Rainer Bonhorst / 22.01.2017 / 14:00 / Foto: Julio Fernández / 8 / Seite ausdrucken

Wird Europa jetzt wach?

Bisher hat es geklappt: Europäer und ganz besonders Deutsche haben sich, wenn es brenzlig wurde, gerne hinter dem großen Bruder Amerika versteckt. Und wenn es das nur wäre: Sie haben auf den großen Bruder, hinter dem sie sich schlau versteckt haben, auch immer fröhlich eingedroschen. Das war eine wunderbar praktische Strategie: Meckern und Schwanzeinziehen. Psychologen nennen sowas frühkindliches oder von mir aus auch spätkindliches Verhalten. Übrigens ist dieses Verhalten nicht die Alleinschuld unserer Politiker sondern vor allem ein Herzensbedürfnis ihrer Wähler.

Und jetzt ist den noch über 500 Millionen und demnächst immer noch 450 Millionen EU-Europäern der Schreck in die Glieder gefahren. Könnte es sein, dass der neue Anführer Amerikas, das mit seinen gut 300 Millionen Menschen eigentlich der kleinere, aber besser trainierte Bruder ist, könnte es sein, dass er es tatsächlich ernst meint? Dass er für den fetten und im Zweifel feigen Meckerer nicht mehr die Kastanien aus dem Feuer holt?

Donald Trumps bombastische und knochenharte Rede zum Amtsbeginn, lässt immer noch vermuten, dass nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. Trumps Gemälde eines von der Welt abgeriegelten, im eigenen Saft satt werdenden Amerikas ist ebenso unwirklich wie Barack Obamas paradiesische Visionen es waren. Aber wie Obama so wird auch Trump einen Teil seiner Versprechungen oder, wenn man so will, seiner Drohungen wahrmachen. Und das allein sollte reichen, um Europa aufzurütteln.

Aufrütteln heißt in diesem Zusammenhang, Europa zu zwingen, endlich erwachsen zu werden. Ob dieses Erwachsenwerden in einer „immer engeren Union“ oder mit einem „Europa der Vaterländer“ Wirklichkeit werden soll, ist fast wurscht. (Allerdings halte ich das „Europa der Vaterländer“ in so einem Riesengebilde für realistischer.)

Kollateral-Nutzen: Trump könnte als Wachrüttler wertvolle Dienste leisten

Wie realistisch? Da bin ich leider nicht sehr optimistisch. Es wird, mit Trump als bösem und widerwilligem Onkel zwar unangenehmer und peinlicher, sich motzend hinter seinem breiten Rücken zu verstecken. Aber ich fürchte, man wird es weiter versuchen und umso wilder verbal auf ihn einprügeln. Es ist ja auch zu bequem, nur die Hälfte seiner Nato-Verpflichtungen zu zahlen und sich dafür kostenlose Kindertagesstätten und allerlei Voodoo auf Krankenschein zu leisten. Und, so ist das halt, sich gleichzeitig über die soziale Kälte Amerikas auszulassen.

Falls das alles so klingt, als sei ich ein Trump-Fan: Ich halte nichts davon, wenn selbstverliebte Laien lebensgefährliche Operationen übernehmen. Aber als Wachrüttler eines im eigenen Saft verkümmernden Europas könnte Donald Trump wertvolle Dienste für den alten Kontinent leisten.

Und falls das alles nach einer unerfreulichen und unguten Konkurrenz zwischen Amerika und Europa klingt: Konkurrenz belebt erstens das Geschäft. Und zweitens gedeiht eine Partnerschaft auf Dauer am besten unter gleichberechtigten Partnern. Ein erwachsenes Europas ist auch für Amerika ein gutes Europa. Eine Brücke, auch eine atlantische, trägt dann am besten, wenn die Pfeiler diesseits und jenseits des Atlantik wenigstens ungefähr gleich stabil sind. 

Foto: Julio Fernández ataulfocamposantos GFDL via Wikimedia

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Marzellus Hampp / 23.01.2017

Europa ist beleidigt. Zumindest viele seiner politisch so korrekten Repräsentanten. Und sie sparen nicht an Warnungen an den neuen Herrn Präsidenten. Die Inhalte müssten wir allerdings erst bei unserem twitternden Justizminister erfragen. Larmoyanz und Selbstbewusstsein schließen sich aus und es würde unserem alten Kontinent gut zu Gesicht stehen, wenn er mehr Verantwortung übernehmen würde. Wir sind stark genug, die erwähnten Brückenpfeiler zu gründen und aus unserer mimosenhaft hingenommenen Lethargie auszubrechen. Wenn Amerika einen Aufbruch wagt, sollten wir Abendländer mit unserer moralischen und wirtschaftlichen Kompetenz nicht hintanstehen. Dem Mutigen gehört das Glück - leider fehlt es unserer saturierten Elite an dieser Erkenntnis. Kairos, der Gott der günstigen Gelegenheit, klopft nur einmal an unsere Tür.

