Herr Heller, Sie scheinen großen Wert daraufzulegen, dass ihre deutsch-türkische Kollegin kein Kopftuch trägt, nicht fünfmal am Tag den Gebetsteppich ausrollt und obendrein noch Akademikerin ist. Warum betonen Sie das eigentlich so? Wäre alles andere vielleicht genau das, wofür sich viele fürchten? Das Problem sind doch nicht angepasste, friedliche Muslime. Sondern die, die Kurve zwischen den mittelalterlichen Koranvorschriften und der Moderne nicht kriegen. Oder wer teilt die Welt in Gläubige und Ungläubige ein?
Herr Heller, auch Sie sind wieder so ein Atheist, der glaubt, daß die Aufklärung quasi jungfräulich die Menschenrechte und den modernen Rechtsstaat hervorgebracht hat. Das ist natürlich nicht historisch. Die Aufklärung ging aus der Reformation hervor und die bezog sich exklusiv auf das Neue Testament. Beides waren Emanzipationen. Unsere rechtlichen Moralvorstellungen sind also keineswegs vom Himmel in den Schoß von Kant & Co. gefallen, sondern sie sind säkularisiertes Christentum. Auch Sie stehen -offensichtlich unbewußt- auf der christlichen Seite. Ein Vergleich mit Ländern mit nichtchristlichen Traditionen sollte Ihnen hier den letzten Zweifel beseitigen helfen.
Die Achse verfolge ich jetzt seit mehrern Jahren - aber noch nie (zumindest laut meiner Erinnerung) habe ich einen so widersprüchlichen und Apologeten Text hier gefunden - und das obwohl sich eine weitere neue Autorin derzeit alle Mühe beim Flüchtlingsthema gab. Da gesteht jemand aufgrund der Religionsfreiheit zu, selbst die Berührung der eigenen Nahrungsmittel mit bestimmten anderen als Grundlage der Ablehnung zu nehmen ohne dies kritisch zu Hinterfragen und lobt die Okkupation der heiligsten griechisch-orthodoxen Stätte als architektonische Verbesserung. Da wird die kritische Betrachtung des Islam als “aufgerissenes Stieren” beschimpft, das Glockengeläut als störend verurteilt - aber, wie beispielsweise in Paris oder Moskau regelmäßig zu beobachten, das Ritual der Mekka gewandten Gebetsknierei auf offener Strasse oder im Betrieb kurzerhand als nicht existent abgetan. Auch die Auswirkungen auf den Alltag, Schulkantinen ohne Schweinefleisch, Geburtstagskuchen ohne Gummibärchen (weil Gelantine Schwein enthalte), Geschlechtertrennung in Schwimmbädern (wo es ja “keine Bikinipflicht” gäbe) - alles kein Thema. Aber die bösen Aufgeregten die sich da murmelnd zusammenfinden und Sorgen unnötig vokalisieren - die verhindern Integration. Und dann wieder die wunderbaren Vergleiche mit dem Christentum. Warum wohl kein radikaler Christ zum Selbstmordattentäter wird, wo das Bild vom Autor doch so schon als schmunzelnder Vergleich gebraucht wird. Natürlich kann dies nichts mit den Unterschieden der beiden Religionen zu tun haben. Märtyrer, das sind bei Christen jene, die ermordet oder hingerichtet werden, weil sie auf ihrem Glauben beharren. Und davon gibt es dieser Tage im Orient und selbst in Oregon weit mehr als noch in der Antike. Im Islam aber sind die Schahid weiter gefasst - u.a. eben auch durch Kriegseinsatz und Selbstmordattentat. Nicht gewusst oder schlicht ignoriert? Wirklich erbärmlich aber werden Wortspiele wie “kreuzzüglerische Wettbewerbe”. Heuchlerische, einseitige Verurteilung und Verteidigung kennzeichnet diesen Text - und das alles zu einem “höheren Ziel”, welches von der Realität und in ihr geborgenen Problemen gänzlich unberührt bleibt. Schade.
