Beda M. Stadler, Gastautor / 03.10.2008 / 19:10 / 0 / Seite ausdrucken

Zwillinge auf dem Teller

Das europäische Parlament macht sich Sorgen. Anfangs September wurde in Brüssel gefordert, dass geklonte Tiere in der Landwirtschaft nicht verwendet werden sollen. Klonfleisch droht vermeintlich vor allem aus Amerika. 622 Abgeordnete waren dafür, dass die Vermarktung von Klonfleisch verboten werden soll. 25 EU-Parlamentarier haben sich der Stimme enthalten, wahrscheinlich weil sie keine Meinung haben oder Vegetarier sind. Nur 32 Parlamentarier waren gegen diesen Vorstoss. Man war sich also einig. Die Beweggründe für diesen irrationalen Entscheid werden wohl im Dunkeln bleiben, die weitere Entwicklung wird hingegen interessant…

In Europa und natürlich auch in der Schweiz sind längst Kälber auf der Wiese, die sich wie ein Ei dem anderen gleichen. Diese Kalbereien sind beinahe Klone. Swiss Genetics bietet seine Dienste in aller Öffentlichkeit an, vermeidet aber meist das Reizwort „Embryotransfer“. Dabei geht es um das Leihmutterprinzip: man entnimmt hormonell stimulierten Kühen mehrere Eier, befruchtet diese mit dem Samen eines Superstiers und die entstandenen Embryonen werden dann Leihmüttern, besser gesagt, Leihmutterkühen einverleibt. Die Nachkommen kann man als mehreiig bezeichnen, sind also keine eineiigen Zwillinge. Natürlich könnte auch bei dieser künstlichen Art von Befruchtung passieren, dass identische Kälber zur Welt kommen und somit nun für die EU ein Problem darstellen. Den normalen Kühen kann man schliesslich schlecht verbieten, Klone, pardon Zwillinge, zu gebären. Eineiige Zwillinge, ob bei Kuh oder Mensch, sind Klone und solches Fleisch darf gemäss EU nicht mehr verzehrt werden. Dass Menschen nicht auf den Teller gehören, ist den meisten von uns klar. Bis anhin hat diese Gesellschaft menschliche Klone wegen ihrer Vererbung nicht diskriminiert. Ich hatte sogar eine Zwilling Studentin, die mit einem “ich bin ein Klon” T Shirt zur Arbeit kam. Sollten Zwillingskühe nicht mehr essbar sein, würden auch Menschen-Zwillinge ins Zwielicht gerückt.

Die Anti-Zwilling Stimmung könnte ausufern. Jetzt da die Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH) entschieden hat, dass Pflanzen auch eine Würde haben, fürchte ich mich um meinen Salatteller. Das Köpfen von Wildblumen am Wegrand ohne vernünftigen Grund mag man allenfalls ächten, aber muss ich mir bei der nächsten Rösti Gedanken machen? Zum Beispiel ist die gute alte Bintje ein Klon und hat kein Geschlechtsleben. Dies ist gemäss der Mehrheit der EKAH Mitglieder ein klarer Verstoss gegen die Würde der Pflanze. Solche Klone kommen zu Hauff unter den Kulturpflanzen vor. Unsere besten Weine, die Havelaar Bananen und überhaupt vieles was so beim Biobauern als besonders naturbezogen daherkommt, ist effektiv ein Pflanzenklon. Man kann ohne geklonte Kühe leben, aber ohne geklonte Pflanzen sähen unsere Teller öd aus.

Unsere Ethikkommission hat laut nachgedacht, scheint aber nach der Sitzung trotzdem einen Salat gegessen zu haben. Das EU Parlament scheint aber abzustimmen, ohne nachzudenken.

Zuerst erschienen in der Berner Zeitung vom 27. Sept. 2008

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Beda M. Stadler, Gastautor / 05.09.2020 / 06:00 / 87

Masken der Angst

Zur Bekämpfung von SARS-CoV-2 gab es in der Schweiz (und auch in Deutschland/ Anm. der Redaktion) anfangs eine Strategie. Sie hieß „Flatten the Curve“ und…/ mehr

Beda M. Stadler, Gastautor / 12.06.2020 / 06:08 / 138

Corona-Aufarbeitung: Warum alle falsch lagen

Das Coronavirus verzieht sich allmählich. Was hat sich in den vergangenen Wochen eigentlich abgespielt? Die Experten haben grundlegende Zusammenhänge übersehen. Die Immunantwort gegen das Virus…/ mehr

Beda M. Stadler, Gastautor / 09.10.2015 / 11:15 / 3

Schweine im Schlaraffenland

Wir essen nicht mehr, um zu geniessen, sondern um gesünder zu werden. Was Spass macht, wird verboten. Wenn es so weitergeht, sind die Beipackzettel der…/ mehr

Beda M. Stadler, Gastautor / 09.08.2015 / 06:30 / 5

Wollen sie Ewig leben?

Möchten Sie ewig leben? Was fällt jemanden ein, wenn er sich vorstellt, dass es immer weiterginge? NZZ-Folio hat bei acht Prominenten nachgefragt. Bei mir auch.…/ mehr

Beda M. Stadler, Gastautor / 27.10.2014 / 13:43 / 2

Afrikas unheimliche Krankheiten

Von Aids bis Ebola: Der Schwarze Kontinent bleibt ein riskantes Gelände. Seine Krankheiten haben allerdings mehr mit sozialen Umständen als mit tödlichen Mikroben zu tun.…/ mehr

Beda M. Stadler, Gastautor / 05.04.2014 / 00:07 / 6

Haben die Veganer recht?

«Sentience», auf deutsch Empfindungsfähigkeit, ist die Bezeichnung für zwei Volksinitiativen in Bern und Basel damit Väterchen Staat uns vegane Menus in Kantinen von Schulen, Spitälern,…/ mehr

Beda M. Stadler, Gastautor / 20.03.2014 / 20:22 / 2

Macht Politik krank?

Als Nationalrat und GLP-Chef Martin Bäumle kürzlich einen Herzinfarkt erlitt, haben die Medien gemeinsam die Diagnose gestellt: Politiker führen ein ungesundes Leben. Die Liste der…/ mehr

Beda M. Stadler, Gastautor / 27.02.2014 / 17:37 / 0

Glaube und Demokratie

Wir werden oft gezwungen ja oder nein zu sagen. Ein derartiger Zwang führt aber meist zu einem No-Go. Schreit der brünstige Liebhaber während dem Koitus:…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com