Gastautor / 28.09.2015 / 13:00 / 2 / Seite ausdrucken

Wirtschaftsflüchtlinge früher und heute

Von Eva Ziessler

“Schweizer sind sicherlich keine wünschenswerte Ergänzung unserer Bevölkerung”

Der “schwer entstellte”, mittellose und arbeitsunfähige 43-Jährige gab an, er habe gemeinsam mit seinem Vater eine kleine Landwirtschaft betrieben – bis dieser vor drei Monaten die Insolvenz habe anmelden und in der Folge Sozialhilfe für sich und seinen Sohn habe beantragen müssen. Der Mann, der am 25. November 1879 vor den Beamten der Einwanderungsbehörde in New York diese Angaben machte, war auf der Celtic eingereist. Er hieß Theodor Meier und kam aus Bürschwil im Kanton Solothurn. Er war also Schweizer. Nun waren die Schweizer Behörden offenbar ähnlich einfallsreich wie die Engländer zu dieser Zeit, wenn es darum ging, Menschen loszuwerden, die Almosenempfänger waren und damit die öffentlichen Kassen belasteten: England verschiffte zwangsweise gleich Hunderttausende solcher Armen – die “paupers” – auf den australischen Kontinent. In der Schweiz erledigte man das ein paar Nummern kleiner. Herr Holzherr, der Vizepräsident der Gemeinde Bärschwil, ermunterte Meier Junior höchstpersönlich dazu, nach Amerika auszuwandern, indem er ihm die Überfahrt nach New York bezahlte, sowie die Miete für ein Zimmer in der Pension von Herrn Gasser in Manhattan für einen Monat – letzteres schon reserviert und im Voraus bezahlt. Ob Herr Gasser ebenfalls aus der Schweiz stammte, wissen wir nicht. Es steht aber fest, dass die Monatsmiete drei Dollar betrug.

Wie es mit dem Solothurner Theodor Meier weiterging, wissen wir auch nicht. Die New Yorker Einwanderungsbehörde jedenfalls beabsichtigte, ihn auf demselben Schiff, mit dem er gekommen war, wieder zurückzuschicken, ihn also abzuschieben, oder, wie es die Deutschschweizer so viel treffender sagen: ihn auszuschaffen. Die Kosten für die Rückfahrt sollte nicht die Reederei, sondern die Gemeinde Bürschwil tragen – zur Abschreckung, damit sie nicht noch mehr Arme schickten, die “zur Belastung für unsere Steuerzahler” würden. Wie die amerikanischen Behörden das bewerkstelligen wollten, ist allerdings unklar.

Diese schöne Geschichte – wenn auch leider nicht ihren Ausgang – kennen wir aus der New York Times vom November 1879. Ausgegraben hat sie Marc Brupbacher, Ressortleiter News beim Züricher “Tages-Anzeiger” beim Stöbern im Archiv der NYT. Und dabei ist er noch auf viele andere, mindestens ebenso interessante Artikel aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gestoßen, aus denen hervorgeht, dass schon die Ankunft einzelner armer Schweizer zu großer Empörung bei den New Yorker Behörden und in der Bevölkerung führte. Erst recht galt das, wenn Schweizer “in Massen” ins Land strömten. Da hieß es dann zum Beispiel, in einer Titelzeile vom März 1855: “Noch mehr Almosenempfänger aus der Schweiz – wieder eine Schiffsladung unterwegs.” Bemerkenswert an dieser Geschichte ist, dass man hier schon lange vor deren eigentlicher Ankunft informiert war. Und das kam so: Heman J. Redfield, Leiter der New Yorker Zollbehörde, einer sehr wichtigen Bundesbehörde, hatte einen Brief aus Zürich von dem dortigen US-Konsul erhalten, datiert vom 3. März des Jahres, den er sofort an den Bürgermeister weiterleitete. Der amerikanische Konsul hatte geschrieben: “Sehr geehrter Herr, gerade habe ich erfahren, dass die Gemeinde Niederwil, Kreis Zofingen, im Schweizer Kanton Aargau, 320 ihrer ärmsten Bürger in die Vereinigten Staaten geschickt hat; dass diese vor einigen Tagen nach Le Havre aufgebrochen sind, um von da aus das Schiff nach New York zu nehmen…” Desweiteren führte der Konsul noch an, dass diese Schweizer “sicherlich keine wünschenswerte Ergänzung zu unserer Bevölkerung sind”.

In den 50 Jahren zwischen 1850 und 1900 wanderten rund 330.000 Schweizer aus. Nicht alle von ihnen waren arm, und nicht alle von den Armen unter ihnen gingen in die USA. Diejenigen der Armen aber, die in New York ankamen – egal, ob mit oder ohne Fluchthilfe durch Schweizer Behörden -, waren dort immer wieder Anlass für große Empörung und schlimmste Befürchtungen. Dasselbe galt übrigens für die Iren, die dem Joch der britischen Krone und den von ihr ausgelösten Hungersnöten entkommen wollten und deshalb in sehr großer Zahl nach Amerika flohen. Obwohl sie dieselbe Sprache sprachen wie die Amerikaner, waren auch sie keineswegs wohlgelitten. So hieß es in Stellenangeboten in der Zeitung noch bis Ende des 19. Jahrhunderts immer wieder: “No Irish need apply” – Iren brauchen sich gar nicht erst zu bewerben. Allerdings ist hierbei zu berücksichtigen, dass die Iren Katholiken waren und damit aus Sicht der immer noch calvinistisch-puritanisch geprägten Bevölkerungsmehrheit der USA direkt mit dem Teufel in Verbindung standen. Dieses Problem, zumindest, gab es mit den meisten Schweizern wohl nicht.

