Thilo Schneider / 11.10.2020 / 11:30 / Foto: Timo Raab / 25 / Seite ausdrucken

1000 Liter Thilo Schneider

Es gibt Dinge, die muss man auch mal die Größe haben, zugeben zu können. So erwischte den Schatz und mich ein Heißhunger auf ein Frühstück bei einer berühmten Fastfood-Kette, als wir uns frühmorgendlich auf den Weg zu unserem Haustorso machten, den es zu modernisieren gilt. Ich freute mich sehr auf „scrambled eggs“ aus Eiern gnadenlos zusammengepferchter Hühner und traurigem Schinken aus Separatorenfleisch mit extrem viel Salz, und der Schatz meinte, er müsse dringend einen EggMcMuffig essen. 

In der kulinarischen Hölle erwartete uns ein quietschbuntes Terminal, auf dem wir durch engagiertes Wutschen und Wedeln unser Menü zusammenstellen durften, aber ach… mein Lieblings-„Einmal-im-Halbjahr“-Frühstück war weg. Ersatzlos gestrichen. Einem erbarmungslosen Markt zum Opfer gefallen. Der Schatz hingegen frohlockte plötzlich: „Oh, super, schau mal, ein Avocado-Burger. Lecker! Den will ich!“ Sprachs und drückte gleich zweimal auf den Burger, um das Menü dann mit einem Wasser und einem Kaffee – oder das, was die schnellen Brüter des schnellen Restaurants darunter verstehen – zu arrondieren. Ich gab mich mit einem muffigen Ei-mit-Fleischpattie-Brötchen und einer Cola-Light (ich trinke da immer Cola-light, wegen der wenigen Kalorien) zufrieden, wenngleich ich ob der Streichung meines Lieblingstrauerspiels kurz mit dem Gedanken liebäugelte, die Bratbude bis auf die Grundmauern niederzubrennen. 

Mit einem gedachten „Pling“ der Kontokarte wurde der Gegenunwert unserer Bestellung von der Bank zum Abschuss freigegeben, und kurz darauf erhielten wir die georderte Speisenfolge. Während der Schatz begeistert an seinem Avocado-Burger herummampfte, bemerkte er beiläufig, dass er es nicht gut fände, wenn eine Burgerbraterkette ein derart hochwertiges Lebensmittel anböte. Ich war überrascht. „Warum nicht?“, wollte ich wissen. „Weil“, so dozierte der Schatz genüsslich kauend, „ein Kilogramm Avocado ungefähr 1.000 Liter Wasser verbraucht, bis es erntereif ist. Das sind ungefähr zweieinhalb Avocados. Das ist mehr als dreimal mehr Wasser, das Salat oder Kartoffeln brauchen.“ Die Freude, dass sie etwas wusste, was ich noch nicht wusste und mich belehren zu können, war meiner Gefährtin deutlich anzumerken. 

„Bei mir ist das was Anderes“

Ich war ehrlich verblüfft. „Du findest es also nicht gut, dass ein multinationaler Konzern ein hochwertiges Lebensmittel anbietet, weil das Unmengen von Wasser verbraucht?“, hakte ich vorsichtig nach. „Genau!“, stellte der Schatz knapp fest und leckte sich etwas Avocado-Saft von der linken Hand, der aus dem Burger geflossen war und ihm in den Ärmel zu laufen drohte. „Das hat Dich aber nicht daran gehindert, einen Avocadoburger zu bestellen. Wir fassen also zusammen: Du hättest es vorne an der Tafel in der Hand gehabt, durch Kaufverweigerung einen multinationalen Konzern davon abzubringen, ein hochwertiges Lebensmittel anzubieten und stattdessen wieder mein geliebtes Matschei mit Formschinken auf die Karte zu hieven, hast Dich aber dagegen entschieden, obwohl Du das Angebot keineswegs billigst. Bin ich der Einzige von Zweien, der das etwas widersprüchlich findet?“

