzen will, ist es völlig irrelevant, ob Er irgendwie und irgendwo existieren könnte oder nicht. Eigentlich müssten es „Glaubens-Infizierte“ als einen blasphemischen Eingriff in die Denk- und Handlungsautonomie ihres „Glaubensgegenstandes“ interpretieren, wenn sie glauben, dass Er nur „gut“ sein kann und alle Menschen liebt. Oder wenn sie Ihn gegenüber Atheisten dahingehend verteidigen, dass Er existiert. Denn zum Zeitpunkt ihres Glaubens in vorstehender Art und Weise oder ihrer genannten Verteidigung oder auch schon sehr viel früher könnte sich der „Glaubensgegenstand“ der „Glaubens-Infizierten“ doch entschieden haben, vorübergehend oder auf Dauer nicht (mehr) existent zu sein.

Werner Arning / 10.03.2021

Vielleicht ist Glaube zunächst einmal Vertrauen. So wie ein Kind seinen Eltern vertraut. Komme, was da wolle. Das setzt voraus, dass die Eltern es mit dem Kind gut meinen. Dass es sich bei ihnen um reife Menschen handelt, die das Beste für ihr Kind möchten. Die seine Entwicklung voranbringen möchten, anstatt sie zu unterbinden. Die dem Kind auch etwas zumuten, wenn diese Zumutung der Entwicklung des Kindes förderlich ist. Die Eltern haben das Ziel, dass ihr Kind ein, von ihnen unabhängiges, selbstverantwortliches, erwachsenes Leben zu führen lernt. Ein angstbefreites Leben. Doch sind dem menschlichen Leben natürliche Grenzen gesetzt. Die Fähigkeiten des Menschen sind begrenzt. Im Wissen um diese Begrenztheit kann der Mensch mit Hilfe des Vertrauens zu Gott trotzdem voranschreiten. Hinein in den dichten Nebel des vor ihm Liegenden. Des Unbekannten. Jederzeit kann etwas „Schlimmes“ passieren. Das gilt auch für den Gläubigen. Gott ist sicher keine Lebensversicherung. Das Leben ist eine fragile Angelegenheit, dessen Rahmen wir nicht erfassen. Vertrauen. Was das Ganze dann soll? Vielleicht eine Hinführung zur Gotteserkenntnis. Es ist ein Geheimnis. Derjenige, der „reif“ genug und in ausreichendem Maße aufnahmebereit dafür ist, kann es möglicherweise lüften. Nur kundtun kann er es danach nicht. Denn verstehen kann ihn nur, wer ebenfalls dem Geheimnis auf der Spur ist.

Bernhard Maxara / 10.03.2021

“Selbst dem Frömmsten ist das Mittagessen wichtiger als das ‘Abendmahl…’ “. formuliert Nietzsche einmal. Und nach den Erfahrungen mit den christlichen Kirchen in der “Corona”-Farce füge ich die Erkenntnis hinzu: Das Gottvertraun reicht bis zum nächsten Schnupfen.

Fritz Gessler / 10.03.2021

gott lacht über alle religionen und glaubensbekenntnisse. gott exisitert nicht, gott ist. seine kreaturen existieren: einen wimperschlag gottes lang - wie das ganze universum übrigens. was christen sich über gott zusammenfantasieren, ist der ganze mythenkanon des antiken heidentums. (nb: gott hat keinen vater und keinen sohn und erst recht keine mutter.) ... der wunderrabbi einstein hat gottes geheimen name gefunden und verraten: E-mc2 die strafe kam prompt: kernspaltung und erfindung der atombombe.

Florian Bode / 10.03.2021

Schwieriges Thema. Besondere Probleme entstehen in dem Moment, in dem Gott vom Prinzip zu einer Person erklärt wird.

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