Vera Lengsfeld / 31.10.2007 / 14:45 / 0 / Seite ausdrucken

Wunderbares Israel

Reisen nach Israel sind etwas Besonderes, das wird spätestens am Frankfurter Flughafen klar. Vor dem Schalter von El- Al staut sich eine lange Menschenschlange. Alle Passagiere müssen durch eine spezielle Sicherheitskontrolle. Bei mir ist sie allerdings ziemlich kurz. Die blutjunge Kontrolleurin findet beim Blättern in meinem Pass einen ungewöhnlichen Stempel. Sie bekommt sofort glänzende Augen: „Oh, sie waren in der Antarktis!“ Das macht mich unverdächtig. Sie hat keine Fragen mehr an mich. Ich muss nicht mal meinen Koffer öffnen.
Die Maschine steht auf äußerster Außenposition, bewacht von einem Panzerwagen. Als wir zur Startbahn rollen, fährt der Panzerwagen mit. Später sehe ich auf der anderen Seite noch einen Zweiten. Erst als das Flugzeug abhebt, fahren sie zurück. Ein bisschen Krieg, mitten im Frieden.
Als wir in Tel Aviv landen, ist es schon dunkel. Wir fahren gleich weiter zum See Genezareth, durch die geschichtsträchtige Sharon- Ebene, vorbei an Nazareth, dem Berg Tabor, Yardenit, der Taufstelle Johannes des Täufers. Unser Ziel ist der Kibbutz Deganya Bet, unsere Heimstatt für die nächsten drei Tage. Der Kibbutz wurde bereits 1920 als einer der ersten im Jordantal gegründet. Sein Name ist abgeleitet von einer der sieben biblischen Pflanzen, mit denen das Land Israel gesegnet ist, dem Korn. Auch heute spielt Landwirtschaft noch eine wichtige Rolle, auch wenn es längst nicht mehr die alleinige Lebensgrundlage der Gemeinschaft ist.  Die Sicherheitsanlagen, hinter denen sich der Kibbutz bis vor wenigen Jahrzehnten verschanzen musste, sind noch zu sehen, weisen aber sichtbare Verfallsspuren auf. Auf der Zufahrtsstraße steht rechts ein ausgebrannter syrischer Panzer. Bis hierher hatten es die Syrer im Krieg 1948 geschafft. Heute ist das einstmals so tödliche Fahrzeug mit den Ketten tief im Sand versunken und hat alles Bedrohliche verloren.
Der Kibbutz sieht ziemlich verschlissen aus, als hätte er seine besten Tage längst hinter sich .So ist es auch . Die Geschichte der Kibbutzim beweist, dass die sozialistische Idee nicht dauerhaft verwirklicht werden kann, selbst wenn sie auf Freiwilligkeit beruht. Das Beste an diesem Sozialismus ist, das man ihm jederzeit den Rücken kehren kann. Wer geblieben ist, hat sich offenbar auf ein beschauliches Leben in eher bescheidenen Verhältnissen eingerichtet. Man bekommt schmackhaftes Essen im nüchternen Speisesaal, für die Kinder gibt es Krippe und Kindergarten, die mit allem möbliert sind, was anderswo nicht mehr gebraucht wird. Die Wäsche wird morgens in der Wäscherei abgegeben, abends bekommt man sie gebügelt und gefaltet zurück. Wer das nicht will, hat eine Waschmaschine vor der Haustür stehen. In die kleinen Räume im Haus passt das Gerät nicht hinein. Die Touristen leben mitten unter den Kibbutzniks, denn die Gästezimmer liegen direkt im Wohnviertel. Wer hierher kommt, läßt sich vom einfachen Ambiente nicht schrecken, sondern schätzt die preiswerte Nähe des Sees Genezareth.
Hier ist biblisches Land. Am Morgen fahren wir als erstes zum Ort der Bergpredigt. Davon gibt es mehrere. Unser Guide Chajim führt uns vor, warum er fest daran glaubt, dass wir am Richtigen sind. Unterhalb des Plateaus, auf dem Jesus gestanden haben soll, liegt ein Feld, das gut tausenden Menschen Platz bietet . Von hier aus wirkt die Anhöhe wie eine natürliche Bühne. Chajim hat einmal die Probe aufs Exempel gemacht und von oben zu einer unten stehenden Gruppe von hundert Personen gesprochen. Jedes seiner Worte war gut zu hören. Ich darf meinen Reisegefährten am historischen Ort die Bergpredigt vortragen. Es ist der Bibeltext, den ich am häufigsten gelesen habe, vor allem in den achtziger Jahren, als wir die Worte der Staaatsmacht der DDR entgegenhielten. In dieser Umgebung wirkt der Text, als läse ich ihn zum ersten Mal. 
