Cigdem Toprak
Knapp drei Wochen nachdem Thilo Sarrazins umstrittenes Buch «Deutschland schafft sich ab» erschienen war, bekam ich einen Anruf von einem Berliner Meinungsforschungsinstitut, bei dem ich unter anderem gefragt wurde, ob ich mich durch Sarrazin beleidigt fühlte. Natürlich antwortete ich mit einem Nein. Das Gegenteil ist der Fall. Auch wenn Sarrazins Buch hauptsächlich den ökonomischen Nutzen muslimischer Migranten zum Thema hat, bin ich ihm dankbar, dass seine provokanten Thesen die Diskussion über den Islam in Deutschland, die Muslime und deren Integrationsfähigkeit auf eine breitere Basis gestellt haben.
Seltsames Unbehagen
Die deutsche Islamdebatte ist wichtig, um die Deutschen einschliesslich ihrer muslimischen Mitbürger auf die schleichende fundamentalistische Islamisierung aufmerksam zu machen, die allerdings die Muslime selbst weitaus stärker trifft als die Menschen christlichen, jüdischen oder gar keines Glaubens. Denn es ist ein merkwürdiges Gefühl, wie nackt man sich auch als Alevitin mit einem schulterfreien Kleid unter Kopftuch tragenden Frauen fühlt und wie stark das Bedürfnis wird, sich sofort etwas überzuziehen, obwohl niemand ein Wort gesagt oder einen bösen Blick geworfen hat – und dies, während sich die «deutschen» unbedeckten Frauen keineswegs unwohl fühlen.
Es ist fragwürdig, dass Islamverbände und konservativ-gläubige Muslime immer lauter nach freier Religionsausübung rufen, die individuellen Freiheiten und Rechte der Muslime aber, sowohl der Frauen als auch der Männer, auf jenes Minimum beschränken wollen, das der Koran erlaubt. So dient ihnen als Grundlage für die Menschenrechte einzig und allein der Koran, der sich als heiliges Buch jeglicher Kritik entzieht. Darin liegt die Gefahr, die sich dadurch verstärkt, dass der Staat religiösen Sonderwünschen wie Gebetsräumen für Universitäten entgegenkommt. Die vielen säkularen muslimischen Stimmen, die es in Deutschland gibt, werden erstickt. Auch von «toleranten» Politikern und Journalisten, die aus unterschiedlichen Gründen Sympathie für ihre muslimisch-konservativen Mitbürger entwickeln und jede aufklärerische Kritik am Islam und an der islamischen Wertordnung als Rassismus und Islamophobie abtun zu können meinen.
So werden neben bekannten Islamkritikern wie Necla Kelek, Seyran Ates, Ayaan Hirsi Ali und Henryk Broder auch einfache Leute wie ich zu «Panikmachern» – ich Alevitin, die ich zusammen mit 700 000 Glaubensgenossen in Deutschland lebe. Denn was anderes als Islamkritik betreiben wir, wenn wir das fundamentalistische islamische Religionsverständnis ablehnen, indem wir uns gegen das Tragen des Kopftuchs entscheiden, nicht auf den Genuss von Alkohol verzichten, statt in Moscheen in Gemeindehäusern beten (wobei Männer und Frauen nicht getrennt sind) und ein laizistisches Gedankengut pflegen, das uns als Staatsbürger vorschreibt, demokratisch rechtsstaatliche Normen und Prinzipien über den Glauben zu stellen.
Doch nicht nur die Aleviten, sondern auch säkulare Sunniten und Schiiten in Deutschland sind säkular gestimmt, nur nehmen sie kaum an der Debatte teil. Generell fehlt es an einer muslimischen prosäkularen Lobby im Diskurs über den Islam, wobei es in Deutschland wie in Österreich Pläne gibt, dies zu ändern. Gegenüber den Argumenten säkularer Muslime wird denn auch der Vorwurf des Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit nicht mehr ziehen. Es wird klarwerden, dass es uns um Religionskritik im aufklärerischen und humanistischen Sinne geht, um die Bekämpfung der menschenfeindlichen Seiten des Islam und seiner Gebote und nicht um die Diskriminierung einer fremden Kultur.
Hysterisierungen
Hysterisch werden die Diskussionen über den Islam erst dann, wenn sich Unwissen breitmacht und es zu Überschneidungen mit der Integrationsdebatte kommt. Wenn der türkische Gemüsehändler von nebenan von deutschen Zeitungslesern aufgrund seiner mangelnden Sprachkenntnisse als islamistischer Terrorist beäugt wird oder in Verdacht steht, er würde für die Ehre der Familie seine Tochter umbringen. Auf der anderen Seite wird die Islamdebatte von zahlreichen jungen Akademikerinnen mit Kopftuch geprägt, die als «integrierte Deutsche» angepriesen werden. Indes machen das Beherrschen der Sprache und der Besuch einer Universität eine Frau keineswegs schon zu einer «aufgeklärten und emanzipierten» Muslimin. Es kommt auf ihren Mut an, sich die Freiheit zum Selberdenken zu nehmen.
Es scheint, dass sich die Fronten in der «deutschen» Islamdebatte neuerdings verhärten. Hüben und drüben erhalten jene Zulauf, die auf Differenzierung keinen grossen Wert legen. So üben in Internetforen auch solche Islamkritik, denen es weniger um die gleichen Pflichten und Rechte der Muslime geht als darum, das Christentum als überlegen darzustellen. Das geht so weit, dass die Ausweisung aller Muslime gefordert wird. Auch säkulare Muslime fühlen sich durch solchen Chauvinismus in die Ecke gedrängt und verlieren die Lust, an solchen «Debatten» teilzunehmen.
Es wäre von Vorteil, man würde die Kritik am Islam und die Debatte über die Schwierigkeiten vieler muslimischer Migranten, sich in das moderne gesellschaftliche Umfeld Deutschlands einzupassen, auseinanderhalten. Auch wenn diese Migranten Muslime sind, sollte in der Integrationsdebatte wenn möglich die Kultur in den Vordergrund gestellt werden. Konkrete soziale und wirtschaftliche Probleme gehören diskutiert. Dies würde die Emotionen aus der Debatte herausnehmen und den Zweck der ganzen Diskussion um den Islam transparent machen: den Wunsch nach aufgeklärten und demokratisch gesinnten Mitbürgern, die sich als selbstverständlichen Teil der freiheitlich-liberalen deutschen Gesellschaft verstehen.
Cigdem Toprak, 24 Jahre alt, ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Sie studiert Friedens- und Konfliktforschung und bloggt über Islam, Integration und Menschenrechte (http://cigdemtoprak.de/).