Burkhard Müller-Ullrich / 22.04.2007 / 22:47 / 0 / Seite ausdrucken

Zur Wahl in Frankreich

Denjenigen Beobachtern, die Frankreich für ein politisch unzuverlässiges, ja gefährliches Land halten und es womöglich schon zu einer Belastung für Europa stempeln wollen, wurde am gestrigen Sonntag eine Belehrung zuteil: die Franzosen haben nämlich ein denkbar kluges Wahlergebnis produziert.

Da ist zunächst die Wahlbeteiligung: mit knapp 85 Prozent ein Rekord der 1958 von De Gaulle ausgerufenen V. Republik – ein Wert, der nur bei De Gaulles erster Wahl zum Präsidenten erreicht wurde. In diesem Wert drückt sich nicht nur die politische Mobilisierung der Nation als solcher aus, sondern er weist speziell auch auf die Verjüngung der politischen Akteure hin: sowohl der 52-jährige Kandidat der Rechten, Nicolas Sarkozy, als auch die 53-jährige Sozialistin Ségolène Royal sind die jüngsten Präsidentenkandidaten seit Giscard d’Estaing und haben schon deswegen jüngere Wählerschichten an die Urne gebracht.

Sodann ist dieses Wahlergebnis von einem beispiellosen Niedergang extremistischer Positionen jeglicher Couleur gekennzeichnet: Für den rechtsradikalen Jean-Marie Le Pen bedeuten 11 Prozent faktisch den Abschied von der politischen Bühne, auch wenn er noch bis an sein Lebensende herumkrakeelen wird. Fast noch spektakulärer ist der Zusammenbruch der Kommunisten, die in Frankreich immer eine kulturprägende Kraft waren – selbst nach dem Ende der Sowjetunion. Mit zwei Prozent für eine kommunistische Kandidatin geht in der Tat ein Kapitel französischer Geschichte zu Ende.

Indem die Franzosen aber alle Außenseiterüberraschungen eliminiert haben, wurde das Endergebnis des zweiten Wahlgangs in zwei Wochen noch weniger vorhersehbar. Die Spannung steigt also insgesamt noch an, denn das Volk will einen echten Entscheidungskampf zwischen links und rechts. Es ist die gleiche Kopf-an-Kopf-Situation, welche für die letzten Wahlen bei uns wie auch in Amerika charakteristisch war: eine Situation, die den Meinungsforschern zwar das Leben schwer macht, die aber für die Demokratie an sich gesund ist. Denn nur wenn sich die Kräfte ungefähr hälftig verteilen, wenn das Drama der Wahl authentisch und der Ausgang offen ist, nur dann ist der Zweck der Übung erreicht, nämlich die Zähmung der Regierenden durch die Drohung ihrer Entmachtung.

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