112-Peterson: Lebenspläne und Ideologien

Sagen wir, Sie befinden sich auf dem Weg irgendwohin und haben drei Pläne, um dorthin zu gelangen. Ihr erster Plan funktioniert nicht. Das bedeutet also, dass er Ihnen ein Ergebnis liefert, das nicht das ist, was Sie sich vorgestellt haben. Der zweite Plan funktioniert auch nicht, was nicht ungewöhnlich ist, aber schließlich funktioniert Ihr dritter Plan. Nun, so eine Entwicklung ist für Sie kein Problem, das bedeutet für Sie noch keine große Störung. In diesem Fall behält man die gleiche Vision von sich selbst und die gleiche Vision der Zukunft, man wechselt einfach zwischen den Plänen.

Wir sind jedoch wirklich in Schwierigkeiten, wenn keiner unserer Pläne funktioniert oder unser Ausgangs- beziehungsweise Endpunkt infrage gestellt wird. Beispielsweise muss jemand, der auf eine medizinische Hochschule will, 30 belegte Kurse vorweisen können (in Nordamerika ist ein Bachelor-Abschluss vor einem Medizinstudium üblich, Anm. d. Red.). Er braucht in allen die Note A (Bestnote im nordamerikanischen Universitätssystem von A-F, Anm. d. Red.). In einem Kurs hat er aber nur ein B plus. Na gut, immerhin hat er noch all die anderen Kurse, das ist keine so große Sache.

Es ist eine kleine Erschütterung, die ihm vielleich Angst macht und ein gewisses Maß an explorativem Verhalten erzeugt. Vielleicht könnte der Student zum Professor gehen und sagen: „Warum habe ich dieses B plus bekommen, als ich damit gerechnet hatte, ein A zu bekommen? Ist Ihnen nicht klar, dass das mit meiner Vorstellung einer idealen Zukunft kollidiert?“ Und so weiter und so fort. Im Grunde bedeutet es aber lediglich eine Störung, man ist ein wenig ängstlich, aber man hat noch 29 andere Kurse, es ist keine so große Sache.

Die Geschichte, die man sich über sich selbst erzählt

Nun sitzt man aber im MCAT-Test (Zugangsvoraussetzung für das Medizinstudium, Anm. d. Red.) und schafft nur den Prozentrang 15. Jetzt ist man in Schwierigkeiten. Weil man eine bestimmte Vorstellung von sich selbst hat. Die unerträgliche und schmerzhafte Gegenwart bestand bislang darin, dass man (noch) kein Arzt ist. Aber man dachte, man wäre ein potenzieller Arzt, man hätte die intellektuellen Voraussetzungen und den Bildungshintergrund, Arzt zu werden. Vielleicht hat man auch noch den familiären Druck.

So hat man sich das vorgestellt, das ist die Geschichte, die man sich über sich selbst erzählt. Dass man eine bestimmte Person mit einer bestimmten Anzahl von Potenzialen ist, und darüber hinaus hat man auch eine Vision davon, wohin man sich entwickeln wird. Und dann erhält man die Ergebnisse vom MCAT-Test und hat nur den 15. Prozentrang. Die ideale Zukunft ist vorbei. Das ist ein großes Problem. Denn das bedeutet, dass alle Ereignisse, die einen umgeben haben, solange man denken kann und durch diesen speziellen Plan eine entscheidende Bedeutung erhalten haben, ins Chaos gestürzt werden.

Alles, was man bis zu diesem Punkt getan hat, basierte auf der Vorstellung, dass man es schaffen würde. Und das heißt, dass die Bedeutung, die man allem zugeschrieben hat, in Bezug auf dieses Ziel zugeschrieben wurde. Nun ist das Ziel vorbei und all diese Bedeutungen und Zuschreibungen schweben wieder frei umher. Man muss seine Vorstellung von sich selbst ändern. Aber wie zum Teufel soll das gehen? Man will Arzt werden. Man hat viel Arbeit in die Vorbereitung gesteckt und bezieht daraus sein ganzes Selbstverständnis. Aber das war's nun. Vorbei. Die anderen 29 Kurse interessieren nicht mehr. Wozu ist man eigentlich überhaupt auf dem College?

Das ist also ein Beispiel für die Ebenen, auf denen Anomalien auftreten können. Kleine Anomalien sind kein Problem, die kann man einfach umfahren und kommt trotzdem ans Ziel. Große Anomalien bedeuten, dass man eine neue ideale Zukunft entwerfen muss. Das ist ein Grund dafür, warum Menschen so anfällig für ideologische Konflikte sind. Es handelt sich bei solchen Vorstellungen von sich selbst um eine Ideologie, könnte man sagen. Um eine bestimmte Version der Dinge.

