Justitia hält bekanntlich eine Waage in der Hand. Doch sie bräuchte auch einen Kalender und eine Armbanduhr. Denn die Zeit ist ein ganz wesentlicher Aspekt des Rechts. Recht soll schließlich nützen, aber zur Unzeit tut es das nicht mehr. Aus diesem Grund haben sich unsere obersten Gerichte immer wieder mit hanebüchenen Fällen von behördlicher Langsamkeit zu befassen, und immer wieder wird festgestellt, daß es so nicht geht.
Gerade hat der Bundesgerichtshof einem Bauherrn, der zwanzig Monate auf seine Eintragung im Grundbuch warten mußte, dafür Schadenersatz zugesprochen. Der Bauherr ging darüber pleite, weil ihm die Wohnungskäufer ohne Grundbucheintragung natürlich kein Geld überwiesen. Zwanzig Monate lang fand beim zuständigen Amtsgericht niemand die Zeit, einen simplen Auflassungsvermerk ins Grundbuch zu schreiben. Das ist noch gar nichts gegen die Geschichte jenes Bauunternehmers, dessen Schadenersatzprozeß von den Justizbehörden über 26 Jahre hin geschleppt wurde und der schließlich vom Bundesverfassungsgericht bestätigt bekam, daß es sich nicht mit unserem Rechtsstaatsprinzip vereinbaren läßt, wenn jemand 26 Jahre lang in Unsicherheit über seine eigene Rechtslage leben muß.
Zeit und Recht stehen in einem widersprüchlichen Verhältnis zueinander. Einerseits kann Eile dem Recht durchaus schaden; der Ausdruck „kurzen Prozeß machen“ bedeutet ja nichts anderes. Schnelligkeit ist immer eine Feindin der Gründlichkeit, im Journalismus wie in der Juristerei. Andererseits kann auch Langsamkeit großes Unrecht schaffen: hinter dem forcierten Temporisieren der Staatsorgane erscheint die Fratze des Totalitarismus, der jedes Recht beugt, indem er über die Zeit herrscht.
Auf diesem schmalen Grat ist es selbst für unsere höchsten Richter schwer, Orientierung zu geben. Ab wann dauert ein Verfahren „unverhältnismäßig lange“? In dieser Not empfiehlt sich eine von den Denkern der Renaissance entwickelte praktische Überlegung, nämlich die, daß man den absoluten Dingen wenn schon nicht direkt, so doch durch Relativierung nahekommen kann. Im Klartext: wenn schneller möglich ist, dann ist schneller richtig. Die angemessende Geschwindigkeit eines Prozesses ergibt sich aus der Möglichkeit, ihn beschleunigen. Und da blickt man auf einmal tief und schaudernd ins Räderwerk der Staatsmaschinerie. Die Rechtspflege ist überlastet. Wenn es an schlechter Organisation liegt, ist der Staat haftbar. Aber wenn es an zu wenigen vom Gesetzgeber bereitgestellten Stellen und Mitteln liegt, dann hat der Bürger keinerlei Anspruch auf Schadenersatz. Denn der Bürger ist ja selber der Gesetzgeber. Angeblich.