Vera Lengsfeld / 18.02.2018 / 14:03 / 15 / Seite ausdrucken

Zweierlei Schwarz-rot-gold

Im Bundestagswahlkampf 2009 verteilte der grüne Direktkandidat von Friedrichshain-Kreuzberg Christian Ströbele das Grundgesetz im Miniformat. Ein Exemplar davon ist bis heute in meinem Besitz. Auf der ersten Seite ist sein Foto abgedruckt, versehen mit seiner Unterschrift. Er pflegte nach Podiumsdiskussionen die in Schwarz-Rot-Gold gebundenen Büchlein zu signieren.

Der Anwalt und Bundestagsabgeordnete, der sich so als wahrer Hüter des Grundgesetzes präsentierte, scheint es nicht gelesen zu haben. Im Artikel 8 (Versammlungsfreiheit) steht:

„(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln“.

Ergänzend dazu sagt das Versammlungsgesetz, § 21:

"Wer in der Absicht, nicht verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Das ist immer noch die Gesetzeslage in Deutschland.

Christian Ströbele ließ sich gestern in Berlin stolz mit Gesinnungsgenossinnen ablichten, als er eine legale Demonstration von Frauen gegen Gewalt blockierte. Viele Medien berichteten zustimmend, bis euphorisch, dass es „Gegendemonstranten“ gelungen war, den Marsch der Frauen zu stoppen.

Nehmen wir die Berichterstattung der Welt als Beispiel. Das Blatt, das monatelang zu Recht die mangelnde Rechtsstaatlichkeit in der Türkei anprangerte, die ihren Korrespondenten Deniz Yücel willkürlich inhaftiert hatte. 

„Die Gegendemonstrationen seien zwar inzwischen als solche anerkannt und somit prinzipiell legal“, zitiert die Welt zustimmend einen Sprecher. Wer hat „Gegendemonstrationen“, bei denen die linksradikale Antifa, auch mit Gewalt Andersdenkende an der Ausübung ihrer verfassungsmäßigen Rechte hindert, für „prinzipiell legal“ erklärt? Sollte ein Medium, das seine Aufgabe als Hüter der Demokratie ernst nimmt, nicht diese naheliegende Frage stellen?

Statt dessen schlägt sich die Welt schon in der Überschrift auf die Seite der Feinde des Grundgesetzes: „Gegendemonstranten versperren rechtem 'Frauenmarsch' den Weg“. Frauenmarsch in Anführungsstrichen, was bedeuten soll, es hätte sich nicht wirklich um eine Aktion besorgter Frauen gehandelt, die sich zunehmend ungeschützt sexuellen Angriffen in der Öffentlichkeit ausgesetzt sehen. Zum Frauenmarsch aufgerufen hatte Leyla Bilge, eine Deutsch-Kurdin, was die „Feministinnen ohne Rassismus“, zu denen sich Ströble & Co zählen, doch ein wenig nachdenklich machen müsste. Die BZ  bezeichnete Leyla Bilge, als "selbsternannte Frauenrechtlerin, Pegida-Sympathisantin und AfD-Mitglied". Das muss nach der Ansicht der Redaktion offenbar genügen, um ein legitimes Ansinnen in Misskredit zu bringen.

Auch die Welt fand einen geeigneten Dreh:

Auf Schildern der "Frauenmarsch-Teilnehmer" stand etwa: "Meine Mutter ist die Sprache, mein Vater ist das Land. Für die Zukunft meiner Tochter leiste ich hier Widerstand." Viele Deutschland-Fahnen waren zu sehen.

Und weiter heißt es, damit der Leser begreift, wo die Guten stehen:

Auf Schildern der Gegendemonstranten war etwa zu lesen „Für Frauenrechte kämpfe ich nur ohne rechte Frauen“, „Nicht in unseren Namen. FCK AfD“ oder „Feminismus bleibt antirassistisch“. Auf Twitter postete etwa der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele ein Foto von sich und den Berliner Grünen-Politikerinnen Canan Bayram und Katrin Schmidberger und schrieb: „Gegen Rassismus und für Feminismus auf der Straße“.

Wer für die Einhaltung von Recht und Gesetz streitet, ist „rechts“. Inzwischen scheint es, liest man den Welt-Text, auch besonders anrüchig zu sein, mit Deutschlandfahnen unterwegs zu sein. Da muss man sich schon besorgt fragen, ob Ströbele, der 2009 das Grundgesetz in den Nationalfarben verteilte, nicht auch in die Kategorie "rechts" fällt.

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Leserpost

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Wolf-Dietrich Staebe / 18.02.2018

Ziemlich irre war die Gegendemonstration ohnehin: Die Grünen, die Linke usw. demonstrierten gegen eine Demonstration, die gegen Gewalt gegen Frauen protestiert. Soll das im Umkehrschluss bedeuten, dass Gewalt gegen Frauen befürwortet wird? Es hat den Anschein, zumindest wenn sich die Gewalt gegen “rechte” Frauen richtet, was immer man darunter auch verstehen soll. Sie weisen zutreffend auf Art. 8 GG und § 21 VersG hin. Die Polizei hatte wohl den Befehl “von oben”, die Blockierer nicht zu räumen. Die Abschlusskundgebung am Bundeskanzleramt fand trotz der Blockade statt.

