112-Peterson: Das Dilemma der Alleinerziehenden

Bis zu einem gewissen Grad kann eine gute Mutter leisten, was in den Aufgabenbereich des Vaters fiele. Trotzdem ist es für nur eine Person schwer, alles zu sein. Außerdem stehen Frauen vor einem grundsätzlichen und sehr schwierigen Dilemma, was wohl auch erklärt, warum sie in der Persönlichkeitsdimension "Liebenswürdigkeit" beziehungsweise „Verträglichkeit“ höher als Männer abschneiden und mehr negative Emotionen empfinden: Die erste Frage, vor der die Frau steht, lautet, warum sie ihr Kind nicht einfach aus dem Fenster werfen sollte. Denn ein Kind ist sehr nervenaufreibend. Es ist immer da, verlangt ständig etwas. Es lebt in extremer Abhängigkeit.

Eine Frau muss also in Richtung Gnade und Mitgefühl ausgerichtet sein, ganz besonders im ersten Lebensjahr eines Kindes, in dem es so unglaublich verwundbar ist. Ich glaube, dass es deshalb für Frauen so schwierig ist, einerseits gnädig zu sein, andererseits dann den Wechsel zu einer ermutigenden und disziplinierenden Autoritätsfigur zu schaffen. Es ist für Menschen offenbar sehr schwierig, diese Rollen gleichzeitig auszufüllen.  

Ich will nicht sagen, dass alle Frauen nur mitfühlend sind, und alle Männer nur ermutigend und disziplinierend, aber bis zu einem gewissen Grad teilt es sich tatsächlich so auf. Außerdem denke ich, dass die biochemischen Transformationen, die während der Schwangerschaft und dem Stillen stattfinden, eine Mutter in diese Richtung stoßen: Sie muss dieses kleine Ding absolut lieben, es muss die Nummer Eins sein, egal, was es ihr abverlangt. Diesem Kind dann zu sagen, was es zu tun hat, und aufzupassen, dass es sich gut benimmt, ist eine ganz andere Sache.

Kinder, die ohne Vater aufwachsen, können Ersatz teilweise bei ihren Freunden finden. Insbesondere vaterlose Jungs tun sich oft zu Banden zusammen, wo sie die fehlende Maskulinität erleben. Aber das ist nicht gut, denn was wissen diese Jungen schon? Sie wissen gar nichts, sie sind nur dumme Kinder. Sie sind 15 Jahre alt, das Testosteron pumpt durch ihre Adern, und sie wollen weg von ihrer Mutter. Letzteres ist grundsätzlich wünschenswert, aber leider sind diese Jungs nicht in der Lage, über sich selbst Autorität auszuüben. Einen Ersatz für die fehlende Maskulinität können vaterlose Jungen auch in Bildungsangeboten finden, in Büchern, in Filmen, in Sporthelden, denn das Konzept des „Vaters“ ist fragmentiert und auf die gesamte Gesellschaft verteilt. Dennoch stehen Kinder, die ohne Vater aufwachsen, immensen Schwierigkeiten gegenüber. 

Die Ersetzung des Vaters ist problematisch

Eine der Sachen, die wir in unserer Gesellschaft tun und die ich für absolut verheerend halte, ist, zu behaupten, dass alle Familien gleich seien. Tut mir leid, aber das ist falsch! Es gibt keinerlei empirische Daten, die diese Behauptung stützen. Es ist viel besser für Kinder, wenn sie von zwei Elternteilen aufgezogen werden. Wer diese zwei Personen sind, das ist eine ganz andere Frage.  

Eine weitere Gefahr, die schon Freud beobachtet hat, besteht darin, dass die alleinerziehende Beziehung zwischen Mutter und Kind oder Vater und Kind enger werden kann, als sie sein sollte. Und dann vermischt sich einiges. Natürlich behaupte ich nicht, dass so etwas jedem passiert, aber die Gefahr ist in dieser Situation angelegt. Beide sind zu eng aneinander gebunden, ohne über genügend Ressourcen zu verfügen, weshalb ihre Verantwortlichkeiten stärker verteilt werden müssten.