Ernst Eichengrün / 22.01.2017

Im Prinzip ist alles richtig. Nur: An einem erwachsenen, gemeinsam handelnden Europa scheint Trump ja wirklich kein Interesse zu haben. Siehe Eintreten für den Brexit samt Empfang für Farage. Er folgt da wohl Rumsfeld in dessen Einteilung Unterscheidung zwischen “old and new Europe”. Mit seiner Einschränkung des Freihandels und dem Abschluss individueller Handelsverträge kann er diesem Ziel näherkommen. Für uns natürlich kein Grund zur Untätigkeit, sondern Aufforderung zu einem engen Zusammenrücken Europas - auf den wirklich wichtigen Gebieten: “Europe first” nach innen und nach außen.

stefan lanz / 22.01.2017

Hi hi. Wachrütteln, vll sogar noch sich selber, würde Selbstreflektion bedingen. Bitte spontan einen Namen für einen Politiker in Deutschland/Europa, der dazu noch fähig ist! Ja, ich weiss, zuviel verlangt…  

Stefan Heinen / 22.01.2017

Sehr guter Artikel *daumenhoch* Die meisten Berichte in den Medien laufen aber eher darauf hinaus, den “großen Beschützer” zu diffamieren, weil er uns evtl. nicht mehr in dem Umfang beschützen will, wie wir das gewohnt sind. ( Ähnlich wie ein 28-jähriger, der von Beruf Sohn ist, noch bei Mama wohnt, und sich über eine Taschengeld-Kürzung beschwert.) Aber da wir unsere Bundeswehr kaputt sparen und familiengerechte Dienstzeiten das Hauptproblem sind, evtl. sollte man auch noch über Kindersitze im Leopard 2 nachdenken, wundert mich diese Diskussion überhaupt nicht. Ich habe heute wieder gelesen, dass ein “Laie im weißen Haus” keine Politik machen kann. Aber Hauptsache “Bomben-Ursel” hat die Bundeswehr im Griff.

Dr. Ralph Buitoni / 22.01.2017

Wieso, Herr Bonhorst, ist Herr Trump ein “Laie” - verglichen z.B. mit dem Studienversager Obama (von dem niemand jemals Dokumente und Unterlagen zu seiner Studienzeit gesehen hat), und der seine “Karriere” auf einem affirmative action Quotenposten als “Sozialarbeiter” begann, verglichen mit einer Hillary Clinton, die ihr Examen zum State Attorney vermasselt hat, mit all den Laiendarstellern in Europa und vor allem in Deutschland, die sich fast überwiegend aus Schulversagern, Studienabbrechern, gefälschten Doktoren und niemals gearbeiteten Personal zusammensetzen, die zudem eine überdurchschnittliche Affinität zu hartem Alkohol- und Drogenmissbrauch aufweisen…?

Volker Grunewald / 22.01.2017

Bravo, endlich ein realistischer und nachvollziehbarer Beitrag zu dem Thema in der Achse. Die Weltbevölkerung wächst, Flucht und Vertreibung wächst. Europa muss und wird sich dem stellen müssen. Jede Krise hat auch seine Chance. Nationalismus und Krieg haben in Europa zu den größten Katastrophen geführt. Das darf nie wieder passieren. Amerika wird sich verändern, ob positiv wird sich zeigen und welche Rolle es in Zukunft übernimmt. Europa first muss das Motto der Vaterländer sein, dann wird es gelingen.  Egal was in den USA passiert.

Thomas Nuszkowski / 22.01.2017

Naja, das ist etwas zu einfach gestrickt. Die Amerikaner wollten schon auch keine ernsthafte Konkurrenz haben. Es ist wie bei allen Anführern, die können keine anderen Anführer neben sich ertragen. Die beklagen zwar hin und wieder die fehlende Selbständigkeit ihrer “Schäfchen”. Im nächsten Moment weisen sie diese Schafe aber wieder zurecht, sobald die ein Eigenleben entwickeln. Das wird sich mit Donald Trump hoffentlich ändern. Er bietet uns eine echte Chance, uns zu verselbständigen und somit wirklich ein souveräner Staat zu werden. Als erste Amtshandlung sollten wir Merkel und ihre Baggage davonjagen. Das könnten wir dann als Lockerungsübung in Sachen Selbständigkeit betrachten. Mit der am Ruder wird das sonst garantiert nichts.

Helmut Driesel / 22.01.2017

Das Erwachsenwerden und Verantwortung zeigen soll wohl darin bestehen, aus eigenem Entschluss und ohne Ermahnung eines Fürsorgers bestimmte Initiativen zu ergreifen oder Aktivitäten zu unterlassen. Das setzt aber voraus, dass wahrscheinlich zutreffende Hypothesen über die möglichen Verläufe der Gegenwart und nahen Zukunft existieren. Ist das nicht der Fall, bleibt das gesamte Kalkül postfaktisch. Man wird also erst später wissen, wer richtig entschieden haben wird und wer also im positiven Sinn erwachsen genug war. Der größte Teil aller menschlichen Entscheidungen seit dem Beginn der Steinzeit war postfaktisch. Den wenigen, die man später aufgrund ihrer zutreffenden Vorhersagen und Ratschläge als Propheten bezeichnete, wurde in der Regel zu Lebzeiten nicht geglaubt. Dem letzten “Wachrüttler” in der deutschen Geschichte kann man dagegen weder prophetische noch erwachsene Züge zubilligen. Der war ebenso postfaktisch orientiert und die ihm huldigende Öffentlichkeit hatte das zu keinem Zeitpunkt als Schwäche erkannt. Auch die Kirchen als die Spezialisten für das Postfaktische schlechthin vertrauten darauf, dass der große Weltenlenker es immer zum Besseren hin bewegt. Ganz ähnlich sehe ich das in dem neuen amerikanischen Präsidenten. Er hat zwar ein paar unerwartet kluge Sätze gesagt, wobei man ja nicht weiß, wer sie ihm aufgeschrieben hat. Aber im Großen und Ganzen scheint er mit geradezu kindlichem Optimismus in Illusionen zu schwelgen. In Erinnerung daran, wie man sich in liberalen Kreisen vor wenigen Jahren noch über die tee-party echoffiert hat, sollten alle seine Wut in dem Moment fürchten, wo Trump merkt, dass er auch nur ein Rad im Getriebe ist, das nicht machen kann, was es will.

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