112-Peterson: Die Schlange unter der Motorhaube

Dinge, die sich selbst überlassen werden, zerfallen. Wer etwas in Besitz nimmt, muss Zeit in die Wartung investieren, allein, um den Fortbestand zu gewährleisten. Menschen haben eine Art Vertrag mit den meisten ihrer Besitztümer. Es ist eine Art moralische Verpflichtung.

Angenommen, Sie besitzen ein Auto. Sie haben über einen gewissen Zeitraum Opfer gebracht, um sich dieses Auto leisten zu können. Aber das Auto ist diese Opfer nur wert, wenn es als Auto brauchbar ist. Die Opfer, die Sie auf sich genommen haben, um das Auto zu erwerben, lassen sich also nur begründen, wenn Sie die Wartung nicht vernachlässigen. Sonst wird das Auto irgendwann gar keinen Wert mehr haben.

Wie kann man den Verschleiß eines Autos beschleunigen? Nun, man kann zum Beispiel ignorieren, dass das Auto ein tickendes Geräusch von sich gibt. Kennen Sie Tiamat, die Chaosgöttin in der alten babylonischen Religion? Das tickende Geräusch ist sozusagen die Genese von Tiamat in Ihrem Auto. Es ist das erste Anzeichen, dass der Chaosdrache in Ihrem Auto erscheinen wird.

Dazu kann ich eine witzige Geschichte erzählen. An der Uni hatte ich eine Freundin. Ich hatte sie sehr gern, aber sie hatte wirklich wenig Affinität zu technischen Dingen, um es freundlich auszudrücken. Meine Freundin hatte einen alten Honda. Diese Autos waren vor 30 Jahren, als sie zuerst auf den Markt kamen, für ihre Rostanfälligkeit berüchtigt. Die kanadischen Winter setzten ihnen hart zu.

Ein Stoßdämpfer hatte die Motorhaube hochgedrückt

Mit dem alten Honda herumzufahren, war ziemlich gruselig, da der Boden so durchgerostet war, dass man an einigen Stellen hindurchsehen konnte. Ich versuchte mehrmals, meine Freundin darauf anzusprechen, aber das Problem kümmerte sie nicht. Bis sich eines Tages die Motorhaube plötzlich verbog und nach oben schnellte.

Meine Freundin war etwas konsterniert und schaffte es, zu einer Reparaturwerkstatt zu fahren. Ein Mechaniker öffnete die Motorhaube und es wurde deutlich, was passiert war: Die Karosserie war vom Fahrzeugrahmen abgefallen! Und ein Stoßdämpfer, der ja eigentlich mit dem Auto verbunden sein sollte, hatte die Motorhaube hochgedrückt. Die Autokarosserie war wortwörtlich auf den Boden gefallen. Es grenzt an ein Wunder, dass sie damit noch fahren konnte.

Ich würde in diesem Fall nicht unbedingt von bewusster Fahrlässigkeit sprechen. Sie hatte halt wenig Ahnung von Automechanik. Aber stellen Sie sich vor, es wäre zu einem tödlichen Unfall gekommen. Man könnte dann Gott verfluchen, weil er bestimmte Umstände produziert hat. Aber die Tatsache, dass man durch den Wagenboden hindurchsehen konnte, hätte vielleicht mehr Aufmerksamkeit verdient.

Wenn die Dinge um Sie herum auseinanderfallen, sollten Sie sich immer die Frage stellen: Liegt das an ihrer inhärenten Tendenz zu zerfallen? Oder daran, dass Sie den Zerfall beschleunigt haben, indem Sie die kleine Schlange ignoriert haben, die in Ihrem Paradies aufgetaucht ist?

Dieser Beitrag ist ein Ausschnitt aus dem Vortrag „Maps of Meaning 11: The Flood and the Tower“. Hier geht’s zum Original-Vortrag auf dem YouTube-Kanal von Jordan B. Peterson.

Foto: jordanbpeterson.com

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Leserpost

netiquette:

Klaus Schmid / 29.08.2018

Claudia R. hat daher ihren (unseren) alten Honda einfach bei der Schrottpresse angemeldet als das erste Tickern zu hören war.

James Joyce / 29.08.2018

Werner Arning, welche Macht hat der Mensch, haben Sie, Vergänglichkeit hinaus zu zögern? Können Sie Zeit beeinflussen? Nach der Formel E=mc2 müssten Sie Lichtgeschwindigkeit erreichen, erst dann stünde die Zeit still. Woher wissen Sie, dass dem Ende ein Anfang inne wohnt? Vice versa? Urknall endlich also wiederholbar? Na ja, ich tröste mich mit Goethe. Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis…...☝️

Frank Volkmar / 29.08.2018

Die “kleine Schlange” in dieser Gesellschaft fällt mir schon seit Längerem auf. Was soll man machen wenn man im “im alten Honda” mitfahren muss und die Verantwortlichen ihre Aufgabe darin sehen die Motorhaube mit immer neuem Klebeband zu fixieren ?

Heiner Hardschmidt / 29.08.2018

Das ist eine interessante Analogie, zeigt gleichzeitig aber auch den “Fehler” im zwischenmenschlichen System auf: Die einen fallen bei Problemen zurück auf die emotionale Komponente (=Frauen) und die anderen auf die mechanische Komponente. Zum Funktionieren der Gesellschaft aber braucht es beides. Zum einen die mechanische Reparatur und Pflege, zum anderen aber auch die emotionale Heilung. Dank der gerne mal wegdiskutierten Unterschiede zwischen Mann und Frau geht das nur zu gerne mal schief. Dabei sollten wir uns mehr über unsere inhärenten Unterschiede im klaren sein. Nur dann werden wir es schaffen, die gegenseitigen Defizite und Stärken miteinander zu kombinieren.  

beat schaller / 29.08.2018

Herrlich und spitz! Man sollte vermehrt genau hinsehen und man sollte auch nicht all zu viel einfach immer wieder nur ignorieren…............sonst findet man die Gründe für den Zerfall erst im Nachhinein. Dann kann man auch oft erkennen, dass man selber einen guten Teil der schuld mindestens mit zu verantworten hat., auch wenn die Meisten nur auf Andere zeigen. b.schaller

Werner Arning / 29.08.2018

Wichtig ist wohl, alles um mich herum existierende nicht als selbstverständlich vorhanden anzusehen. Denn alles existierende strebt seinem Vergehen entgegen, seinem Ende. Alles in der Welt ist vergänglich. In meiner Macht liegt es, dieses Ende hinauszuzögern. Sein Vergehen zu verlangsamen. Dafür bedarf der Gegenstand oder der Zustand der Pflege. Ob es sich um ein Auto oder um meine Beziehung zu anderen Menschen handelt, macht in dieser Hinsicht keinen Unterschied. Vergänglichkeit ist ein Grundprinzip alles existierenden. Das Ende wohnt jedem Anfang inne. Dem Menschen ist jedoch ein Spielraum überlassen, den er nutzen sollte.  Das kann er durch Aufmerksamkeit und Achtsamkeit erreichen.

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