Moritz von Uslar befragte kürzlich für das Zeit-Magazin den Chef der grünen Bundestagsfraktion Anton Hofreiter. Frage Nummer 43 lautete: „Warum steigt der Preis für den Energie-Endverbraucher, wenn er an der Leipziger Energiebörse fällt?“ Es handelte sich, im Gegensatz zu anderen Vorstößen von Uslars („Geht Ihnen die Christlichkeit von Katrin Göring-Eckardt manchmal auf die Nerven?“) um eine schnörkellose Frage, geprägt von einem echten Erkenntnisinteresse. Und es gäbe auch eine klare Antwort. Die Erneuerbare-Energien-Umlage, die alle Verbraucher pro Kilowattstunde zahlen, bemisst sich nach der Differenz zwischen Börsenstrompreis und den festen Vergütungen, die Produzenten von Grünstrom kassieren. Fällt also der Strompreis an der Leipziger Börse, dann erhöht sich diese Differenz automatisch – und die Verbraucher müssen mehr überweisen. Denn an den gesetzlich auf 20 Jahre garantierten Ansprüchen der Ökostromproduzenten auf Preise weit über Marktniveau ändert sich nichts, egal, wie viel der Strom dann an der Börse kostet, egal, ob er überhaupt gebraucht wird (und oft braucht ihn niemand, dann müssen ihn die Netzbetreiber auf Kosten der Verbraucher teuer nach Frankreich entsorgen).
Niedrige Börsenstrompreise bedeuten also für die Normalbürger keine gute, sondern eine schlechte Nachricht. Im vergangenen Jahr zahlten sie rund 13 Milliarden Euro für Ökostrom, der an der Börse gerade drei Milliarden Euro wert war. Zusammen mit Zinsen und einem Betrag, der aus dem Vorjahr offen geblieben, brachten die Verbraucher im vergangenen Jahr 20,6 Milliarden Euro für Grünstrom auf. Am konkreten Beispiel lässt sich das anschaulich zeigen: Betreiber von Offshore-Plattformen erhalten per Gesetz garantierte 19 Cent pro Kilowattstunde Strom, Besitzer von Biogasanlagen 13,6 und Solarkraftwerkseigner 10 bis 11 Cent. Der Börsenstrompreis liegt zurzeit bei knapp vier Cent. Sinkt er wegen großen Mengen an grünem Zufallsstrom, die ins Netz fluten, noch weiter – und damit rechnen alle Marktbeobachter – dann steigt also schon dadurch die Ökostromumlage. Die Hälfte unseres Endverbraucher-Strompreises besteht mittlerweile aus Steuern und Abgaben.
Den größten Brocken in dieser Hälfte macht wiederum die Ökostromumlage mit 6,24 Cent pro Kilowattstunde aus. Völlig unabhängig also, ob jemand die Ökostromforderung richtig findet oder nicht, müsste die Antwort auf die Frage von Uslars klar ausfallen. Denn bei dem Sachverhalt handelt es sich um ein Ursache-Wirkungs-Prinzip zum Nachrechnen, ähnlich wie die Frage, wann und wieso eine Sektflasche im Tiefkühlfach platzt.
Was antwortet also Anton Hofreiter auf die Warum-Frage nach dem Strompreis? Folgendes: „Weil sich einige Konzerne die Taschen vollstopfen. Wir haben zu wenig Wettbewerb auf dem Strommarkt.“
Das Taschenvollstopfen bei den Energieversorgern sieht übrigens folgendermaßen aus: Das landeseigene baden-württembergische Unternehmen EnBW nahm 2014 eine Abschreibung von 1,2 Milliarden Euro vor und bildeten eine Verlustrückstellung von 300 Millionen Euro. Der Konkurrent RWE gab für 2013 einen Rekordverlust von 2,8 Milliarden Euro bekannt. Mitbewerber Eon verdient zwar noch etwas Geld, 2013 ging der Gewinn allerdings schon um 14 Prozent zurück, für 2014 kündigte der Vorstand ein abermaliges Schrumpfen an. Fast der gesamte konventionelle Kraftwerkspark in Deutschland erwirtschaftet Verluste, weil er nur noch als Lückenspringer ans Netz darf, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Allein EnBW möchte deshalb fünf seiner Kraftwerke stilllegen. Das Unternehmen darf nicht. Denn die Bundesnetzagentur stuft diese Anlagen als „systemrelevant“ ein, weil sie die Unzuverlässigkeit des Ökostroms ausbalancieren müssen. Der Energieversorger wird also von Staats wegen zum Verlustmachen gezwungen.
So richtig rund läuft es in der Energiebranche nur noch auf dem Grünstromsektor, dort also, wo nicht ein Hauch von Wettbewerb herrscht, wo sich die Hersteller dank Preis- und Abnahmegarantie auf Jahre hinaus weder über Kunden noch Nachfrage oder Effizienz den Kopf zerbrechen müssen. Wer sein Windrad nicht gerade dort aufstellt, wo kaum Wind weht, kann eigentlich nichts falsch machen.
Politiker reden viel und gern über Ökostrom, am häufigsten die Grünen. Aber merkwürdigerweise kommen bei ihnen die Ökostromproduzenten praktisch nicht vor, jene glückliche Schicht, die im vergangenen Jahr 20 Milliarden und Euro kassierte, die 2014 noch ein gutes Stück mehr einnehmen dürfte, und die längst zum festen Parteispendermilieu der Grünen zählt. Die Wortkombination „Ökostrom“ und „sich die Taschen vollstopfen“ würde einem Grünenpolitiker deshalb noch nicht einmal nachts an der Hotelbar entschlüpfen.
Wann immer es um die Frage geht, warum die Grünstromprivilegierung inzwischen doch etwas mehr kostet als eine Kugel Eis pro Familie und Monat, fallen Grünenpolitikern aufs Stichwort die gierigen Konzerne ein. Oder die Golfer. Anfang 2014 verbreitete auch der Grünen-Kreisverband München die Wanderlegende, „Golfplätze“ seien von der EEG-Umlage befreit, deshalb müssten normale Bürger derart viel zahlen. Im Bundestagswahlkampf 2013 fabulierte Katrin Göring-Eckardt, selbst die „Pommesbude um die Ecke“ müsse keine EEG-Umlage abführen. Die Liste der von der Ökoumlage befreiten Unternehmen kann jeder einsehen. Natürlich stehen dort weder Golfplätze noch Pommesbuden. Den Antrag bekommen nur Firmen genehmigt, die mehr als ein Gigawatt pro Jahr verbrauchen, und deren Stromanteil an der Wertschöpfung mindestens 14 Prozent beträgt. Das schaffen weder der längste Fairway noch die großzügigst illuminierte Kartoffelstäbchenfrittiererei.
Selten passiert es, dass Politiker einer Partei so offensichtlich die Unwahrheit sagen. Und dass es ihnen, relativ gesehen jedenfalls, so wenig schadet.
Die Stromkunden sollten sich nicht ärgern. Zwar werden sie auch ab 2015 wieder mehr Geld zahlen müssen. Aber dafür haut ihnen der Hofreiter Toni auch in Zukunft nach allen Regeln der Kunst die Tasche voll.
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