Das einzige, was bleibt, ist der Konflikt

Wenn wir uns die kommunistische Ideologie ansehen, ist sie ziemlich eindeutig. Was ist aus dieser Sicht das Unerträgliche an der Gegenwart? (...) Der Klassenkampf, und der Grund dafür ist letzten Endes die Schuld der Reichen, die Armen auszubeuten. Die ideale Zukunft ist der Zeitpunkt, an dem diese ungerechten Kapitalverteilungen beseitigt werden, und dazu gibt es eine ganze Reihe von Mitteln. Das ist eine Ideologie. Nun, jemand anderes hat eine andere Ideologie, eine andere Version der Bedeutung aktueller Ereignisse, eine andere Version der Bedeutung und der Art der idealen Zukunft und eine ganz andere Auffassung, wie man das eine in das andere umwandelt.

Wenn zwei Ideologien miteinander in Kontakt kommen, machen sie sich zunächst gegenseitig Angst, weil sie nicht übereinstimmen. Wenn nun aber unsere Emotionen an der Erfüllung unserer Pläne hängen, was wird als nächstes passieren? Man kann ja seine Pläne nicht einfach aufgeben, denn dann würden unsere Emotionen dysreguliert, wir würden sozusagen ins Chaos fallen. Wir wüssten nicht, wo wir sind, wer wir sind, was wir tun sollen, wohin wir gehen, und das macht uns ängstlich. Keine der beiden Seiten wird ihre Überzeugung aufgeben.

Das Einzige, was dann unter diesen Umständen übrig bleibt, ist der Konflikt. Denn wie kommt es zu einem Streit? Einem Streit mit jemandem, den man sogar liebt? Eine Person will das eine, Sie wollen etwas anderes. Wenn Sie darüber diskutieren, kommen Sie nicht weiter. Ihre Aggression steigt, weil die abstrakte Diskussion nicht hilft. Schließlich geben Sie auf, vielleicht gehen Sie zur Gewalt über, um Ihr Problem zu lösen, um die Geschichte sozusagen auszufechten. Das kann Ihnen gelingen, indem Sie die Person unterdrücken, die einen anderen Standpunkt hat.

Dies ist ein Auszug aus einem Seminar von Jordan B. Peterson. Hier geht's zum Auszug und hier zum kompletten Seminar.

Foto: jordanbpeterson.com

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Hermine Mut / 18.12.2019

(Gott gebe mir) den Verstand, die Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann , und die Weisheit , das Eine vom Andern zu uterscheiden…(oder so ähnlich; A.Bengel, Winnenden , 19.Jht. ; s.deutsch-protestantisch)

Karla Kuhn / 18.12.2019

Aber letztendlich Thomas Taterka, ist doch “jeder seines Glückes Schmied.”  In einer “wohlstandsverwahrlosten”  Gesellschaft möchten nur die wenigsten aus ihrer Komfortzone raus. Die Wirklichkeit wird momentan von der Ideologie zugeschüttet, siehe, nicht nur,  Schweden Grete. Das wäre ja alles nicht so schlimm, wenn die meisten Politiker nicht dieser Ideologie hinterherhecheln , sondern mit KLAREM Kopf darüber nachdenken würden, WAS ist WAHRHEIT und WAS ist Schwachsinn, z. B.  WIE kann ein SINNVOLLES Programm geschaffen werden, FÜR einen realistischen, umsetzbaren Umweltschutz.  WAS ist eigentlich Lebensplanung ?? Kann man das Leben planen ?? Bei mir ist die meiste Planung in die “Hose gegangen”, die besten Erlebnisse sind mit buchstäblich in den Schoß gefallen und darum plane ich nur noch ein paar Tage voraus, wenn überhaupt.  Magdalena Hofmeister, ich sehe das auch so. Eigentlich traurig. Werner Arning, der-eigene -Wille ist des Menschen Himmelreich. Das wurde uns von unsern Eltern von klein auf gelehrt. Das hat aber nichts damit zu tun, den Willen um jeden Preis durchzusetzen, sondern nachzudenken, was will ich schaffen und was kann ich davon umsetzen. Wenn ich Arzt werden will, kann aber kein Blut sehen kann , brauche ich gar nicht erst zu studieren, da nützt mir der Wille gar nichts.

Donald Adolf Murmelstein von der Böse / 18.12.2019

Was ist denn daran so schlimm? Der Preis des Scheiterns ist ein Glück, welches man anders nicht haben kann. Herr Taderka weiß bestimmt woher ich diesen Satz ausgeliehen habe. Wer sich mit dem Absurden nicht anfreunden kann - und das Leben und die Welt ist nur mal voller Widersprüche - dem bleibt zu warten, bis alles vorbei ist oder legt selbst Hand an. Nöwaa?

