112-Peterson: Der politisch unkorrekte Michelangelo

Vielleicht haben auch Sie sich schon einmal beim Betrachten von Michelangelos „Die Erschaffung Adams“ in der Sixtinischen Kapelle gefragt: Was zum Teufel tut Gott in dieser Darstellung? Was genau ist das (die scheinbare Hülle, von der Gott im Gemälde umgeben ist, Anm. d. Red.)? Hierauf gibt es einige interessante Antworten und im Folgenden möchte ich eine davon vorstellen.

Vor ungefähr 20 Jahren gab es eine Gruppe von Wissenschaftlern, die auf die genaue Ähnlichkeit zwischen besagter Struktur und einem in der Mitte halbierten Gehirn hinwies. Nicht zu vergessen war Michelangelo einer der ersten Menschen, der detaillierte Sezierungen durchführte. Also nahmen sie an, dass Michelangelo Gott aus irgendeinem Grund ins Gehirn gebracht hatte. Und das scheint mir mit der Vorstellung verbunden zu sein, dass es eine Analogie oder eine metaphorische Identität gibt zwischen dem Begriff davon, was Gott ist, und den Strukturen, die das Bewusstsein hervorbringen. Ich glaube, wir unterschätzen den Grad, zu dem das Bewusstsein sowohl wundersam als auch unverständlich ist.

Wir bestehen aus vollkommen stofflichem Substrat, und trotzdem haben wir ein Bewusstsein sowie ein Bewusstsein für unser Selbst und sind auf gewisse Weise fähig, die Welt zu kreieren, indem wir sie betrachten. Das ist wirklich bemerkenswert. Dieses Bewusstsein hängt von etwas ab, das aus der Tiefe unseres stofflichen Substrats aufsteigt, das wir überhaupt nicht verstehen. Eine wirklich verrückte Sache. Man spricht viel über wissenschaftlichen Reduktionismus, aber nun kommen wir zu etwas wirklich Interessantem, einer Art Berührungslinie. 

Die Grenzen des eigenen Wissens

James Watson, der gemeinsam mit Francis Crick die DNA entdeckte, glaubte, dass sie aus dem Weltall stammen müsse, weil sie so kompliziert sei. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sich die DNA auf Erden hätte entwickeln können. Er hat sogar ein Buch darüber geschrieben (Die Doppel-Helix: Ein persönlicher Bericht über die Entdeckung der DNS-Struktur). Auch bei vielen anderen, die als Beispiele für wissenschaftlichen Reduktionismus herangezogen werden, stellt sich heraus, dass sie dem überhaupt nicht entsprechen, wenn man liest, was sie so geschrieben haben.

Sie waren sich der Grenzen ihres eigenen Wissens sehr wohl bewusst. DNA ist etwas wirklich Spektakuläres. Sie ist eine ewige Substanz. Sie existiert schon seit sehr langer Zeit und die Vorstellung, dass wir sie verstehen, ist einfach Blödsinn. Und ich würde sagen, dass das Gleiche für das Gehirn gilt. Wir kratzen an der Oberfläche von etwas, das wir überhaupt nicht begreifen. Vielleicht hatte Michelangelo genug Mut, genau das zu tun. Es ist durchaus möglich. Er traute sich, Sezierungen durchzuführen, als darauf der Tod stand. Er musste unterm Strich Leichen klauen, um das durchführen zu können. Ich würde sagen, er war nicht besonders politisch korrekt.

Sehr spannend das ganze. Unter Atheisten gibt es den Witz, vermutlich verbreitet von Richard Dawkins, dass es genauso vernünftig ist, an ein fliegendes Spaghetti-Monster zu glauben wie an Gott. Mittlerweile wurde auch Michelangelos Gemälde auf diese Weise persifliert. Die Parodie heißt „Touched by His Noodly Appendage“ („Berührt von seinem nudeligen Anhängsel“). Nicht sehr anspruchsvoll, aber witzig. 

