112-Peterson: Den Sinn für’s Leben gibt uns ein Instinkt

Russland hat zahlreiche exzellente Neuropsychologen hervorgebracht, von denen ich viel gelernt habe. Vor allem hinsichtlich der folgenden Erkenntnis:

Der Grund dafür, dass wir Bedeutung und Verpflichtung empfinden, wenn wir im Leben voran kommen, ist ein zugrunde liegender Instinkt. Es ist kein kognitives Phänomen, es ist keine Konsequenz der Gedanken – die Ursprünge gehen viel tiefer. Es handelt sich um einen außergewöhnlich tiefgreifenden Instinkt. Darüber lohnt es sich, nachzudenken.

Natürlich nur, wenn man davon ausgeht, dass wir uns im Laufe der Zeit unserer Umwelt angepasst haben und dass uns unsere Instinkte durch die Welt leiten, damit wir überleben, uns fortpflanzen und damit über einen längeren Zeitraum als Spezies existieren können. Die Tatsache, dass ein Instinkt von einer solchen Tiefe existiert und dass er mit dem Gefühl eines lebenswichtigen Engagements im Sein verbunden ist, ist ein sicheres Zeichen dafür, dass in diesem Empfinden eine tiefe Wahrheit liegt.

Ich würde sagen, dass dies womöglich noch wichtiger ist als die Kenntnis über die Rolle, die das Serotonin-System in einer Hierarchie-Gegnerschaft spielt. Denn wir neigen dazu zu denken, dass Bedeutung oder Sinnhaftigkeit etwas ist, das als sekundäre Folge aus dem menschlichen Denken heraus entsteht. Wenn wir das glauben, ist es einfach, dies zu kritisieren, es zynisch zu betrachten und das Vertrauen darin zu verlieren.

„Tu das Bedeutsame und nicht das Zweckmäßige.“

Wenn man aber versteht, dass es sich dabei um ein viel tiefer liegendes Phänomen handelt, und dass die kognitiven und philosophischen Elemente nichts anderes als die Spitze des Eisberges sind, erkennt man, dass die wahren Ursprünge viel verankerter und massiver sind. Ich glaube jedenfalls, dass die Beweise dafür, dass Bedeutung oder Sinnhaftigkeit ein Instinkt ist, überwältigend sind.

Ich denke, im allgemeinen Bewusstsein ist das noch nicht angekommen. Und was die Forschung angeht – das Thema ist nicht neu, wird aber hauptsächlich erst seit ungefähr 30 Jahren bearbeitet. Und das vor allem durch Psychobiologen, also durch jene Kollegen am harten wissenschaftlichen Ende der Psychologie. Eine technisch anspruchsvolle Arbeit, die viel Neurobiologie, Neuroanatomie und Psychopharmakologie beinhaltet – sich allerdings auszahlt.

(...)

Darum lautet Regel Nummer 7 in meinem Buch „12 Rules for life“: „Tu das Bedeutsame und nicht das Zweckmäßige.“ Das Zweckmäßige ist stets das, was man kurzfristig tun möchte – im impulsiven Sinne. Weil man durch etwas getrieben wird – sei es Ärger, Angst, Frustration, Enttäuschung oder Verzweiflung – irgendein einäugiges, motivierendes Monster, das einen fest im Griff, aber nicht einmal ansatzweise das Gesamtbild im Blick hat. Keinen Blick für unser Leben morgen, in einer Woche oder auch nur in einer halben Stunde – weil man stattdessen in einem Augenblick hemmungslos in Wut ausbricht. Ein Zornesausbruch ist verständlich, manchmal sogar notwendig, aber nicht unbedingt weise.

Der Grund für die Erinnerung

Der Instinkt der Sinnhaftigkeit scheint eine Konsequenz aus der Abstimmung all der unterschwelligen Motivationen und Emotionen mit der sozialen Existenz und der anschließenden Manifestation eines geeigneten Weges nach vorne zu sein. Wir alle brauchen das. Man muss wissen, wie man im Leben voran kommt  – weil wir alle im Leben voran kommen müssen.

Ein weiterer Aspekt, der auch eine wichtige Rolle in meinem Buch spielt, ist das Bestehen auf Handlung als höchstem Gut. Wir sind von unserer Natur her keine Geschöpfe, die die gegenständliche Welt passiv wahrnehmen. Das ist weder das Ziel unseres Wahrnehmungs-Apparates noch das Ziel unseres Erinnerungsvermögens. Der Grund für unsere Fähigkeit zur Erinnerung ist nicht, sich an die Vergangenheit zu erinnern.

Der Grund für unser Erinnerungsvermögen ist, fähig zu sein, herauszufinden, was in der Vergangenheit Schlechtes passiert ist, warum es passiert ist und wie man es in Zukunft vermeiden kann. Sehr praktisch. Mit den positiven Dingen verhält verhält es sich natürlich genauso. Erinnerung ist also auf Handlung und vor allem auf unsere Lebensqualität ausgerichtet. Nicht, um die gegenständliche Welt zu beschreiben.

Dies ist ein Auszug aus einem Vortrag von Jordan B. Peterson. Hier geht's zum Auszug.