Der Schatz reagierte etwas unwillig. „Bei mir ist das was anderes“, erklärte er, „ich weiß Avocados ja zu schätzen und weiß um deren Wasserverbrauch, aber auch deren positiven gesundheitlichen Eigenschaften“. Aha. Soso. „Also ist es vollkommen okay, dass Du einen Avocadoburger isst, weil Du Achtung vor der Avocado hast. Alle anderen haben diese nicht und sollten von einem Konzern daher lieber keine Avocados angeboten bekommen.“, rekapitulierte ich. „Exakt!“, antwortete der Schatz ungerührt. Um dann ein gehässiges „Außerdem verbraucht die Herstellung der Rinder-Patties Deines Muffig-Burgers satte 15.000 Liter Wasser, da schneide ich mit der Avocado-Variante dann doch um den Faktor 15 besser ab!“ hintendran zu hängen.

„Das mag sein“, entgegnete ich, „aber ich werfe dem multinationalen Bratkonzern ja auch nicht vor, Rinderpatties anzubieten, und ich bin auch nicht der Meinung, dass er sie nicht anbieten sollte!“ Der Schatz wechselte die Taktik: „Willst Du mir jetzt ein schlechtes Gewissen machen und mir mein Frühstück verderben?“ „Nein, ich finde nur Dein Verhalten etwas…“ und dann entschied ich mich, das Wort „bigott“ zu vermeiden, um meine Ehe nicht zu gefährden und ergänzte stattdessen „…ambivalent.“ „“Ambivalent“, soso, so nennt das der Mörder der Rinder dieser Welt, der keine Skrupel hat, für 15.000 Liter plus ein Liter jener Cola-Light dort für fünf Euro zu dinieren“, feuerte der Schatz seine Breitseite ab und tippte mit der nun freien linken Hand auf das Plastikdeckelchen meines Getränks.

Ich schwieg betroffen. Ich alte Umwelt-Sau. Wegen mir starben die Rinder und die Trinkwasserreserven. 

„Woher weißt Du das eigentlich?“, wollte ich den Quell des Wissens meiner Gefährtin in Erfahrung bringen. „Aus der Brigitte“, sagte der Schatz, während er unter lautem Rascheln den zweiten Avocado-Burger aus seiner Papierumhüllung schälte. „Etwas mehr Umweltbewusstsein würde weder Dir noch dem Planeten schaden“, hängte er hintendran. Ich wusste nicht, worüber ich mehr erschüttert war: Dass in der Brigitte etwas Informatives stand, oder dass der Schatz diese las. Aber ich musste handeln. Schnell! „Mag sein. Deswegen sollte ich gleich damit anfangen.“, gab ich zurück, nahm der Gefährtin den Avocado-Burger aus der Hand und biss herzhaft bis zur Hälfte hinein. Es schmeckte, als würde ich in ein Stück Seife zwischen zwei traurigen Brötchenhälften hauen. „Du bist wirklich unglaublich!“, stellte der Schatz erschüttert, aber völlig korrekt fest, als ich ihm die angefressene Brötchenhälfte, garniert mit einem „bäh“, zurückreichte. „Mag sein – aber bevor ich jemals ein solch hochwertiges Lebensmittel bei einer Schnellrestaurantkette ordere, verzehre ich lieber eine komplette Kuh. Da weiß ich, was ich habe!“, erklärte ich stolz. „Was Du hast, kann ich Dir sagen: keine Skrupel“, brummte der Schatz mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Du weißt gar nicht zu schätzen, was Du hast“, vervollständigte er seine Gedanken. „Doch. Dich!“, antwortete ich liebevoll. Und bestellte ihr noch einen 1.000 Liter teuren Burger. 

(Weitere Skrupellosigkeiten des Autors auch auf www.politticker.de

Foto: Timo Raab

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Hans Reinhardt / 11.10.2020

Sehr geehrter Herr Schneider, hätte ihr Schatz in der Schule aufgepasst, anstatt ihr Halbwissen auf dem zweiten Bildungsweg aus der BRIGITTE ( der Zeitschrift für die geistig Gestoppten) zu beziehen, dann wüsste er, dass man Wasser nicht verbrauchen kann. Man kann es verschmutzen, in einen anderen Aggregatzustand überführen, man kann alles mögliche damit machen, aber man kann es, im Gegensatz zu Erdöl etwa, nicht verbrauchen. Die Menge an Wasser auf diesem Planeten bleibt immer gleich. Was sie von der Menge an Doofheit unterscheidet, die nimmt nämlich täglich zu. Exponentiell.

