Gastautor / 25.08.2016 / 12:30 / Foto: Cornstalker / 9 / Seite ausdrucken

Wolfgang Bosbach, ein Tanzbär im Merkelkäfig

Von Sebastian Antrak.

Als ich noch Werbung machte, bastelte ich in einer Agentur an einer Kampagne gegen Wahlmüdigkeit. Das Motiv, auf das wir uns schließlich einigten, sollte sich auf zwei Seiten erstrecken. Auf Seite eins eine Bude mit Lostopf, aus der ein Besucher lauter Nieten zog. Auf Seite zwei dann ein Blick in den Bundestag mit dem Aufruf, wählen zu gehen, um Nieten zu verhindern. Doch dem Auftraggeber war die Sache zu heikel. Nieten im Bundestag, unerhört. Damit war das Konzept gestorben, die ausgedruckten Entwürfe landeten als Klopapier irgendwo im Filterbecken der Kläranlage.

Auf dem Rummelplatz ärgern wir uns höchstens kurz mal schwarz, wenn’s nur immer wieder heißt: „Schade, diesmal haben Sie nichts gewonnen“. Haben wir aber einmal unser Kreuz gesetzt, können wir die Fehlinvestition nicht einfach so im nächsten Mülleimer entsorgen. Wer etwa die Abgeordnete Petra Hintz als beste Wahl empfand, dürfte sich jetzt ob so einer beraubten Entsorgungsmöglichkeit verarscht vorkommen.

Natürlich, es gibt sie, die honorigen Abgeordneten, tatsächlich ihrem Gewissen verpflichtet, Sprechstunden persönlich haltend, die mit kräfteraubendem Einsatz und Nachdruck an die Sache gehen. Die vielleicht noch mal kurz hoch gucken, hoch an das Portal des Reichstagsgebäudes, wenn sie zur Arbeit gehen, und rekapitulieren, für wen sie das tun, was sie tun: „Dem deutschen Volke“. Aber es gibt sie auch, die Damen und Herren, die Angry Birds auf ihrem Smartphone mit olympischen Ehrgeiz beackern, statt dem Redner ganz vorne einfach mal zuzuhören. Die sich wegdrehen, sobald andere Meinungen auftauchen oder von ihrer steuerfinanzierten Kostenpauschale Luxusfüller bestellen. Die zu Bürgerstunden lieber Vertreter schicken oder dann, wenn sie es selbst machen, sich im Minutentakt von SMS, Twitter, Whatsapp oder Facebook stören lassen. Solche Experten schwafeln stets von Respekt, Achtung und Toleranz vor anderen, aber zeigen demonstrativ, was sie tatsächlich so davon halten.

Ein bisschen Gysi, Scheel und Prinz Charles

Meine Güte, die alten ehrbaren Werte, die so manche auch im Volk inzwischen als obsolet betrachten, haben fast keinen Stellenwert mehr im Parlament. Aber wenn schon nicht dort, warum dann außerhalb jener Mauern? Das Stützkorsett unserer Gesellschaft misst sich auch darin, ob man Werte nicht nur dahinplaudert, sondern auch lebt. Vielleicht gefiel deshalb Wolfgang Bosbach so vielen. Schon diese Stimme. Klar und deutlich, langsam, um vielleicht mal was mitschreiben zu können. Schon dieses Auftreten. Exakt sitzende Anzüge, die Krawatte stets bis hoch geschoben, fließende, elegante Bewegungen. Schon diese Attitüde. Nie arrogant, nie schnippisch, Aussagen gespickt mit ironischen Untertönen, schlagfertig.

Ein bisschen Gysi, ein bisschen Scheel, ein bisschen Prinz Charles. Bosbach war nicht nur ein Leuchtturm in seiner ganzen Persönlichkeit. Er war auch der Stachel im Fleisch der Kanzlerin. Oder sollte man sagen, Schiefer? Seine Posten waren zu irrelevant, um Merkel irgendwann mal in die Bredouille zu bringen. Er wird mit seinen Abstimmungsentscheidungen, seinen Worten und Mahnungen der Kanzlerin wehgetan haben, gewiss. Aber weil er für sie unter ferner liefen ranggierte, musste sie seine Wut nie fürchten. Vielleicht war sie insgeheim sogar froh, ihn zu haben. Bosbach stand für den Konservatismus, eine aussterbende Gattung innerhalb der CDU, für Anstand, für Gewissen, für eine ganz und gar nicht verbrämte Ideologie der Ehre. Also all das, was der Regierung inzwischen so nonchalant abgeht.

Aber den Bosbach konnte sie immer vorschicken, wenn es darum ging, wenigstens den Anschein zu erwecken, dass es die Partei noch auf diese Punkte anlegt. Bosbach, ein Tanzbär im Merkelkäfig.

