Ralf Schuler / 17.10.2016 / 06:00 / Foto: Sandro Halank / 9 / Seite ausdrucken

Wenn das Volk beim Rechthaben stört

Vor allem Politessen verzweifeln ja oft am Postfaktischen. Die Faktenlage ist klar: Parkverbot. Und trotzdem stehen immer wieder Autos am falschen Ort. Schlimm!

Aber sonst ist das modische Klagen über ein jäh heraufgezogenes „postfaktisches“ Zeitalter schlichtweg Unfug. In Wahrheit ist das „Postfaktische“ lediglich eine Chiffre für das Unvermögen politmedialer Eliten, die abweichende Stimmungs- und Meinungslage anderer Bevölkerungsschichten zu verstehen oder gar zu akzeptieren. Nur die eigene Sicht gilt als Faktum, was andere denken, geht bestenfalls als (falsches) Gefühl durch.

Wie bei der Politesse: Parkverbot ist Fakt. Rasch vor Ladenschluss noch zur Apotheke, quengelnde Kinder, schwere Taschen, brummender Schädel… sind eigentlich auch Fakten, gelten aber nicht. Die Rechtslage ist eindeutig. Doch in der Politik ist die Sache komplizierter. Der Versuch, die Realität in richtige Fakten und falsche Gefühle einzuteilen, führte zum Beispiel zu dem drolligen Auftritt der Kanzlerin nach der verlorenen Landtagswahl in Berlin:

Es heißt ja neuerdings, wir lebten in postfaktischen Zeiten. Das soll wohl heißen, die Menschen interessieren sich nicht mehr für Fakten, sie folgen allein den Gefühlen. Und das Gefühl einiger geht so: Ich triebe unser Land in die Überfremdung, Deutschland sei bald nicht mehr wiederzuerkennen, und nun wäre es unlogisch, dies mit Fakten zu kontern, auch wenn ich – dafür kennen Sie mich ausreichend – sofort in der Lage wäre, das herunterbeten zu können. Ich will dem also meinerseits mit einem Gefühl begegnen: Ich habe das absolut sichere Gefühl, dass wir aus dieser zugegeben komplizierten Phase, besser herauskommen werden, als wir in diese Phase hineingegangen sind.

Das absolut sichere Gefühl der Kanzlerin

Eine Regierungschefin, die ihr eigenes Gefühl zur Überzeugung von Kritikern benutzen will – das ist nicht nur für die nüchterne Rationalistin Merkel untypisch, es ist auch gaga. Regierungen werden nicht dafür gewählt, Gefühle zu äußern, sondern um Entscheidungen zu treffen. Dass dabei und bei der Beobachtung von Politik immer auch Gefühle im Spiel sind, versteht sich von selbst. Trotzdem wäre es mehr als erstaunlich, wenn draußen im Lande ein Wähler sich davon überzeugen ließe, dass die Kanzlerin ein „absolut sicheres Gefühl“ für irgendetwas hat. Kann man mal probieren, sollte aber nicht zur Regel werden.

Tatsächlich steckt hinter der postfaktischen Debatte das Unvermögen von Politik und Teilen der Medien, die Meinungen gegnerischer Lager als Faktum zu akzeptieren. Die Bundesregierung argumentiert beispielsweise immer wieder „faktisch“ damit, dass ja jetzt viel weniger Flüchtlinge kämen, die Kanzlerin spricht inzwischen auch von „illegaler Migration“ und schert nicht mehr alles über selben Asyl-Kamm.

Soll heißen: Wir haben das Problem erkannt. Es kommen jetzt weniger, euer Problem ist gelöst. Was wollt ihr noch? Nur ist die Ansicht, die Entscheidungen vom Herbst 2015 für einen zutiefst verstörenden Kontrollverlust der Politik und unverzeihlichen Fehler zu halten, eben auch ein Faktum und kein irregeleitetes Gefühl.

Was sich in sinkenden Umfragewerten der großen Parteien und stabilen Zahlen der AfD zeigt, hat auch damit zu tun, dass viele offenbar den Weg in ein Deutschland mit immer stärker werdender muslimischer Minderheit nicht mitgehen wollen. Anderer alltagspolitischer Verdruss kommen hinzu. All das mag man für unbegründet oder falsch halten, es bleibt aber eine Tatsache, mit der sich Politiker auseinandersetzen müssen. Denn zu allem Überfluss darf das Volk, anders als beim Falschparken, beim „Falschmeinen“ seine Politessen selber (ab)wählen.

Der vermeintliche Alleinvertretungsanspruch für die Fakten ist deshalb nicht nur eine neue Stufe elitärer Selbstüberhebung und Abgehobenheit, sondern auch ein gefährlicher Irrweg, den zu denken man schnell aufgeben sollte. Das Volk stört beim Rechthaben und bekommt von den Fakten-Freunden nur begrenzte rationale Zurechnungsfähigkeit bescheinigt. Viel wichtiger wäre es, sich endlich die gar nicht neue Erkenntnis noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, dass auch Meinungen Fakten sind. Zuweilen sehr harte.

Und wann wird Trump stürzen?

