Jordan B. Peterson und Walter Russell Mead sprachen über das westliche System und die internationalen Konkurrenten, die seine Vorherrschaft gerade herausfordern.
Im Folgenden geben wir einen Auszug aus einem Gespräch zwischen Jordan B. Peterson und Walter Russell Mead wieder, das zuerst auf Jordan B. Petersons YouTube-Kanal erschien. Mead ist Professor für auswärtige Angelegenheiten und Geisteswissenschaften am Bard College im US-Bundesstaat New York. Er war unter anderem leitender Mitarbeiter der US-Denkfabrik „Council on Foreign Relations“.
Jordan B. Peterson: Was steht den USA sowie dem Westen im Allgemeinen an der außenpolitischen Front im Jahr 2023 bevor?
Walter Russell Mead: Es sind schwere Zeiten. Vielleicht hilft es zum besseren Verständnis, sich vor Augen zu führen, was der grundlegende Rahmen der Weltpolitik ist. Nämlich, dass vor rund 300 Jahren die Briten begannen, eine globale Handelsordnung zu etablieren. Es ging natürlich um Geschäfte, aber auch um das Gleichgewicht der europäischen Mächte. Die Briten etablierten im Zuge ihrer globalen Macht ein Seehandelssystem. Die Amerikaner erbten – oder übernahmen, wie manche sagen würden – dieses System nach dem Zweiten Weltkrieg. Dieses liberale, internationale Seehandelssystem, das aus Handel, Macht und politischen Beziehungen besteht, ist die dominierende Realität der Weltpolitik.
Die Welt ist mehr oder weniger in Länder aufgeteilt, die mit diesem System und seinem Fortbestehen zufrieden sind und solchen, die sich darüber beklagen und es lieber einstellen würden, sich aber arrangieren. Und dann gibt es noch Länder, die das ganze lieber zum Einsturz bringen wollen. Zu den führenden dieser Kategorie gehören China, Russland und der Iran neben kleineren Anhängseln wie Venezuela, Kuba oder Nicaragua.
Seit dem Ende des Kalten Krieges 1990 sah es so aus, als ob das anglo-amerikanische System ewig währen würde, man sprach vom „Ende der Geschichte“. Doch einerseits entwickelten sich Länder wie China und wurden mächtiger, andererseits haben es die Amerikaner und ihre Verbündeten nicht besonders gut verstanden, dieses System aufzubauen, zu pflegen und aufrechtzuerhalten. Vielmehr rückte eine Widerstands-Krise immer näher. 2022 marschierte Russland in die Ukraine ein, China bedrohte Taiwan und der Iran weigerte sich weiterhin, dem gemeinsamen umfassenden Aktionsplan (in Bezug auf das iranische Atomprogramm, Anm d. Red.) zuzustimmen und vertiefte stattdessen sein Bündnis mit Russland. Diese Allianz der revisionistischen Kräfte versammelt sich gerade und wird zu einer wahren Herausforderung für das bisherige internationale System.
Jordan B. Peterson: Mein erster Gedanke dazu wäre: Man kann über die anglo-amerikanische Einsflüsssphäre sagen, was man will, aber ich finde, es ist überhaupt nicht ersichtlich, dass China, Russland oder der Iran als moralische Leuchtfeuer hervortreten, die eine echte Alternative darstellen. China ist ein furchtbar totalitärer, kommunistischer Staat und der Iran besteht aus einem islamo-faschistischen Regime. Russland stellt zu einem gewissen Grad eine Ausnahme dar, weil es zumindest theoretisch mit dem Westen verbündet sein könnte, sich aber seit dem Ende des Kalten Krieges auf neue Weise als extrem problematisch erwiesen hat. Auf welcher Basis also können Länder wie China oder der Iran etwas anbieten, das zumindest ansatzweise als Alternative zur anglo-amerikanischen Dominanz gelten könnte? Beginnen wir mit China.
Walter Russell Mead: China bot Staaten an, auch ohne das westliche Gesamtpaket reich und mächtig werden zu können. Wobei man sagen muss, dass Chinas Strahlkraft durch den wachsenden Totalitarismus, seine ökonomischen Probleme sowie sein Covid-Management gelitten hat. China offerierte Ländern wie Simbabwe Geld und Technik, ohne sich an der Korruption dieser Staaten zu stören. Auf lästige Buchprüfer wurde ebenso verzichtet, nach dem Motto: Wir wollen euch nicht erziehen, so wie die Anglo-Amerikaner, sondern euch in dem bestärken, was ihr wollt. Das ist natürlich keine positive Agenda für eine alternative Weltordnung, aber ein Angebot, das viele Regierungen oder mächtige Einzelpersonen attraktiv finden.
Jordan B. Peterson: Ja, mächtige und korrupte Individuen. Schauen wir uns zunächst das Angebot näher an, wohlhabend zu sein, über reichhaltige Ressourcen zu verfügen und einen vernünftigen Lebensstandard zu haben – für die eigenen Bürger wohlgemerkt und nicht für die Regierung selbst. Und das alles, ohne sich die dem westlichen Moralkodex zugrunde liegende Metaphysik zu eigen machen zu müssen.
Das erscheint mir jedoch höchst unwahrscheinlich. Denn der einzige Grund, dass China selbst überhaupt reich geworden ist, liegt darin, dass es ihm gelungen ist, sich in den Westen zu integrieren. Im Grunde durch die Adaption quasi-kapitalistischer Prinzipien, ohne tatsächlich die zugrunde liegende Metaphysik zu übernehmen. Ich halte ihr System auch nicht für stabil und glaube nicht, dass sie ihren Wohlstand in die Zukunft retten können.