Mit Bosbachs Weggang aus der Politik nächstes Jahr muss man derart starke, vor allem unabhängige Kritiker aus den eigenen Reihen aktueller Politik mit der Lupe suchen. Sein Ausscheiden bedeutet auch, dass wir zukunftsweisende Entscheidungen mehr und mehr in die Hände bloßer Abnicker legen, die weder Mut noch Anstand haben, manch gefährlichem Treiben Einhalt zu gebieten. Übersetzt ins Losbuden-Sprech: ein Hauptgewinn ist weg. Ein paar Glückslose sind noch da. Und die Mehrzahl: Nieten.

Sebastian Antrak ist nach vielfältigen Erfahrungen von Journalismus bis Werbebranche freier Autor.

Foto: Cornstalker CC BY-SA 3.0 via Wikimedia

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Leserpost

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Felix Härtl / 26.08.2016

Ich erinnere mich hinwegs Bosbachs in aller erster Linie an seinen Auftritt auf rtl2 (gibts das noch?) in diesem Pädophilenköderformat, angestupst damals durch von der Leyen. Das Format und die Ausführung waren strafrechtlich kurz davor, aus der Grauzone in die Staatsanwaltschaften zu treten. Der Mann ist seitdem bei mir unten durch. Er mag für viele gute Werte vertreten, evtl für mich auch, ist zu aller erst aber ein streng Autoritärer.

Horst Jungsbluth / 26.08.2016

Bei der letzten Bundestagswahl fragte mich ein älterer Herr, als er seinen Wahlschein in die Urne warf, ob ich den Unterschied zwischen dem Funkturm und dem Bundestag kenne. Als ich verneinte, klärte er mich auf, dass beim Funkturm die “Nieten” außen sässen. Ich durfte erst nach der Auszählung darüber lachen, obwohl es eigentlich gar nicht zum Lachen ist. Vielleicht hat Wolfgang Bosbach zu oft an diesen “Sabbel-Shows” teilgenommen, wahrscheinlich diente er den “gleichgeschalteten Sendern” auch nur als Feigenblatt, aber er hat wenigstens unermüdlich Positionen vertreten, die viele Bürgern in diesem Lande uneingeschränkt teilten.

Klaus Klinner / 25.08.2016

Sorry, aber diesen Beitrag finde ich im Angesicht eines lebensgefährlich Erkrankten einfach nur despektierlich. Es gibt durchaus die Möglichkeit in einem solchen Fall einfach mal die Klappe zu halten.

Mona Rieboldt / 25.08.2016

Wolfgang Bosbach wird vor allem der CDU fehlen. Er hatte Klasse und wenn er mit etwas nicht einverstanden war, die Euro-Rettung Griechenlands z. B., sagte er das mit klaren Worten, so dass es auch jeder verstehen konnte. Und der Mann hatte Humor. Wolfgang Bosbach hätte nie seine Wähler als “Pack” beschimpft und sicher niemandem den “Stinkefinger” wie Gabriel gezeigt. Er war ein Gentleman, gut angezogen und mit gutem Benehmen. Leider gibt es jetzt fast nur Ja-Sager, die Merkel nach dem Mund reden, Und zuviele Politiker, die sich primitiv benehmen, sich dabei auch noch gut finden, gleichzeitig aber beklagen, die “Gesellschaft” hätte sich brutalisiert. Wolfgang Bosbach wird auch seinen Wählern fehlen.

Marcel Seiler / 25.08.2016

Ich fand Herrn Bosbach immer erfrischend und bewundernswert.  Aber ich fand ihn auch enttäuschend: warum konnte er nicht die Konsequenzen ziehen und seine Partei verlassen. Als Dissident aber eben auch Unterstützer der CDU hat er in gewisser Weise Frau Merkel noch in die Hände gespielt.

Eugen Karl / 25.08.2016

Es gibt doch noch den ebenfalls unbeugsamen Klaus-Peter Willsch. Der sitzt freilich nicht in jeder Talkshow rum, doch spricht das eigentlich auch eher für ihn.

Dietrich Herrmann / 25.08.2016

Sehr richtig eingeschätzt! Und dieser Nietentopf wird ständig rumgereicht von einer einfältigen Alten, die sich noch nicht einmal mit gut formulierten Reden verständlich machen kann. “Chancelorette-Speech” - das neue Qualitätsmerkmal der selbsteingebildeten Elite.

Michael Tharandt / 25.08.2016

Wolfgang Bosbach, er wird uns fehlen. Und wie der Artikel es so treffend beschreibt, es bleiben Abnicker und Nieten. Leider sind auch in den anderen Regierungsparteien keine Bosbachs zu erkennen, und wenn, dann sind sie in der falschen Partei, oder belastet. Danke für den vorzeitigen Nachruf an Sebastian Antrak.

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