Zu der WDR-Produktion „Aufbruch ins Ungewisse“ ist hier und hier ja schon einiges geschrieben worden. Der plumpe volkserzieherische Ansatz des Films, den Zuschauern zu suggerieren, die reale unkontrollierte Massenzuwanderung aus Arabien und Afrika sei eigentlich nichts anderes als die Drehbuch-Massenflucht der von einer Rechtsdiktatur verfolgten Deutschen in Richtung Kapstadt.
Wenn sich die Gebührenzahler das von ihnen inszenierte Werk anschauen, dann sollen sie Mitgefühl für die Familie entwickeln, die über das Mittelmeer flüchten und den ganzen Kontinent mit Hilfe von Schleusern durchqueren muss, um endlich vielleicht Asyl in Südafrika zu bekommen. In allen anderen Ländern wäre es viel zu unsicher, und auch die südafrikanischen Behörden drohen mit Ablehnungsbescheiden und Abschiebungen.
Ob die unfreiwilligen Finanziers dieses Stückes, also die Zuschauer, trotz der beinahe propagandistisch-plakativ konstruierten Analogien zur umgekehrten realen Zuwanderung soviel Empathie mit den Protagonisten entwickeln, dass diese auch – wie offensichtlich gewünscht – ihre Sicht auf die reale Zuwanderung nach Deutschland beeinflusst oder ob sie sich mehr darüber ärgern, für welch simple Gemüter man sie hält, sei dahingestellt.
Den meisten Zuschauern wird ohnehin auffallen, was alles in der fiktiven Zuwanderung doch irgendwie anders ist, als in der realen. Da haben alle Flüchtlinge ihre Pässe, verlangen keine Einhaltung eigener Glaubens- und Speiseregeln, werden nicht von einem verlockenden Sozial- und Versorgungssystem angezogen. Deshalb gibt es natürlich in dieser fiktiven Welt auch fast nur wirkliche Flüchtlinge und keine Zuwanderer in die Sozialsysteme des Aufnahmelandes.
Es ging auch mal anders
Man mag es ja tatsächlich für die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrags halten, einen Film zur Stärkung der guten und richtigen Gesinnung zu produzieren. Doch als Zuschauer zweifelt man schon daran, dass die Drehbuchautoren von der zu vermittelnden Botschaft selbst überzeugt sind, wenn ein derart platter Plot herauskommt. Man mag ja mit dem deutschen Blick gern den Weg in eine hiesige Rechtsdiktatur annehmen. Das mag noch eine nachvollziehbare Dystopie sein. Unausgesprochen utopische Veränderungen wären allerdings in Afrika vonnöten, bevor sich eine solche Fluchtbewegung in Gang setzte, ganz unabhängig davon, welch desaströse Entwicklung Europa nimmt. Doch so viel Plausibilität der Fiktion scheint der öffentlich-rechtliche Zuschauer nicht zu verdienen.
Aber es soll hier gar nicht darum gehen, das Gebührenfernsehen anzugreifen. Es ist die Richtung, die es genommen hat. Denn entgegen einem landläufigen Gefühl war das nicht immer so. Man kann da interessante Blicke ins Archiv werfen. Dank vieler Menschen, die ihre YouTube-Kanäle mit ausgewählten TV-Aufzeichnungen bestücken, hat auch jeder normale Konsument dazu die eine oder andere Gelegenheit. Dabei kann man so manche Überraschung erleben.
Eine solche ist „Zivilcourage“, eine ARD-Produktion aus dem Jahr 2009 mit Götz George in der Hauptrolle. Dieser Film beschäftigt sich mit der Entwicklung von Parallelgesellschaften, denen viel zu lange zugesehen wurde. Ein Antiquar ist irgendwann in seiner Straße fast in einer fremden Welt. Das stört ihn nicht, bis er bei einer brutalen Körperverletzung nicht wegschaut, sondern einschreitet und den Täter bei der Polizei identifiziert. Es folgt eine dramatische Eskalation, weil er nicht bereit ist, dem vielfachen Druck nachzugeben, seine Aussage zurückzuziehen.
Abschied von zwanghaften Reflexen?
Das Bemerkenswerte – deshalb kann man diese beiden Filme, diese beiden ARD-Produktionen, zusammen in einem Artikel erwähnen – ist, dass einen als Zuschauer des Jahres 2018 das Gefühl beschleicht, der Film aus dem Jahr 2009 würde heute nicht mehr produziert werden. Nicht weil er sich inhaltlich überlebt hätte, im Gegenteil. Doch er spricht genau die Probleme an, die heute eher schöngeredet werden. Wer dies so tut, wie der Film „Zivicourage“, würde heute schnell unter den Verdacht gestellt, mindestens ein Rechtspopulist zu sein. Man würde ihm die Nähe zu AfD-Positionen vorwerfen. Die Maßstäbe haben sich verschoben und der gesunde Menschenverstand geht unter.
Ich erinnere mich in solchen Momenten immer gern an eine Szene in einer Tagesthemen-Sendung im April 2016. Interviewpartner Hamed Abdel-Samad wurde von der Moderatorin vorgehalten, er würde mit seiner Islamkritik doch das gleiche sagen wie die AfD. Seine Antwort darauf war, dass er der AfD auch nicht widersprechen würde, wenn sie bei Sonnenschein sagt, dass die Sonne scheint. Es sei eben das Problem, wenn man meint, jemandem reflexartig widersprechen zu müssen. Unvoreingenommenen Erkenntnissen und einer Diskursfähigkeit stehen solche Reflexe jedenfalls arg im Wege. Wie schön wäre es, wenn auch gebührenfinanzierte Filme wieder mehr ohne solch zwanghaften Reflexe auskämen.