Peter Heller will Flüchtlingskrise und Religionskritik miteinander verbinden, die eine durch die andere lösen oder relativieren. Dazu kritisiert er die „religiöse Karte“ mit der seiner Meinung nach Merkel, Käßmann und Göring-Eckhart in der gegenwärtigen Flüchtlingskrise den „einen Aberglauben mit dem anderen bekämpfen“. Dabei zieht er selbst gleich am Anfang die religiöse Karte, wenn er gegen das seiner Meinung nach falsche „Bild von Horden gewaltbereiter, fundamentalistisch ideologisierter muslimischer junger Männer, die uns überrollen“ das Bild seiner „attraktiven“, „säkularisierten“ Exkollegin, setzt. Denn sie habe „noch nie einen Teppich herausgeholt und sich gen Mekka verbeugt. Obwohl sie sich – Achtung, jetzt kommt der Knackpunkt – als gläubige Muslima versteht.“ Weder seine eine noch die andere Karikatur haben mit der gegenwärtigen Flüchtlingskrise, dem eigentlichen „Schlamassel“, zu tun. Herrn Heller können Religionen – gleich welche - von mir aus „egal“ sein. Ob sie harmloser Aberglaube sind, ob sie Konfliktpotential bergen oder gar gefährlich sind, dazu braucht es gründliche Analyse, die ihren Gegenstand , auch wenn sie ihn ablehnt, ernst nimmt. Echte „Aufklärung“ ist also gefragt, nicht naiver Fortschrittsglaube und schon gar nicht Besserwisserei, wie z.B. Hellers längst überholten Vorstellungen über die Entstehung des Schweinefleisch-Tabus und der Polygamie.
“Wer kommt, hat sich nicht an ein christlich/jüdisches Abendland anzupassen. Vielmehr darf er jede religiöse Vorschrift ignorieren, die ihm nicht gefällt.” Amen, Inschallah, Ugh (wie die alten Indianer sagten) oder wie auch immer. Genaus so ist es und so soll es bei uns bleiben.
Mir drängt sich der Eindruck auf, dass die Diskussionen und Argumentationen der letzten Jahre am Autor völlig vorbei gegangen sind.
Dürfen wir Eingeborene aber auch jede religiöse Vorschrift ignorieren, die uns nicht gefällt ? Sicher nicht, wie uns Charlie Hebdo zeigte ! Also, warum schon wieder zweierlei Maß, Herr Heller ?
Sehr geehrter Herr Heller. Sie haben in Ihrem Beitrag vieles wieder an den richtigen Platz gerückt. Was Ihre Erfahrungen mit Türken im Alltag angeht, so kann ich diese weitgehend bestätigen. Ich selbst kam vor 50 Jahren das erste Mal mit türkischen Gastarbeitern am Arbeitsplatz in Kontakt. In den folgenden Jahren auch vermehrt und zunehmend im privaten Umfeld. Ich wurde von meinen türkischen Nachbarn eingeladen, man trank ein Bier miteinander oder einen Raki und die Gesprächsthemen waren dieselben, wie mit meinen deutschen Kollegen und Nachbarn auch. Religion war dabei nie ein Thema. Wir hatten deckungsgleiche Vorstellungen von Anstand und respektvollen Umgang miteinander. Ich selbst wurde streng katholisch-orthodox erzogen und sozialisiert, habe mich aber von 1963 ab von jeder religiösen Vorstellung bzw. vom Glauben an einen Gott oder Jenseitsglauben allmählch gelöst. Heute bin ich nicht einmal Atheist, im Zweifelsfall würde ich mich als Agnostiker bezeichnen. Meine Schwiegertochter ist Deutsche türkischer Herkunft und Muslima insofern und so weit, wie ich heute Katholik bin - nur “auf dem Papier”. Sie trägt kein Kopftuch, man sieht ihr ihre Herkunft und ihre Religionszugehörigkeit nicht an. Es gibt keine Auseinandersetzungen über Glaubensfragen, das ist Sache eines jeden Einzelnen, woran er glauben will. Meine Enkelkinder sind in einem freien Geiste erzogen, sie haben dieselben Vorstellungen von einem angenehmen Leben wie die meisten Kinder hierzulande. Meine Kinder haben mit ihren Nachkommen auch dieselben Probleme in der Erziehung; da gibt es keinerlei Unterschiede. In der Türkei selbst hat die ältere Generation ebenfalls dieselben Ansichten über die Jugendlichen bzw. “die” junge Generation, wie viele genuin Deutsche meines Jahrgangs. Übrigens - ich selbst esse auch kein Schweinefleisch, es schmeckt mir nicht. Was die Sitte es Schwörens betrifft, so halte ich mich an das, was bei Matth 5, 33-37 geschrieben steht.
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