Sie sagen ja selbst, dass China unter Ji angesichts eines steigenden Totalitarismus stark beschädigt wurde. Das ist selbsterklärend. Und auch die Tatsache, dass sie mit ihren Waren nur an der Diktatorenfront korrupter Regierungen hausieren gehen können, ist ein Zeichen ihres Konkurses. Wenn alles, was China anzubieten hat, in der Fähigkeit besteht, die korrupten Diktatoren der Welt zusammenzubringen, erscheint dies nicht wie eine plausible oder nachhaltige Alternative zur anglo-amerikanischen Dominanz. Und China sieht sich momentan mit einer Fülle von Problemen konfrontiert, darunter todernste demografische Probleme.
Walter Russell Mead: Die anglo-amerikanische Ordnung ist 300 Jahre alt und viele haben im Laufe der Jahrhunderte versucht, sie zu erschüttern. Man könnte bis zu Ludwig XIV. zurückgehen, der mit seiner mächtigen, zentralisierten Planwirtschaft (Merkantilismus, Anm d. Red.) die gleiche ökonomische und militärische Macht wie die Briten erreichen wollte, aber ohne den lästigen politischen Liberalismus. Das schaffte er nicht, aber er schlug sich wacker und hat die Welt für viele Jahre erschüttert. Mit Napoleon war es genau das gleiche. Auch er forderte die damals noch rein britische Weltordnung heraus, indem er glaubte, dass seine aufgeklärte Diktatur eine mächtige Wirtschaft aufbauen könnte, die die blöden Briten nicht schlagen würden. Und eine Armee, der sie nicht standhalten könnten. Er randalierte eine ganze Weile, um am Ende doch zu Recht zugrunde zu gehen.
Ich glaube, Kaiser Wilhelm II., Hitler, Tojo und Stalin hatten alle auf ihre Weise die gleiche Idee: Dass eine technokratische Diktatur, zentralisierte Macht und Planung eine Gesellschaft und eine Wirtschaft kreieren könnte, die die anglo-amerikanische Hegemonie oder das liberale Weltsystem herausfordern könnte. Alle scheiterten. Alle hatten geglaubt, aus der Vergangenheit gelernt zu haben und gewinnen zu können. Ich glaube, China denkt in ähnlichen Kategorien.
Jordan B. Peterson: Ich glaube, dieser Annahme liegt ein Trugschluss biologischer Natur zugrunde. Dadurch, dass ich als Kanadier die Vereinigten Staaten 50 bewusste Jahre von außen beobachten konnte, habe ich festgestellt, dass eine Vielfalt der Ansätze die Effizienz eines monolithischen Blicks schlägt. In den USA habe ich folgendes bemerkt: 80 Prozent der Zeit spielt ihr vollkommen verrückt und entgleist auf fünf Strecken gleichzeitig. Und doch gibt es in den USA immer jemanden, der auf verrückte Weise innovativ ist.
Die USA spülen die verschiedensten Formen politischer Idiokratie an, aber gleichzeitig gibt es eine derartige Vielfalt an Herangehensweisen, dass irgendjemand am Ende immer das Richtige tut. Das liegt natürlich auch an der Bevölkerungsgröße, dem föderalen System und den echten Freiheiten. Außerdem sind die USA aufgeschlossen und anpassungsfähig genug, damit sich genügend Nachahmer finden, die das Richtige imitieren. Amerikaner schlagen daraus wie verrückt Kapital.
Wenn man als effizienter und wohlwollender Totalitarist über die richtige Vision stolpert, kann man vielleicht fünf Jahre lang effektiver sein. Aber man wird gegen Machtwechsel ankämpfen müssen. Und wenn sich die Welt auf eine Weise verändert, die nicht in diese ideologische Vision passt, gibt es keine alternativen Herangehensweisen, auf die man sich verlassen kann. Meine Beobachtung ist, dass dies all diese Länder ruiniert, die versuchen, mit dem verteilten, kreativen und freien anglo-amerikanischen Ethos zu konkurrieren.
Ich glaube, der biologische Grund dafür ist, dass biologische Systeme Anpassung mithilfe vielfacher Mutationen, also einer abweichenden Nachkommenschaft, berechnen. Die meisten Mutationen können sich nicht durchsetzen. Aber die einzige Lösung für dieses Problem der „Überschuss-Sterblichkeit“ von der biologischen Seite ist, mehrere Varianten bereitzustellen.
Weil das anglo-amerikanische System auf Verteilung beruht und eine erhebliche Menge an Macht in die Hände von Individuen und stellvertretenden Organisationen legt, ist seine mittel- bis langfristige Kreativität unschlagbar. Die Varianz ist zunächst ineffektiv. Viele der Geschäftsideen, die in den USA entstehen, scheitern. Aber die, die erfolgreich sind, sind auf spektakuläre Weise erfolgreich. Und das geschieht unaufhörlich und erscheint wie eine unaufhaltbare Kraft. Sie haben gerade eine 300-jährige Geschichte skizziert, die zeigt, dass die monolitihischen Zentralisten, die glaubten, mittels zentraler Planung und Effizienz verteilte Kreativität besiegen zu können, sich ein ums andere Mal geirrt haben. Dabei sollte man meinen, dass wir aus Fehlern lernen.
Hier geht's zum Video auf Jordan B. Petersons YouTube-Kanal.