M. Haumann / 18.02.2018

Mir tut es auch persönlich richtig leid, was aus dem ehemaligen Qualitätsniveau der “Welt” geworden ist. Einfach nur noch traurig und enttäuschend, wenn man die Zeitung wie wir über Jahrzehnte gelesen und geschätzt hat. Ist ein bisschen wie mit der CDU: irgendwann ist da nur noch die Erinnerung an den Ruhm vergangener Tage und dann bricht auch diese letzte emotionale Verbundenheit ab, wenn man Nordkorea-Parteitage miterleben muss oder immer wieder solche journalistisch unterirdisch schlechten Beiträge liest. Sehr schade.

Bärbel Schneider / 18.02.2018

Ein Plakat des “Frauenmarsches” trug die Aufschrift: “FDGO. GG. Seid ihr noch da?” Nach den Erfahrungen mit den Antifas und ihren linksgrünen Helfershelfern und der - politisch gewollten - Zurückhaltung der Polizei kann man das inzwischen getrost verneinen.  Ein bißchen Demonstrations- und Meinungsfreiheit gibt es nicht, es gibt nur alles oder nichts.

Bärbel Schneider / 18.02.2018

Liebe Frau Lengsfeld, die “Welt” hat den Sprecher der Polizei nicht vollständig zitiert. Er sagte auch, die (ca. 2-stündige) Blockade der angemeldeten Route des Frauenmarsches sei strafbar. Ich wette aber, dass Ströbele, Bayram und Schmidberger nicht angezeigt werden oder - wenn doch - dass sie im linksgrünen Berlin nicht verurteilt werden. Rotgrün wirkt! Schließlich hat auch die Polizei, wurde uns erzählt, von “ganz oben” Weisung erhalten, die rechtswidrige Sitzblockade nicht aufzulösen. Als Berlin noch einen CDU-Innensenator hatte, war das (bei der “Demo für alle”) noch möglich - jetzt sind aber linksgrüne Verfassungsfeinde, Antifa- und Merkelsympatisanten am Ruder, die ihre Macht dazu mißbrauchen, die Demonstrationsfreiheit für Nichtlinke unmöglich zu machen. Merkel-Deutschland ist auf dem Weg in eine linke Diktatur, das mußte gestern jedem klarwerden. Dass in den Beiträgen oft über Beschneidung, Kinderehe und Verschleierung gesprochen wurde, dass viele nicht deutschstämmige Personen Reden hielten (der beste Redebeitrag kam vom Imad Karim, der schon die Demo in Kandel wesentlich mitgetragen hat), wurde von der Presse einfach verschwiegen. Dabei ging es den Initiatorinnen um Frauenrechte in Deutschland, nicht nur um Rechte deutscher Frauen in Deutschland. Unter den Demonstranten waren auch nichtdeutsche Frauen - wir standen z. B. neben Kolumbianerinnen. Auch Homosexuelle mit der Regenbogenfahne waren dabei (sie erzählten, dass die Polizei sie gefragt habe, ob sie nicht auf der falschen Demo seien. “Eben nicht.”) Einen Beitrag von Ihnen, liebe Frau Lengsfeld, habe ich vermißt, besonders nach Ihrem Grußwort nach Kandel.  Beiträge der Antifa und ihrer Unterstützer waren wie gewohnt primitive Beschimpfungen und - wie es hieß - Steinwürfe auf die demonstrierenden Frauen. Es soll auch einen Schlag mit einer Stange gegeben haben, habe ich in der Presse gelesen. Noch Schlimmeres hat die Polizei verhindert. Ich habe großen Respekt vor dem Mut der Frauen, die diese Demo organisiert, und vor der - wohl oft aus ihrer Verzweiflung geborenen - Leidensfähigkeit der Demonstrantinnen und Demonstranten, die bis zum Schluss ausgeharrt haben. Übrigens ist es den Antifa-Schlägern und ihren linken und grünen Unterstützern nicht gelungen zu verhindern, dass die Abschlusskundgebung wie geplant vor dem Kanzleramt stattfand. Viele Demonstranten hatten sich auf Aufforderung der Organisatoren allein dorthin auf den Weg gemacht. Von ca. 3000 Teilnehmern am Anfang waren es allerdings nur noch einige Hundert, da viele von außerhalb kamen und ihre Züge erreichen mußten. Hoffentlich wird die Demo wiederholt. Einige Fehler, die der fehlenden Erfahrung der Organisatorinnen geschuldet waren, werden wohl nicht wieder gemacht werden.

klaus Blankenhagel / 18.02.2018

Und man wird einst fragen, warum habt ihr nicht mehr getan, euch nicht mehr vereint und gewehrt. Welch eine Oednis und Lethargie hat sich ueber das Land verbreitet. Muss es denn noch schlimmer werden, damit es sich etwas bessert. K.B.

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