Bernhard Lassahn / 24.08.2011 / 11:53 / 0 / Seite ausdrucken

Zensur in der Literatur (3)

Teil 3: das Loch

Wir sind entsetzt, wenn in anderen Ländern Kunst und Meinungsfreiheit einer ungerechtfertigten Zensur unterliegen. Es ist noch nicht lange her, dass die helle Empörung über die Knechtung der Kunst, wie man sie in der DDR beobachten konnte, einen großen Teil des moralischen Überlegenheitsgefühls eines selbstbewussten Westlers ausmachte. Wir im Westen waren besser. Bei uns gab es Freiheit. Bei denen nicht.

Wie weit die Kunst eingeschränkt wird, gilt als Gradmesser dafür, wieweit eine Gesellschaft sich zu einem totalitären System entwickelt hat. Da wo der Würgegriff der Zensur besonders groß ist, finden wir nicht nur langweile Bücher vor - das wäre noch nicht so schlimm -, sondern auch geduckte Menschen, anspruchslose Leser, die sich nichts mehr zutrauen und nichts mehr erwarten vom Leben, weil sie in ihren Hoffnungen und Träumen beschnitten wurden und ihre Gedanken nicht mehr spazieren führen dürfen.

Und? Wie sieht es heute mit der Freiheit der Kunst aus? Sie kränkelt, um es vorsichtig zu sagen. Welche Rolle dabei das Persönlichkeitsrecht spielt, habe ich schon von zwei Seiten betrachtet: von der Seite der Leser – Teil 1: die Keule – und von der Seite der Autoren – Teil 2: das Porträt. In beiden Fällen liegen den Verboten unbrauchbar primitive Vorstellung zugrunde darüber, wie Leser lesen und wie Schriftsteller schreiben.

Wie sieht es nun auf der Seite der Betroffenen aus?

„Ich ging durch die Hölle“, berichtet Lisa Loch, die vor ca. 8 Jahren von Stefan Raab verhöhnt wurde und für die Verletzung ihrer Persönlichkeit mit 60.000 Euro entschädigt wurde – sie wollte ursprünglich 300.000. Eine Therapie hat ihr geholfen. Und das Schreiben: Sie arbeitet gerade an einem Buch über ihre Erlebnisse in der Hölle, das noch in diesem Sommer fertig werden soll.

Nun weiß ich nicht, wie ich den Eindruck vermeiden kann, ich wollte Stefan Raab in Schutz nehmen oder irgendetwas Gutes an seinem Spott finden. Das will ich nicht. Was soll gut daran sein, dass er die Nebengeräusche, die der Name Lisa Loch verursacht, so laut aufdreht, dass alles andere übertönt wird? Gut waren seine Scherze wirklich nicht.

Ein Minimum an Wortwitz bietet dagegen die viel gelobte Caroline Kebekus, auch wenn jeder Ansatz von Witz in ihrem Schnattern untergeht und ich mich dem Lob ausdrücklich nicht anschließen möchte. Wenn ich live dabei gewesen wäre, hätte ich die Hände in die Hosentaschen gesteckt und nicht applaudiert. Sie nennt das Starmodel Sandy Meyer-Wölden - inzwischen als Sandy Pocher bekannt -, respektlos Sandy Meyer-Kotz. Aber sie will andererseits auch nichts Schlechtes über die Schöne sagen, da die gerade schwanger ist, was sie gut findet und so kommentiert: „Pocher stopft das Sommerloch“.

Wird das auch eine Klage geben? Um - sagen wir - 500.000 Euro? Ich glaube nicht. Scherzfrage – was ist das: Loch an Loch und hält doch? Aber im Ernst. Warum gilt die Erwähnung einen Loches einmal als Beleidigung, ein andermal nicht? Weil es nicht darum geht, WAS gesagt wird, sondern WER es tut. Das macht auch Charlotte Roche mit ihrem neuen Werbefeldzug deutlich. Dass schon mal über ein Unglück in ihrer Familie (ein Verkehrsunfall) berichtet wurde, nimmt sie der Springer-Presse immer noch übel – genauer gesagt: nicht DASS, sondern WIE. Sie berichtet nun selber darüber. Es kommt also darauf an, wer es sagt. Sie sagt es. Dann ist gut.

Sie könnte eigentlich gegen sich selbst klagen. Sie betreibt auch mit ihrem neuen Buch ein persönlichkeitsrechtliches Harakiri. Für die Schamlosigkeiten, mit denen sie auftrumpft, stellt sie sich obendrein - gegen den Rat ihrer Therapeutin - als Anschauungsmaterial zur Verfügung und tut das mit einem Vergnügen, das masochistische und exhibitionistische Züge verrät. Sie schreckt ganz offensichtlich nicht zurück vor der peinlichen Frage, die im Fall von Biller und von Brüggemeyer die Klägerinnen so quälte, der Frage nämlich, ob man sie - zumindest teilweise - in einer Figur des Romans wiedererkennen kann. Bei Charlotte Roche kein Problem. Können wir. Ihre Familie auch. Sie präsentiert uns die Antwort feiwillig auf einem bekleckerten Silbertablett.

Rein theoretisch hätte sie auch anonymisiert schreiben können – wie etwa ‚Anonyma. Eine Frau in Berlin’ – ein gut geschriebenes Buch mit überraschenden Einblicken über Vergewaltigungen nach Kriegsende. Auch Lisa Loch hätte sich, als sie am Anfang ihrer Karriere als Schönheitskönigin stand, überlegen können, ob sie sich nicht lieber einen Künstlernamen zulegen sollte. Aber die Frauen wollten es so.

Als ich im ersten Teil einen unbekannten Beobachter zitierte, der meinte, dass wir heute in einer Zeit leben, in der „nichts Gutes über Männer und nichts Schlechtes über Frauen“ gesagt werden darf, hatte ich nicht daran gedacht, dass es nur teilweise richtig ist. Man muss es so sagen: Männer dürfen nichts Schlechtes über Frauen sagen, Frauen können über ihr Geschlecht sagen, was sie wollen. Es bietet sich heute ein schrilles Bild: Männer kuschen und Frauen spreizen sich.

Im vierten – und letzten – Teil soll der letzte Schleier fallen. Dann werden wir endlich genau wissen, wovon wir reden, wenn es um Zensur in der Literatur geht. Ich werde alles zeigen. Allerdings werde ich dazu etwas Verbotenes tun müssen. Okay. Ich werde es tun.

Fortsetzung folgt

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