Malte Fischer, Gastautor / 11.08.2015 / 06:30 / 3 / Seite ausdrucken

Zeigen Sie jetzt bitte Haltung

Von Malte Fischer

Eigentlich läuft es ja in der bunten Republik. Flüchtlinge finden im Wochentakt vierstellige Geldsummen und melden sich sofort auf der nächsten Polizeidienststelle. Dort erklären sie den gerührten Beamten mit Händen und Füßen, dass sie wüssten, wie schlimm es ist, etwas Wertvolles zu verlieren. Von vier verschiedenen aber doch ähnlichen Fällen berichteten Stern, Focus und deutsche Tageszeitungen allein im Juli. Das törichte Geschwätz von der Lügenpresse dürfte dank dieser Meldungen endgültig vom Tisch sein.

Zeit und Spiegel Online rechnen unbestechlich vor, wie Migration unsere demographischen Probleme löst und die von Pleite-Ossis strapazierten Sozialsysteme saniert. Okay, es wäre vielleicht hilfreich wenn die Studenten aus Asien, Russland oder Polen, die noch etwas aus ihrem Leben machen wollen, nach dem Master nicht gleich wieder abhauen würden. Aber dank Mindestlohn und deutschem Arbeitsrecht haben bei uns zum Glück alle einen garantierten theoretischen Anspruch auf gute Arbeit zu fairen Löhnen. Wird das Geld doch mal knapp, enteignen wir eben die Superreichen und überwinden das neoliberale Scheißsystem, auf das eh keiner mehr Bock hat.

Die politisch progressiven Kräfte der Republik gehen im Zukunftslabor Berlin-Kreuzberg schon seit Jahren neue Wege in der Flüchtlingspolitik. Ein Leuchtturm-Projekt ist die so kosten- wie sozialverträgliche Selbstverwaltung der Flüchtlinge und ihrer Unterstützer in der Gerhart-Hauptmann-Schule. Dank des Einsatzes engagierter Antifaschisten werden Schutzsuchende hier exklusiv von anderen Schutzsuchenden verprügelt oder abgestochen. Keine Handbreit dem Rassismus. Eine muntere Zivilgesellschaft verhindert kreativ, dass so genannte besorgte Bürger auf Versammlungen hetzen können. Junge Männer bekommen in öffentlichen Grünanlagen Raum für unternehmerische Eigeninitiative und begegnen so dem Klischee des faulen Asylanten, der uns nur auf der Tasche liegt.

Um das friedliche Miteinander aller Menschen in Deutschland zukunftsfest zu machen, fehlt eigentlich nur noch ein Blatt Papier mit Gaucks Unterschrift und dem Wort Zuwanderungsgesetz oben drauf. Wären da nur nicht die Nazis. Und die Deutschen, die nicht einsehen wollen, dass die Nazis das drängendste Problem unserer Zeit sind. Diese „Aber-Nazis“ sind eigentlich noch schlimmer als die immerhin ehrlichen NPD-Nazis. Sie tarnen sich als ganz normale Menschen aber man erkennt sie trotzdem ganz leicht. Sie benutzen das Wort „Aber“ in Zusammenhang mit Schutzsuchenden. Ich habe nichts gegen Flüchtlinge aber… Reicht. Klarer Fall. Ich habe nichts gegen Meinungsfreiheit aber zweifelsfrei nachgewiesener Rassismus ist eben keine Meinung, sondern zweifelsfrei nachgewiesener Rassismus. Diese Schande muss im Namen von Demokratie und Freiheit verboten werden. Es gibt Hoffnung, dass Herr Maas bereits an Paragraphen gegen Hate Speech feilt. 

Menschenverachtung in sozialen Netzwerken ist ja sowieso eine exklusive Domäne deutscher Rechter. Linke hetzen nicht. Sie üben konstruktive Kritik und vertrauen auf die Kraft ihrer Argumente. So kommentieren zum Beispiel Taz-Leser das Ende der politischen Laufbahn von Erika Steinbach: „Eigentlich kann die sterben gehen.“ „Wenn jetzt noch Kohl, Koch und De Maiziere tot umfallen, war der Tag trotz des Scheißwetters ok.“ „Weg mit der alten Schlampe.“ „Guten Rutsch (in die Urne)“. Dem Humanismus verpflichtet. Aber mit Haltung.  Ähnliches Fingerspitzengefühl beweisen deutsche Linke regelmäßig im Umgang mit unseren jüdischen und amerikanischen Freunden. Auch werfen sie ihre Molotov-Cocktails und Pflastersteine nicht aus blindem Hass auf Gebäude und Menschen, wie es bei den Rechten der Fall ist, sondern weil sie für eine bessere Welt ohne Nazis und Bullen kämpfen.

