„Wir brauchen mehr Männer und Frauen mit Eiern.“

Eine Premiere der besonderen Art gab es am 6. Oktober 2017 im ehrwürdigen Frankfurter Kabarett-Theater „Die Schmiere“ zu erleben: Mit dem Arbeitsauftrag „Kein Kabarett, keine Lesung, keine Langeweile“ schickten sich der Buchautor Matthias Heitmann sowie der Radio- und Fernsehmoderator Tim Lauth an, in ihrem ersten Bühnenprogramm „Die Zeitgeisterstunde“ nicht nur dem Mainstream-Denken das Fürchten zu lehren, sondern auch gegen die oft zynischen und misanthropischen Rituale deutscher Comedy- und Kabarett-Traditionen zu verstoßen.

Im Rahmen der ausverkauften Veranstaltung beschäftigte sich „Zeitgeisterjäger“ Heitmann in facettenreichen Schlagabtauschen mit dem bis eben noch oberflächlichen glatten „Lauth-Sprecher“ mit der Frage, wie man die oftmals heimtückischen und trügerischen Erscheinungsformen des so genannten Zeitgeistes entlarven und verjagen kann. Matthias Heitmann, seit mehr als 20 Jahren als Journalist und Autor tätig und nach eigenen Worten ein „querulantisch-humanistischer Geradeausdenker“, moniert, dass sich der Zeitgeist „in das Denken der Menschen einschleicht und es trübt und lähmt“.

Gegen diese lähmende Weltdeutung argumentieren, streiten, scherzen und singen Heitmann und Lauth in der „Zeitgeisterstunde“ an und bringen das Publikum immer wieder zum Staunen und Augenrollen. Statt in einer bisweilen deprimierenden Perspektive des lärmenden Stillstandes zu verharren, loten die beiden, wie auch in ihrer auf dem Regionalsender Antenne Frankfurt laufenden Kolumne „Der WochenWahnsinn“, zahlreiche Gründe für Optimismus aus.

Zu solchen Sätzen muss man sich trauen

So outet sich Heitmann beispielsweise als vehementer Befürworter des „Brexit“, den er als eine befreiende Zäsur und als Ende des politischen Winters in Europa deutet. Der EU brauche man, sollte sie zerfallen, nicht nachzutrauern. „Wenn die Idee von Europa irgendetwas mit Freiheit und Demokratie zu tun hat, dann ist die EU europafeindlicher als die meisten ihrer Kritiker“, so ist es an diesem Abend in der „Schmiere“ zu hören. Zu solchen Sätzen muss man sich trauen.

Wer den Mut aufbringt, den Zeitgeist zu entlarven, sieht die düsteren Aussichten, die uns ständig präsentiert werden, eingerahmt von Zuversicht. Man muss sich nur von den allzu einfachen Deutungsmustern unserer Tage lösen. Heitmann rebelliert gegen das Schwarz-Weiß-Denken und motiviert Lauth, dem man förmlich ansieht, wie das Denken einsetzt und Flügel verleiht, zur allmählichen Befreiung von den Fesseln seines bisherigen Denkens. Dem Zeitgeist wird auf der Bühne das wohlfeile Gewand vom Leibe gerissen, und dies auf überaus unterhaltsame, optimistische und doch auch zum Nachdenken anregende Art und Weise.

Auch den Verfechtern des angeblich „guten Lebens“ geht es in der „Zeitgeisterstunde“ an den Kragen. Dass sich gerade die selbsternannten „guten Menschen“ in Wirklichkeit in eine allzu einfache Welt selbstgezimmerter Übersichtlichkeiten flüchten, zeigen Heitmann und Lauth in einer lehrreichen wie humorvollen Abfolge von teils slapstickartigen Wortwechseln, gefilmten Interviews, Lesungen, Gesangseinlagen und Poetry-Slams.