Alexander Hertsch / 18.12.2019

@Thomas Haser: Der Begriff der schädlichen Ideologie ist etwas, dass man in der Mathematik Tautologie nennen würde. Denn jede Ideologie ist schädlich. Generell sind feste Denkstrukturen etwas notwendiges. Es ist nicht sinnvoll, jedes mal aufs neue zu überlegen, ob man bei Rot über die Straße geht, oder doch lieber bei grün. Wenn das eigene Kind droht, vom Auto überfahren zu werden, wird sicher niemand die nächste Grünphase abwarten wollen, um es zu retten. Genau hier liegt der Unterschied zwischen notwendiger Struktur und Ideologie. Der Ideologe würde - um im Bild zu bleiben - tatsächlich warten. Juden und Christen ist eine derartige Verabsolutierung nicht möglich - zumindest dann nicht, wenn sie das erste Gebot ernst nehmen ;).

Thomas Taterka / 18.12.2019

Die ” Methode ” Peterson hat einen Vor- und einen Nachteil. Vorteil : das politische Jammern hört auf. ( Gewaltiger Schritt ) Nachteil : jeder ist seines Glückes Schmied. (Typisch Psychologe, typisch Protestant, typisch Amerikaner) Es ist irgendwas dazwischen : sei ein Mensch, der sich “überarbeiten” kann , dann lieferst du einen authentischen freundlich-offensiven Beitrag, von dem alle etwas haben ( , die genauso sind ). So kommt es zu guten Veränderungen, auf lange Sicht. Also - optimistisch und sehr amerikanisch. Daher die Anziehungskraft und die Breitenwirkung. Es sind, manchmal etwas holprige , Überredungen zur Lebensbewältigung. Einladungen zur Selbstprüfung durch erweiterte Wahrnehmung. Mitunter mit überraschenden Bildungsanleihen von einem gewissen Anspruch. ( William Blake zum Beispiel ) Es ist mir unerklärlich, warum dieser Mann so viel Hass auf sich zieht. Besonders junge Menschen sollten ihn eigentlich schätzen. Na ja, vielleicht stimmt’s ja, daß man dem am erbittertsten nachstellt , was man im Grunde seines Herzens liebt, aber nicht lieben kann. Also Verfolgung aus Unfähigkeit zu lieben.

Werner Arning / 18.12.2019

Da haben Sie recht, Frau Hofmeister. Eine derartige „Jugend“ ist in dem Gefühl von wenig Eigenverantwortung aufgewachsen. Folglich sucht sie auch später im Leben nach anderen „Verantwortlichen“. Die Fähigkeit zur Selbstkritik und die Frustrationstoleranz sind herabgesetzt. Dadurch wird ein „Aufstehen“ nach Niederlagen erschwert. Gerne werden für Misserfolge Andere, die Gesellschaft, die Umwelt, das Klima, die Reichen, alte, weiße Männer, die Rechten, Mama und Papa oder sonst wer verantwortlich gemacht. Gleichzeitig erwartet man von diesen Verständnis und Unterstützung und ist der festen Überzeugung, auf diese Unterstützung Anspruch zu haben. Die Erfahrung der Entbehrung fehlt diesen Generationen. Doch genau diese Erfahrung der Entbehrung hilft dabei, erwachsen und eigenverantwortlich zu werden. Also müssen wir (als Gesellschaft) möglicherweise erst wieder auf die Nase fallen, um das Gehen zu lernen.

Wilfried Paffendorf / 18.12.2019

Sehr geehrter Herr Peterson. Es gibt einen Weg heraus aus diesem Hamsterrad der unerfüllten Träume. Für mich war die Lösung einfach, wenngleich auch gewöhnungsbedürftig: Zunächst einmal alles so hinzunehmen, wie es ist, dem ständig aufkommende Abwehrwillen nicht nachzugeben. Der Volksmund sagt: “Es ist, wie es ist!”, danach “geht das Leben weiter”. So simpel dies auch klingen mag, der Buddhismus bietet das gleiche Rezept an, um sich von den immergleichen inneren Konflikten zu befreien. Dadurch verschwindet auch dieses ständige Gefühl des Müssens. Trotzdem kann man an allem aktiv teilhaben, wenn man möchte. Dabei sollte man jedoch auch darauf achten, sich selbst nicht zu wichtig nehmen oder sich zu erniedrigen. Zwischen diesen beiden Polen - sich zu wichtig ansehen oder sich zu erniedrigen - pendelt der unglückliche Mensch. Kommt das Pendel zum Stillstand, “schwebt man, befreit von innerer Traktion, über den Dingen”. Dank dieser Grundhaltung trennt man sich auch mühelos von äußeren Dingen. MfG W. Paffendorf.

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