Deshalb wäre es grob fahrlässig, einfach pauschal alle Personen zu ächten, die zu Gewalt aufrufen oder Menschen einschüchtern und attackieren, unabhängig von Absender und Adressat. Die Folge wäre eine fragwürdige Vermischung der Täterprofile von deutschen Nazis mit weltbürgerlichen Antifaschisten oder gar Jugendlichen mit Diskriminierungshintergrund. Das kann keiner wollen weil es ja wieder nur den Aber-Nazis in die Hände spielen würde.

Zum Glück gibt es die Qualitätsmedien. Sie erhellen in diesen düsteren Zeiten die Zusammenhänge und erklären dem Volk, was Menschlichkeit 2015 bedeutet. Selbst dann wenn sie wie Sibylle Berg gelegentlich daran verzweifeln, den Deppen immer wieder neu erläutern zu müssen, dass der Kapitalismus an ihrem Frust Schuld ist. Mit Engelsgeduld klären sie die Sachsen darüber auf, dass sie auch nur Deutsche dank historischer Gnade und westlichem Großmut sind. Sie ziehen die großen historischen Linien von Auschwitz bis Tröglitz, den Orten der Schande von gestern und heute.

Deutsche Dichter und Denker pfeifen regelmäßig Bluthunde wie Seehofer zurück. Sonst gebe es bei uns schon längst wieder Konzentrationslager. Ohne sich von der Hilfs- und Spendenbereitschaft einer Minderheit blenden zu lassen, schlagen kritische Journalisten Alarm. Nur ein Aufstand seiner Anständigsten kann einen Rückfall der Deutschen in die Barbarei verhindern. Dafür sprechen über 200 Anschläge auf Schutzsuchende in diesem Jahr. Nur Demagogen unterscheiden spitzfindig zwischen Gewaltdelikten (10 %) einerseits und Sachbeschädigungen und Propagandadelikten andererseits (90 %). Nur Rassisten, für die schwarze Leben nicht zählen, setzen die Zahlen in Relation zu den steigenden Flüchtlingszahlen oder stellen ihnen gar Gewaltopfer bio- und neudeutscher Herkunft gegenüber, die das Glück hatten, nicht von Nazis erwischt zu werden. Was Ausländer unter sich machen, geht uns nichts an. Was sie Deutschen antun, ist bedauerlich, sollte aber wegen der vielen Nazis nicht an die große Glocke gehängt werden. Sorry.

Höchstens ein paar moralbefreite Springerschweine bringen noch Aufmacher von Totschlägern und Terroristen, die nicht eindeutig der rechten Szene zuzuordnen sind. Insgesamt bestechen die deutschen Medien durch eine beeindruckende moralische Klarheit. Und weil heute fast alle wissen, dass es Flüchtlinge gibt weil wir Waffen exportieren und rechts von der CDU Nazischland beginnt, werden sich hoffentlich noch viele Menschen dem Aufstand der Anständigen anschließen und mutig bekennen, dass sie lieber eine Flüchtlingsfamilie als einen Nazi zum Nachbarn hätten, sollte der nette Zahnarzt und seine Pianistin-Gattin irgendwann ausziehen. Nur können all die schönen Worte das Schweigen von Mutti nicht übertönen. Frau Merkel, zeigen Sie jetzt bitte Haltung.

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Lieber Jan Böhmermann, lieber Klaas Heufer-Umlauf…

 

 

 

 

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Thomas Schlosser / 11.08.2015

Wenn ich ein Hut tragender Aber-Mensch wäre, würde ich vor diesem Text meinen Hut ziehen…. So aber bin ich nur ein geduckt laufender und verklemmt guckender Bio-Deutscher, der hinter vorgehaltener Hand flüstert: “Klasse geschrieben, Herr Fischer….!” Und pssst: “Bitte noch mehr davon…..”.

Dieter Hahnel / 11.08.2015

Besser kann man es gar nicht bringen - und genau so ist es!

Jörg Danzer / 11.08.2015

Wunderbar zynischer Abgesang auf unsere politisch-mediale “Klasse”! Es ist diese Art der politischen Satire, an der man ablesen kann, dass ein Establishment abgewirtschaftet hat.

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