Gentechnikgegner erschrecken gerne Leute mit der Eier legenden Wollmilchsau. Glaubt jemand an die Schöpfung, liegt der Irrglaube nahe, Gentechnologen könnten solche Monster erschaffen. Die Natur hat allerdings ein solches Monstrum bereits hervorgebracht: das in Australien lebende Schnabeltier. Vor dem fürchtet sich niemand. Weil dieses Tier ganz und gar nicht in die Bibel passt, hat man anfänglich behauptet, es sei künstlich hergestellt: Chinesen hätten einem Biber einen Schnabel angenäht. Damals tauchten auch Nixen auf, in Wahrheit Fische, die mit Affenarten zusammengenäht wurden, natürlich nachdem sie tot waren.
Biologen konnten nachweisen, das Schnabeltier ist ein einsamer Ast in der Evolution, abgetrennt von einem Vorfahren, von dem auch wir abstammen. Weil das Schnabeltier im Gegensatz zu der Eier legenden Wollmilchsau echt ist, hat man lange Zeit behauptet, es sei ein Beweis, dass Gott Humor habe.
Das Schnabeltier beflügelt jetzt wieder die Fantasie der Menschen, weil letzte Woche in der Zeitschrift «Nature» das Genom dieses Tieres publiziert wurde. Es ist eigentlich fast nichts Neues herausgekommen, als was nicht ohnehin bekannt war. Das Tier galt schon immer als ein Pelz tragendes Säugetier, weil es die Jungen säugt, allerdings ohne Nippel, sondern direkt durch die Bauchwand. Komisch ist allerdings, dass Schnabeltiere Eier legen können. Wir sollten froh sein, dass uns während der Evolution diese Fähigkeit abhanden gekommen ist. Wir bräuchten heute nicht nur Kinderkrippen, sondern auch noch Eierkrippen.
Der Schnabel des Schnabeltiers ist zudem nicht von den Vögeln entlehnt, sondern eine Eigenentwicklung. Er scheint ein elektrochemisches Sensorium zu sein, dank dem das Tier mit geschlossenen Augen und Nüstern unter Wasser «sehen» kann. Diese Gene sind uns Menschen auch abhanden gekommen, wären aber im Schwimmbad praktisch. Ein kurzes Abtauchen würde einem blitzschnell sagen, ob derjenige, der ins Wasser gepinkelt hat, noch im Pool schwimmt.
Das Schnabeltier benutzt eine Gruppe von Eiweissen, die sonst als Schlangengifte vorkommen. Wir verwenden diese nur noch mit dem Immunsystem, um Krebszellen umzubringen. Männliche Schnabeltiere haben jedoch an den Hinterläufen Giftsporne. Für einen Hund, der einem Schnabeltier zu nahe kommt, kann das das Ende der Jagd bedeuten.
Dieses äusserst skurrile Produkt der Evolution ist somit viel verrückter als eine Eier legende Wollmilchsau, über deren Sexualität allerdings nichts erfunden wurde. Mit Sex scheint man heute niemandem mehr einen Schrecken einzujagen. Trotzdem, das Schnabeltier hat fünf X- und fünf Y-Chromosomen. Bei uns Menschen haben Frauen zwei X, und Männer ein X und ein Y, was anscheinend ausreicht, dass Männer sich weniger vor der Gentechnik fürchten. Mit den fünf X- und fünf Y-Chromosomen hätte das Schnabeltier allerdings Möglichkeiten, die es scheinbar nicht nutzt. Theoretisch wäre es nämlich möglich, dass Schnabeltiere 25 verschiedene Geschlechter aufweisen. Das jagt nun hoffentlich jedem Beamten einen Schrecken ein. Stellen Sie sich vor, wie kompliziert unsere Heiratsregeln wären!
Die Kolumne erschien zuerst in der Berner Zeitung am 17. Mai 2008