Ein gutes Beispiel bietet meine eigene Branche, der Journalismus. Wie oft Donald Trump seit dem Beginn des US-Wahlkampfes an für chancenlos erklärt worden ist, lässt sich kaum noch zählen. Von den ersten Auftritten bis jetzt kurz vor der Wahl rechneten Kommentatoren und Reporter damit, dass er doch nun endlich abstürzen werde. Letzte Schlagzeilen: „Stürzt er jetzt über seine Steuerakte?“ Etwas später „Stürzt er jetzt über seine Sex-Manieren?“ Bislang stürzte er nicht.

Wenn ich aber mit meinen Analysen immer wieder falsch liege, müsste ich eigentlich irgendwann zu der Erkenntnis kommen, dass mein Messinstrumentarium nicht funktioniert. Offenbar geht es den Anhängern nicht um die Dinge, die mir als Reporter wichtig sind, sondern um etwas ganz anderes. Das ist Fakt. Die 20. Wiederholung des Vorwurfs, Trump lüge, acht von zehn Fakten stimmten bei ihm nicht, er habe kein Benehmen… ist zwar faktisch richtig, erklärt aber nichts und führt zu falschen Schlüssen. Was mache ich also als Beobachter falsch?

Nichts, meinen viele Berichterstatter bis heute, machen einfach weiter und erklären die Wähler von Rechtspopulisten kurzerhand zu Postfaktikern, die nicht mehr erreichbar sind. Das ist der leichteste Weg, aber auch der anspruchsloseste. Jahrelang haben wir erklärt, warum Berlusconi politisch nicht tragbar oder George W. Bush ein Trottel sei. Der erste wurde genauso lange wiedergewählt und der zweite bei den Midterm Elections deutlich bestätigt. Hat uns nicht gestört. Die AfD sprach von Schüssen an der Grenze, hatte Probleme mit Boateng, müsste nach vermeintlicher Faktenlage längst verschwunden sein und marschierte nebenbei von Wahlerfolg zu Wahlerfolg. Soweit die Fakten.

Tatsache (lat. factum) ist, dass die selbst erklärten Fakten-Inhaber sich nicht nur im Besitz unwiderlegbarer Statistiken und Dokumentationen wähnen, sondern im Besitz der Wahrheit. Die Debatte über das postfaktische Zeitalter ist deshalb auch ein Indiz für die vertiefte Spaltung der Gesellschaft. Unsere Fakten sind nicht die Wahrheit der Leute. Zumindest nicht aller.

Die wahren Postfaktiker trifft man übrigens ganz woanders: Sie sitzen in der Bahn und denken, sie stießen kein Kohlendioxid aus. Sie ernähren sich von vegetarischer Wurst, die so viele künstliche Zusatzstoffe enthält wie ein handelsüblicher Turnschuh, oder kaufen ihr garantiert naturbelassenes, chemie- und antibiotikafreies Bio-Fleisch beim zertifizierten Schweine-Priester und lassen sich danach völlig unbekannte Giftcocktails direkt unter die Haut tätowieren. 

Hier sind Fakten nun wirklich bloß Beiwerk. Der Glaube versetzt Berge – und ersetzt Fakten. Aber das hat die Kanzlerin vermutlich gar nicht gemeint.

Foto: Sandro Halank CC BY-SA 3.0 via Wikimedia

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Leserpost

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O. Goldberg / 17.10.2016

Wie immer geistreich, erreicht aber nur ein kleines Teil der Interessierten. Man braucht alternative Medien, vor allem ein alternatives Fernsehprogramm, sonst bleiben wir alle post Faktum!

Josef Kneip / 17.10.2016

“Ich habe das absolut sichere Gefühl, dass wir aus dieser zugegeben komplizierten Phase, besser herauskommen werden, als wir in diese Phase hineingegangen sind.” Die postfaktische Merkel drückt -den Bürger irreleitende- Gefühle aus, statt ihm die Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit und damit Fakt ist, dass Merkel die Massenimmigration bewusst in Gang gesetzt hat, um damit die Vorgaben einer selbsternannten “Elite” umzusetzen, die eine Durchmischung und Umformung Deutschlands und Europas zum Ziel haben. Der Bürger wird dabei nicht gefragt, er wird einfach übergangen. Das “sichere Gefühl” Merkels soll Deutschland und Europa in eine “Neue Weltordnung” führen, die von einer demokratisch nicht legitimierten Welt-“Elite” vorgegeben und regiert wird. Das soll dann die “bessere Phase” des Merkel’schen Gefühls sein. Wer da nicht mit macht, ist rechtsradikal. So einfach ist das. Wenn Merkel sich da mal nicht täuscht. Der Widerstand gegen die “bessere Phase” wird sich dann noch verstärken, wenn der Bürger die Fakten wirklich erkennt und nicht mehr auf Merkels “Gefühle” herein fällt.

Jörg Schulze / 17.10.2016

Das schlimmste ist, das wir sehenden Auges in die Katastrophen rennen und unser politisches System vollkommen versagt. Trotz diverser Rechtsbrüche wird die Regierung nicht ausgewechselt, kann die Kanzlerin weiter fabulieren, kann der Justizminister eine Public-Private Partnership Zensurbehörde aufziehen und die Medien üben sich vor allem in Oppositionskritik und Volksverachtung. Der ehemalige Souverän gilt nichts und wird daher einfach ignoriert. Wut kann ich schon nicht mehr empfinden, darüber bin ich weg, ich empfinde nur noch Verzweiflung.

Lutz Muelbredt / 17.10.2016

Der Kapitän der Titanic hatte trotz Warnungen das Gefühl, daß sich die Eisberge von ihm fortbewegen werden…

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