M.Voigt / 11.10.2020

Wasser kann man nicht verbrauchen, man kann es höchstens gebrauchen. Es ist nach dem Anbau von Avocados immer noch da, nur gebraucht. Es sei denn, man schiesst die 1000 Liter nach der Ernte ins Weltall, dann ist es verbraucht. Selbst das in der Avocado enthaltene Wasser wird dem Kreislauf über die Niere/Blase wieder zugeführt.

Hjalmar Kreutzer / 11.10.2020

Danke Herr, der Sonntag ist gerettet; die erlauchte Dreifaltigkeit Maxeiner, Bechlenberg, Schneider ist wieder beisammen! Wie gut, dass meine Frau aus einem superschnellen Brüter einen wunderbaren Kaffee braut und zwar aus praktischen hygienischen Kapseln, garantiert nicht aus Pferd-Tret-Handel ;-) Dazu komfortabel vorgefertigte Baconwürfel zum Spiegelei aus dem Supermarkt und lecker fluffige Aufbackbrötchen. Nebenbei: An der Autobahn gen Hamburg befindet sich zwischen Berlin und meiner Heimatstadt in jeder Fahrtrichtung ein Rasthof, links die vielgeschmähte „kulinarische Hölle“, mittig die Örtlichkeiten, rechts ein deutsches Selbstbedienungsrestaurant mit Atmosphäre und Geschmack einer gut sortierten Betriebskantine, solide, aber nichts Besonderes. Warum nur ist es links immer so rappelvoll und rechts - na ja? Es muss den Leuten, wie mir auch, doch schmecken? Leider kann ich nicht in Ruhe am Terminal „wutschen und wedeln“ und vertue mich immer wieder, wenn hinter mir eine Schlange hungriger Familien mit quengelnder und lärmender Brut auf meinen Fersen trampelt; da warte ich dann lieber, bis ich am verbliebenen Tresen mündlich bestellen kann. Man kann sich eigentlich schon jede leckere Mahlzeit allein durch das während des Essens einsetzende Räsonieren über die Kalorienaufnahme vermiesen, der rechnerische Wasserverbrauch des Rindviehs wird dabei noch gar nicht berücksichtigt ;-) Einen schönen Sonntag!

Sabine Lotus / 11.10.2020

Ökoterrorismus bei Mäkkes. So kann doch der Sonntag beginnen. Kleine Anmerkung zu der Cola ‘light’ aus dem Fundes meines verschwörerisch gefährlichen Halbwissens: Das kommt bei uns im Graugewebe nicht so ganz an aber so ein Körper folgt seinen eigenen Gesetzen und läßt sich von ‘Light’ Produkten nicht verschaukeln. Soll heißen, schmeckt Ihr Körper süß, erwartet er billige Kohlenhydrate und stellt sich ganz darauf ein und erwartet Power, so wie ein Windmühlenaktionär gierig neben seiner Mühle sitzt und den gesamten Strom für die benachbarte Aluminiumhütte erwartet. Werden diese dann nicht geliefert, reagiert er darauf mit Heißhunger….und dann…naja. Woher ich das habe, weiß ich jetzt eigentlich gar nicht mehr so genau. Aber die Brigitte war’s nicht, ich lese nur andere Verschwörungstheoretiker. Jedenfalls halte ich ‘light’-Produkte für gefährlicher als Rauchen. Vom ‘Neuen Normal’ der Cola mal ganz abgesehen. Mahlzeit!

Claudius Pappe / 11.10.2020

Ich trinke noch (Wegen bunter Coca-Cola POC Werbung suche ich eine Alternative, möglicherweise Sinalco-Cola) die echte Coca-Cola mit Zucker und CO2 und Coffein.

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