Tobias Kaufmann / 08.12.2006 / 13:59 / 0 / Seite ausdrucken

Woodstock in Pjöngjang

Nordkorea hat ein Imageproblem. Zwar tritt es für eine “freie, friedliche und freundschaftliche Welt ohne Herrschaft und Unterjochung” ein. Es hat auch ein “Ministerium für Frieden” und veranstaltet Paraden, bei denen kleine Mädchen das Land besingen, “in dem die Kinder Könige sind”. Trotzdem sieht der böse Westen immer nur eine stalinistische Diktatur, die das Volk hungern lässt, während Staatschef Kim Jong Il Rotwein, blonde Frauen und Atomwaffen genießt. Englische Freunde Nordkoreas haben sich deshalb nun etwas Besonderes ausgedacht: Woodstock in Pjöngjang. Die “Stimme Koreas” ruft im Internet alle Rockbands auf, am Festival “Rock für den Frieden” teilzunehmen.

Erstmals werde im Mai westlichen Gruppen erlaubt, “kapitalistische Populärmusik” aufzuführen. Unter einigen winzigen Bedingungen. Die Songs sollten bitte nicht verherrlichen: Krieg, Sex, Gewalt, Mord, Drogen, Vergewaltigung, die Zivilgesellschaft, Imperialismus, Kolonialismus, Rassismus, Regimekritik sowie Antikommunismus. “Welche Band bleibt da noch, außer PUR?” werden Kritiker unken. Aber solchen Spott erträgt ein wahrhaft freiheitliches Regime wie Nordkorea mit Würde.

Transport und Verpflegung müssen die Musiker selbst aufbringen, Honorar gibt’s nicht - nur Sightseeing-Touren zu “Bergen, Flüssen und Monumenten”. 54 Bands aus 20 Ländern hätten sich bereits angemeldet, jubelt die “Stimme Koreas”. Namen nennt sie nicht. Vermutlich sollen die Stars, die der Offerte nicht widerstehen konnten, nicht zu früh für Imagewerbung verheizt werden. Bob Geldof und Bono sind ja ohnehin immer dabei, wenn für die gute Sache gerockt wird. Und was wäre eine bessere Sache alsLieder für den sympathischen Diktator, über den es in Nordkorea heißt: “Als er am heiligen Berg Paektu das Licht der Welt erblickte, verkündeten ein doppelter Regenbogen und ein heiliger Stern die Ankunft des Erleuchteten.” Leider wird der Erleuchtete dem Konzert laut Medienberichten aus Sicherheitsgründen fernbleiben. Schade, eine poppige Frisur hat er ja.

(Kölner Stadt-Anzeiger, 7.12.06)

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