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Vortrag „Bibelserie II: Genesis 1: Chaos & Ordnung“. Hier geht's zum Ausschnitt und hier zum gesamten Vortrag.

Foto: jordanbpeterson.com

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Leserpost

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Ester Burke / 05.06.2019

Ja, was können wir denn letztlich wissen . bei aller Begeisterung für die menschliche Intelligenz und unsere Erkenntnisfähigkeit ?  1. Korinther 13 , 8 - 13 : “....so doch die Sprachen aufhören werden und die Erkenntnis aufhören wird . Unser Wissen ist Stückwerk…” Und was wäre der SINN des Ganzen ? Die (vertrauende) Vorstellung : der Mensch ist das BEZOGENE Wesen (-“sich hervorwagen auf ein Entgegenkommen hin”- L.s.), entstanden (entsprungen ,erschaffen ?) dem Willen :“ein Wesen schaffen, das mir gleich sei ” (das auf mich antwortet, auf das ich antworte)  -  kann möglicherweise /im Glücksfall gelebt werden. Brauchen wir Dualität /Gegensätze/ das Andere, um überhaupt wahrnehmen zu können - Tag/Nacht, kalt/warm, gut/böse, schön /hässlich, Mann/Frau, Schöpfer/ Geschöpf etc.? So wie wir 2 Hände, Beine, Lungenflügel, Gehirnhälften etc. brauchen ? “Wenn ich alle Erkenntnisse hätte und alle Geheimnisse wüsste und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts !”  Selbst wenn wir irgendwann “alles” wissen sind wir noch angewiesen auf ein DU. (und @ W. Arning : sehr herzlichen Dank für ihre Botschaft, über die ich mich freue !)

peter luetgendorf / 05.06.2019

Liebe Frau Schönfelder, das klingt sehr überzeugend. Und Gott war so schlau, Adam attraktiver zu machen. Ansonsten halte ich den Menschen doch schon für eine recht gut funktionierende Maschine. Zumindest für eine begrenzte Zeit. Gruß peter luetgendorf

Werner Arning / 05.06.2019

Das Geistige berührt das Stoffliche. Das Geistige belebt das Stoffliche. Dadurch überträgt Gott Adam einen Funken der Göttlichkeit. Aus beschränkter Kreatur wird Gemeinschaft mit dem Göttlichen. Das Potential zur Gottgleichheit wird angelegt. Das Ebenbild wird vorstellbar. Nicht die Schaffung des Stofflichen ist hier das Ziel. Allenfalls beherbergt das Stoffliche das Geistige. Das Gefäß ist nur ein Teil der Schöpfung. Nicht der entscheidende.

Alfons Kuchlbacher / 05.06.2019

Mir gefällt an dem Fresko im besonderen, wie Eva hinter Gott hervorschaut und Adam kritisch, aber doch auch erwartungsvoll begutachtet.

Wilfried Cremer / 05.06.2019

Gott ist genauso wenig logisch wie sein Objektiv, die Willensfreiheit.

Sabine Schönfelder / 05.06.2019

Beim Reduktionismus besteht immer die Gefahr der subjektiven Wertigkeit der einzelnen Bestandteile, und ebenso der Hang zur sinnbefreiten Spekulation über Details und Assoziationen, die in Millionen von Hirnen, quasi von allen Menschen, die dieses Bild betrachten, entstehen können. Es ist doch viel netter das Bild insgesamt, als Ganzes, zu betrachten, und dabei einfach die Fantasie spielen zu lassen. Gott hat, nach einer rauschenden Nacht in den Armen seiner Engel, Adam erschaffen, nach seinem Vorbild, und erklärt ihm mit ausgestrecktem Zeigefinger wie schön Liebe sein kann. Worauf Adam lässig seinen Arm erhebt, ihm seinen Zeigefinger entgegenhält und ihn auffordert, ihm ein entsprechendes Wesen zu erschaffen. Und so entstand Eva!

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