Wir wandern eine kleine Weile durch die Gluthitze Galiläas. Das Land und der See zu unseren Füßen sehen, von ein paar modernen Eiterpickeln abgesehen aus, wie zu Jesus Zeiten. Wir erreichen einen Ort, der einen atemberaubenden Ausblick bietet. Hier ist allmählich eine Art Volkskirche entstanden. Erst hat der Mann, der dies zu seinem Lieblingsmeditationsort
erkoren hatte, Schatten spendende Bäume gepflanzt, die heute ein großes Laubdach bilden. Andere haben Steine zum Sitzen im Kreis angeordnet. Schließlich kam ein Altar dazu und neuestens ein in Stein gehauenes Heiligenbildnis. Nicht weit von dieser Stelle wurde von einem Benediktinermönch eine Höhle aus biblischen Zeiten wiederentdeckt. Inzwischen ist sie frei gelegt und passender Weise mit einem Christusdorn bewachsen. Sobald man darin sitzt, weiß man, warum im sonnendurchglühten Galiläa solche kühlen Zufluchtsstätten lebensnotwendig waren. 
An unseren nächsten Stationen, Kapernaum, wo Jesus zeitweilig lebte, und Tabgha, dem Ort der wunderbaren Brotvermehrung, treffen wir erstmals auf die zahlreichen Ausgrabungen, um die sich Israel so verdient gemacht hat. In Kapernaum wurde nicht nur das Haus des Petrus freigelegt, sondern ganze Wohnviertel, die Kirche und die prächtige Synagoge. Für die Wohlhabenheit seiner ehemaligen Bewohner spricht, dass diese Synagoge nicht aus preiswertem örtlichen, dunklen Basalt, sondern aus hellem Sandstein, der herantransportiert werden musste, errichtet wurde. Als Galiläa später muslimisch wurde, benutzten die Muslime den Vorraum der Kirche als Spielsaal. Auf den Boden eingeritzt finden sich ein Mühle-Spiel und zwei Brett-Spiele, die auch heute noch von den Nomaden gespielt werden.
In Tabgha werden wir vor ein wiederentdecktes Mosaik aus Jesus Zeiten geführt. Eigentlich war es schon Ende des 19.Jahrhundrts von Benediktinermönchen gefunden worden. Solange das Land muslimisch beherrscht wurde, bedeutete solch ein Fund, der vom vormuslimischen Leben in der Region zeugte, die Todesstrafe, also verbargen die Mönche ihre Entdeckung wieder, nachdem sie eine geheime Aufzeichnung darüber angefertigt hatten. Erst 1932 wurde das Mosaik freigelegt und später mit einer hübschen Basilika überbaut. Die Mosaiken bilden die Fauna und Flora der Region und des Nildeltas ab. Der bekannteste Teil zeigt die Symbole der wunderbaren Brotvermehrung: zwei Fische und einen Brotkorb Man schaut mit Rührung und Faszination auf diese naiven Arbeiten längst zu Staub zerfallener Künstler, die 1900 Jahre vergessen waren. Etwas von dem Leben, das diese unbekannten Vorfahren geführt haben, teilt sich uns mit, als würde ein längst zerrissenes Band wieder geknüpft.
Als Abschluss dieses Tages fahren wir mit dem so genannten Jesus-Boot auf dem See. Der Kibbutz Ginosar, von dessen Anlegestelle wir ablegten, besitzt zwei Nachbauten von Booten aus Jesus Zeiten. Wir sehen alle Orte, die wir tagsüber besucht haben, vom Wasser aus. Sogar die Höhle mit dem Christusdorn ist gut sichtbar, als wäre sie nicht fast zweitausend Jahre verborgen gewesen. Langsam weicht die gleißende Helle der Sonne einer sanfteren Tönung.
Über die Golan-Höhen legt sich ein leuchtender, altrosafarbener Schleier. Die Berge sehen aus, als wäre noch nie etwas Böses von ihnen ausgegangen. Die Zeiten, in denen die Syrer von oben in das Land und auf den See geschossen haben, scheinen weiter zurück zu liegen als jene, in denen Jesus und seine Jünger hier umherwanderten.
Am nächsten Tag sollten wir erfahren, welche blutigen Kämpfe bis in die jüngste Zeit in dieser idyllischen Landschaft getobt haben.

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