Hier der Artikel aus dem Schweizer Tages-Anzeiger von Simon Knopf vom 7. September 2015, dem ich viele der genannten Informationen entnommen habe und der auch Faksimile-Auszüge aus etlichen NYT-Artikeln zu dem Thema enthält.

Zuerst erschienen auf Eva Ziesslers Blog hier.

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Leserpost

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Max Wedell / 30.09.2015

Frau Ziessler ist zu danken, daß sie darauf hinweist, daß sich Menschen auch in einem anderen Land und zu einer anderen Zeit kritisch mit der Frage befassten, mit welchen Neubürgern sie demnächst das Land teilen werden… Im Zweifel eher eine ablehnende Haltung zu haben ist also etwas ganz menschliches, und nicht eine irgendwie “rechtsextreme” oder “rechtspopulistische” Abnormität, wie man uns heute einreden will… Leider aber weist sie mit keinem Wort auf die gravierenden Unterschiede zwischen dem heutigen Deutschland und den damaligen USA hin, sodaß man den Eindruck bekommt, sie wolle die Tatsache, daß die damalige, als problematisch empfundene Armutsimmigration am Ende doch irgendwie keine Katastrophe nach sich zog, auf die heutige Situation übertragen, wolle also sagen: Na bitte, weil es damals ging, am Ende sogar in toto eine Erfolgsgeschichte der Einwanderung ergab, wird es heute auch gehen, die heutige Einwanderung dereinst sicher auch als großer Gewinn konstatiert werden. Die Unterschiede sind aber gravierend. Erstens waren die damaligen Zahlen kleiner, als sie schreibt… es mag sein, daß zwischen 1850 und 1900 330.000 Schweizer auswanderten, in den 100 Jahren zwischen 1820 und 1920 wanderten jedenfalls 262.000 Schweizer in die USA ein… was die Iren angeht, die sie als andere Gruppe nennt, die damals von manchen als “problematisch” gesehen wurde, so wanderten in den 50 Jahren zwischen 1851 - 1900 ca. 2.830.000 Iren in die USA ein. Gegenüber den heutigen Wanderungsströmen von als problematisch empfundenen Bevölkerungen nach D sind das doch völlige Peanuts, insbesondere wenn man berücksichtigt, daß die USA das 27,5-fache der Fläche Deutschlands besitzt, und Konfliktmöglichkeiten ja allein dadurch, daß die Bevölkerungsdichte Deutschlands heute das Hundertfache der USA in 1850 beträgt, erheblich höher sind. Die europäische Einwanderung in die USA, auch die der Iren und Schweizer, stand kulturell und in ihren Wertesystemen näher an der einheimischen Bevölkerung als die jetzige aus der arabischen Welt und Afrika (Katholizismus und Protestantismus sind z.B. zwei Sekten des Christentums, aber der Islam ist keine Sekte des Christentums)... Und nicht zuletzt, ja sogar als wichtigsten Unterschied: Es gab damals gar keine Sozialsysteme. Wenn damals vor “Almosenempfängern” gewarnt wurde, war nicht Almosenempfang vom Staat gemeint, d.h. staatlich erzwungene Belastung der Einheimischen, sondern Bettelei in den Straßen. Die damaligen Bürger der USA konnten finanzielle Belastungen durch die Einwanderer vermeiden. In Dänemark wurde festgestellt, daß Asylberechtigte 10 Jahre nach der Asylgewährung zu 75% ihren Lebensunterhalt vom Staat beziehen, d.h. der Allgemeinheit. In der Schweiz wurde festgestellt, daß unter Asylberechtigten 0-5 Jahre nach der Anerkennung, und unter Flüchtlingen 0 - 7 Jahre nach der Anerkennung, 82% ihren Lebensunterhalt durch Sozialhilfe bestreiten. Die heutige Flüchtlingseinwanderung ist also eine Einwanderung in die Sozialsysteme, und das belastet die einheimische Bevölkerung ganz erheblich. Ein weiterer gravierender Unterschied ist, daß damals ja keine Berufsausbildung nötig war, bzw. die fürs Überleben nötige “Ausbildung” generell vorhanden war… man musste wissen, wie man bestimmte Pflanzen anbaute und erntete… ein Stückchen Land ließ sich irgendwo in den riesigen, menschenleeren USA schon finden, und schwupps, war man autark, ohne andere Personen damit zu belästigen, daß sie für den eignen Lebensunterhalt aufkommen sollen. In der heutigen “Wissensgesellschaft” kann man sicher auch ohne Wissen seine Nische finden, ohne gleich von anderen abhängig sein zu müssen, aber diese Möglichkeiten sind doch viel beschränkter als sie es damals in den USA waren. Die Schweizer Statistiken berichten jedenfalls, daß unter Asylberechtigten 0-5 Jahre nach der Anerkennung, und unter Flüchtlingen 0 - 7 Jahre nach der Anerkennung 60,7% keine Berufsausbildung haben, und bei zusätzlichen 21,3% die Berufsausbildung “nicht feststellbar” ist, was auf das gleiche hinausläuft. Mehr als 80% Einwanderer ohne Berufsausbildung wären 1850 in den USA überhaupt kein Problem gewesen, heute sind sie ein großes Problem, das die Einheimischen,, wie eben erwähnt, stark belastet. Frau Ziessler, ihre Versuche, die heutige Einwanderung schönzureden, werden bei kritischen Menschen, die das Selberdenken noch nicht aufgegeben haben, nicht auf fruchtbaren Boden fallen können.

Schmid Olivier / 28.09.2015

Die CH Gemeinde heisst nicht Bürschwil sondern Bärschwil.

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