Ich halte es wirklich für ein Merkmal einer niedergehenden Gesellschaft, wenn Alleinerziehende auch nur ansatzweise der Normalfall werden – das ist keine gute Idee! Und dies hat auch etwas mit der überwältigenden Selbstsüchtigkeit unseres modernen Lebens zu tun: Die Ehe ist ganz offensichtlich nicht für die Ehepartner da, sondern für die Kinder. Und wer damit nicht klar kommt, sollte endlich erwachsen werden. Sobald man Kinder hat, geht es nicht mehr um einen selbst. Punkt. Das heißt nicht, dass es überhaupt nicht mehr um einen selbst geht. Das scheint mir so selbsterklärend, dass ich nicht verstehe, wie man es überhaupt infrage stellen kann – was dennoch ständig getan wird. Indes ist es heutzutage fast illegal, die Behauptungen aufzustellen, die ich vertrete. 

Dieser Beitrag ist ein Ausschnitt aus dem Vortrag „The Psychological Significance of the Biblical Stories – Lecture 3: Genesis 1 Conclusion – God and Hierarchies of Authority“. Hier geht’s zum Original-Vortrag auf dem YouTube-Kanal von Jordan B. Peterson. 

Foto: jordanbpeterson.com

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Konstantin Wegmann / 03.01.2019

das kind als mittel zum zweck der selbtverwirklichung. zwei seiten dieser medaille der dekadenz sind die auswüchse der reproduktionsmedizin und die abtreibungsindustrie

beat schaller / 03.01.2019

Geehrter Herr Peterson, zuerst wünsche ich Ihnen ein gutes, lebendiges neues Jahr und Gesundheit. Ihr heutiger Bericht finde ich zunächst mal sehr passend für unsere Zeit. Weiter kann ich diesem wirklich viel abgewinnen.  Auch wenn solche Ansichten wohl bei den meisten Adressaten als zu konservativ gilt, so zeigen viele Erfahrungen genau dieses Phänomen der Orientierungslosigkeit, vielleicht auch der Enttäuschung auf. Ich bin oft in einem Kinderheim tätig und stelle dort genau das fest. Auch wenn die Kinder dann noch etwas älter werden, dann spürt man die Orientierungslosigkeit bei der Berufswahl, weil es schlicht keine Vorbilder gibt. Sprich keinen Vater, der zu hause von seinen Erlebnissen spricht, dem man nacheifern könnte. Als Kind ist es so oder so schon nicht ganz einfach, wenn man sich nur nach einer Person ausrichten kann. Es fehlt oft sogar eine Art von “Fluchtmöglichkeit”.  Sie bringen da wieder einen hochinteressanten Aspekt auf den Tisch, der mir zwar schon aufgefallen ist, aber nicht in dieser Deutlichkeit. Herzlichen Dank. b.schaller

yvonne Flückiger / 03.01.2019

Es ist ein guter Artikel, der die Schwierigkeiten einer Alleinerziehenden Mutter gut aufzeigt. Vor der Frage, warum eine Frau ihr Kind nicht einfach aus dem Fenster wirft, stehen ganz viele “weibliche” Hormone als Antwort. U.a. Östrogene, die auch helfen, solches zu verhindern. Spätestens jedoch mit Mitte 50, wenn bei der Frau der Hormoncocktail ganz neu gemischt wird, kann es durchaus sein, dass eine Frau eine ganz andere Antwort auf die “Fensterfrage” finden würde. Nun, da hilft jedoch die Natur mit, da mit Mitte 50 kaum mehr eine Frau ein kleines abhängiges Kind hat.  Ganztags 24/7. Höchstens in Form von Enkeln. Und das ist wieder etwas völlig anderes.

Wolfgang Kaufmann / 03.01.2019

Es ist schon erstaunlich, wie eine biochemische Transformation dieses kleine Wesen vor allem schützen will, was auch die Mutter bedroht: Männer, Mathematik, Leistung, kurz: das feindliche Leben. – Das wahre Wunder erleben wir jedoch, wenn diese unbedingte Verhätschelung und erstickende Fürsorge auch dort wirksam wird, wo gar keine kleinen Wesen da sind, sondern fertige, nicht mehr formbare Charaktere, kurz: Ersatzenkel.

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