Foto: jordanbpeterson.com

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Leserpost

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H.Roth / 18.11.2020

Den Sinn für’s Leben gibt uns… unser Schöpfer! Mich hat meine jugendliche Sinnsuche durch viele dunkle Zeiten voller Irrungen und Wirrungen getrieben, bis ich anfing, die Bibel zu lesen. Es ist wahr, was Augustinus einmal sehr deutlich sagte: “Unsere Seele ist ruhelos, bis sie Ruhe findet in Gott.” Die Sinnsuche ist im Grunde unsere Sehnsucht nach dem, was wir durch den Sündenfall verloren haben: die Feundschaft und Gemeinschaft mit unserem Schöpfer. Der Weg dahin zurück ist möglich, durch Jesus Christus.

Werner Arning / 18.11.2020

Die Russen haben große Denker hervorgebracht. Denker, die über das rein „Kognitive“ hinausdachten. Diese Denker waren sich der „Begrenztheit des Denkbaren“ bewusst. Und ja, da ist etwas Tieferes. Muss man dieses Tiefere mit dem „Instinkt“ erfassen? Reichen „die Gedanken“ hierzu möglicherweise nicht? Aber ist „Instinkt“ das richtige Wort, welches das Erforderliche annähernd richtig beschreibt? Das „Nachdenken“ lohnt sicher trotzdem. Aber ob uns wirklich Neurobiologie, Neuroanatomie und Psychopharmakologie beim Nachdenken helfen, wage ich zu bezweifeln. Und selbst die Psychologie hilft wohl nur bedingt.

Gerd Quallo / 18.11.2020

Selbst wenn Bedeutung oder Sinnhaftigkeit ein Instinkt sind, ändert das nichts an der eigentlichen Sinnlosigkeit unserer Existenz. Um es mal ein wenig nihilistisch auszudrücken. Mit der richtigen hedonistischen Einstellung kann man trotzdem Spaß haben.

Petra Wilhelmi / 18.11.2020

Zitat: “Der Grund für unser Erinnerungsvermögen ist, fähig zu sein, herauszufinden, was in der Vergangenheit Schlechtes passiert ist, warum es passiert ist und wie man es in Zukunft vermeiden kann. ” Dieser Instinkt scheint aber den Bürgern mehrheitlich abhanden gekommen zu sein. Innerhalb relativ kurzer Zeit hatten wir 2 Diktaturen in Deutschland. Da ist es doch recht verwunderlich, dass sehr viele Bürger mit Begeisterung in die 3. rennen wollen. Vielleicht hängt das mit der Degeneration vieler zusammen, dass die diesen Instinkt nicht mehr haben und er nur noch bei einer Minderheit funktioniert.

Dieter Kief / 18.11.2020

Dr. Peterson entdeckt die Nachteile des Historismus. Für die formidablen russischen neurologischen Einischten in die organische Basis unserer Moral gibt er hier leider keine Quelle an.

Rainer Niersberger / 18.11.2020

Ein guter Rat, der aber, zumal in diesen Zeiten, angesichts der ziemlich animalischen Natur des “Ueberaffen” wenig Gehoer finden duerfte. Tatsaechlich ist die Erkenntnis darueber, dass das, was “den Menschen” antreibt und steuert, nicht der Verstand, sondern seine Triebe, Instinkte, Impulse und Affekte nicht ganz neu, allerdings von sogen. Geisteswissenschaftlern, Politikern und anderen Manipulateuren ungern gehoert. Man will seine” Erfolge “lieber auf den Verstand, als auf niedere Instinkte zurueckfuehren. Die aktuellen Umstaende machen rein empirisch, und das nicht zum ersten Mal, deutlich, wie der Mensch, resp. etwa 90 bis 95 % seiner Art, so ist.  Abgesehen von Definitions fragen bei einigen der vom Autor verwandten Begriffe (da duerfte es ein ziemlich unterschiedliches Verständnis geben), hat der postmoderne Mensch des Westens den fuer ihn qua Beschaffenheit ohnehin kaum erfuellbaren Erkenntnis - und Verstehenspostulaten erfolgreich und radikal abgeschworen. Er gibt sich seinen Hormonen und Neurotransmittern hin, natuerlich immer narrativ rationalisierend, was ihm das Hirn bekanntlich auch anbietet, aber sehr selten reflexiv oder gar korrigierend. Er will überleben und sich moeglichst immer gut fuehlen. Dazu gehoeren die sattsam bekannten Mechanismen, heute technisch unterstützt. Er will sich selbst und andere taeuschen und er glaubt das, was er glauben will, um sich gut zu fuehlen. Als Herdentier hat er “allein” (in jedem Sinne) massive Unwohlgefuehle. Diese Regression zu den Wurzeln oder tieferen Schichten wurde und wird von aus unterschiedlichen Gruenden daran interessierten Kreisen ueber das ohnehin wirkmaechtige Belohnungssystem massiv getriggert, gegensätzlich zum Rat des Autors. Tue das momentan Zweckmaessige, Nuetzliche, lebe hier und jetzt und tue das, wonach Dir gerade ist. Denke bloss nicht nach, erfülle Dir Deine Wuensche, Du hast ein Recht darauf, Sorge sofort fuer Befriedigung, folge Deinen Affekten, schiebe nicht auf usw.. Das hoert man gerne

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