Am Ende des rund zweistündigen Programms steht die Aufforderung im Raum, sich weder mit der Opferkultur noch mit der zur Kastration ausgeweiteten Feminisierung der Gesellschaft abzufinden. Heitmanns Schlusssatz „Wir brauchen mehr Männer und Frauen mit Eiern.“ hallt nach – gerade auch nach dem Ergebnis der Bundestagswahl, das in der „Zeitgeisterstunde“ als Anfang eines politischen Erdrutsches gedeutet wird. Und darin liegt laut Heitmann eine große Chance: Immer mehr Menschen spüren, dass ein „Weiter so“ nicht möglich ist. Der politische Frühling steht vor der Tür, auch wenn er zunächst ziemlich modrig riecht. Heitmann und Lauth präsentieren in der „Zeitgeisterstunde“ einen Ausblick darauf, wie und zu welchen Themen wir uns in Zukunft vielleicht ein wenig intensiver, aber auch kontroverser auseinander- und anschließend wieder zusammensetzen sollten.

Die nächste „Zeitgeisterstunde“ mit Matthias Heitmann und Tim Lauth findet am Freitag, den 3. November 2017 im Frankfurter Kabarett-Theater „Die Schmiere“ statt. Weitere Infos und Kartenbestellungen unter www.zeitgeisterstunde.de  

Kai Rogusch ist Jurist und Redakteur beiNovo“.

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uwe peters / 15.10.2017

Soll man ja nicht machen. Hier eine Buchbesprechung zum Thema von Martin van Creveld: Der Terror ist in Europa angekommen und unsere Regierungen scheinen hilflos dagegen. Nicht einmal die primäre staatliche Aufgabe der Grenzsicherung gelingt der EU. Könnte sich Europa heute überhaupt noch militärisch verteidigen? Der Autor ist skeptisch und bezieht die ganze westliche Welt in seine Analyse ein. Das Problem beginnt schon bei der Erziehung von Kindern und Jugendlichen, die viel stärker kontrolliert und überwacht, zugleich aber weniger gefordert werden als dies in früheren Zeiten der Fall war. Auch Politik und Medien tun, was sie können, um die Verteidigungsbereitschaft zu schwächen. Detailliert beleuchtet der Militärexperte, wie den Streitmächten Schritt für Schritt die Zähne gezogen wurden, sodass sie heute kaum noch funktionsfähig sind. Auch dem Thema Frauen in Kampfeinheiten widmet er sich kritisch auf der Basis umfangreichen Dokumentationsmaterials. Bezeichnend ist, dass immer mehr westliche Soldaten – etwa in den USA – nach Einsätzen unter „posttraumatischen Belastungsstörungen“ (PTBS) leiden, eine Erkrankung, die im Ersten und Zweiten Weltkrieg fast keine Rolle gespielt hat, obwohl die Kämpfe und damit auch die psychische Belastungen damals viel höher waren. Das Fazit des weltbekannten israelischen Militärhistorikers: Europa ist mittlerweile unfähig zur Selbstverteidigung geworden. Das wird unvermeidliche Rückwirkungen auf seine Stellung in der Welt haben. Kann die westliche Welt, kann das Abendland noch gerettet werden? Nach Ansicht Martin van Crevelds nur, wenn eine Reihe von dringend nötigen Maßnahmen ergriffen und entsprechende Schritte eingeleitet werden. Solange bei uns jedoch die Rechte über die Pflichten der Staatsbürger dominieren, werden diese nicht möglich sein.

Andreas Rochow / 15.10.2017

Mit Lernen und Lehren ist das so eine Sache. Im Monstersatz nach dem Doppelpunkt, wenn man ihn denn so will, muss es richtig heißen „... das Mainstream-Denken das Fürchten zu lehren…“. Das Verb lehren verlangt nämlich richtig den Akkusativ und nicht den beliebten Dativ. Und wenn man aus stilistischen Gründen das Mainstream-Denken durch den Mainstream-Denker ersetzen würde, was schwer fällt, weil dann ja auch die Mainstream-Denkerin zu würdigen wäre, hieße es richtig „den Mainstream-Denker das Fürchten zu lehren“. Im übrigen ein schöner Teaser, der neugierig macht auf das Programm.

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