Mathias Döpfner, Gastautor / 11.01.2013 / 21:13 / 0 / Seite ausdrucken

Wir Zweckpessimisten

Mathias Doepfner

Herzlich willkommen zum Empfang der Berliner Morgenpost. Ich wünsche Ihnen ein gutes neues Jahr, ein gutes Jahr 2013.

Liebe Friede,
lieber Giuseppe,
verehrte Damen und Herren Minister und Senatoren, Exzellenzen,
liebe Leidensgenossen,

viele von Ihnen sind sicherlich aufgebrochen zu unserem Neujahrsempfang, um in heiterer Stimmung und vom Champagner beschwingt in der gemeinsamen Überzeugung zu schwelgen, dass das Jahr 2013 vor allem Gutes bringe.

Meine Damen und Herren: ich muss Sie herb enttäuschen. Die 13 ist eine Unglückzahl. Und für das Jahr 2013 ist nur das Schlimmste zu erwarten.

Die Zahl 13 ist nun wirklich für Menschen aller Bildungsschichten ein Alptraum. Zwei Blondinen unterhalten sich. Sagt die eine: „Du, Weihnachten fällt diesmal auf einen Freitag.“ Sagt die andere: „Hoffentlich nicht auf den 13.“

(Es haben nur recht wenige gelacht hier im Raum. Das ist nicht weiter verwunderlich. Denn dieser Blondinen-Witz ist für alle nicht Blondinen eine intellektuelle Überforderung)

Wissen Sie, was Triskaidekaphobie ist? Nein? Das sollten Sie aber wissen! Triskaidekaphobie. Ein Triskaidekaphobiker ist jemand, der in der Zahl 13 einen Frühindikator für Verderben, Verdammnis, Unglück und Untergang sieht. Jeder vernünftige Mensch ist Triskaidekaphobiker. Ich bin es sicher, und Sie sollten es auch sein.

Auch wenn dem Komponisten Arnold Schönberg dabei ein schreckliches Schicksal widerfahren ist. Er war ein begnadeter Triskaidekaphobiker. Schönbergs Furcht vor der Zahl 13 saß tief. Sie hatte ihn fest im Griff. Der Aron in seiner berühmtesten Oper „Moses und Aron“ schreibt sich nur deswegen nicht wie üblich mit einem doppelten A, weil der Titel sonst 13 statt 12 Buchstaben enthalten hätte.

Und jetzt raten Sie bitte, wann dieser wunderbare, hoch paranoide Mensch, dieser geniale Komponist, der am 13. September des Jahres 1874 geboren wurde und sein Leben lang von der Angst zerfressen wurde, an einem Freitag den 13. zu sterben, sein beklagenswertes Ende gefunden hat? Am Freitag, den 13. Juli 1951.

Dieses Beispiel zeigt Ihnen, dass die alte Weisheit aller Pessimisten zutrifft: Die schiere Tatsache, dass man unter einer Paranoia leidet, bedeutet noch lange nicht, dass man nicht verfolgt wird.

In der Geschäftswelt dagegen gilt seit langem die Regel: Only the paranoids will survive. Und an diese Hoffnung, an diese für Zweckpessimisten tröstliche Perspektive, klammere ich mich seit Jahren mit Inbrunst. Wir bei Axel Springer sind ganz eingefleischte Zweckpessimisten. Wir gehen immer davon aus, dass alles ganz schlimm ausgeht. Das hat viel Positives. Erstens freuen wir uns umso mehr, wenn es mal gut geht. Und zweitens geht es auf diese Weise viel öfter gut. Denn als Zweckpessimist ist man ja viel vorsichtiger und besser auf alle Eventualitäten vorbereitet als andere Leute. Der Zweckpessimist ist nur deshalb so pessimistisch, damit die Optimisten Recht bekommen.

Ich kann Ihnen diese Geisteshaltung nur zur Nachahmung empfehlen. Ohne Zweckpessimismus hätten wir bei Springer nicht so früh ins Internet investiert. Ohne Zweckpessimismus würden heute keine 36 Prozent unseres Umsatzes und Gewinns aus dem Digitalgeschäft stammen. Ohne Zweckpessimismus würden wir nicht auf sieben Rekordergebnisjahre zurückblicken.

Glauben Sie mir, auch Sie können mit dieser Einstellung nur gewinnen. Als Zweckpessimist freuen Sie sich zum Beispiel unbändig, falls Ihr Flugzeug irgendwann in vielen Jahren wirklich einmal auf dem BER in Schönefeld landet.

Nähern wir uns dem neuen Jahr also mit maximalem Zweckpessimismus und wagen einen Blick in die Zukunft: Was erwartet uns 2013?

Wir alle wissen: Vorhersagen sind kompliziert bis unmöglich, „vor allem wenn sie die Zukunft betreffen“ – wie Winston Churchill wusste. Dieses Jahr liegen die Dinge anders, meine Damen und Herren, denn ich kann Ihnen klar vorhersagen, dass die Aussichten schwärzer nicht sein könnten:

„Das Zeitungssterben wird rasant weitergehen“, prophezeit der australische Zukunftsforscher Ross Dawson. Das Ende der letzten gedruckten Zeitung in den USA prognostiziert er präzise für 2017. „Paid Content funktioniert nicht“, sagt der amerikanische Online-Guru Jeff Jarvis. „Das Internet macht dick und dumm“, sagt meine Mutter. Und überhaupt: Alles wird schief gehen.

Wenn wir diese Haltung einmal eingenommen haben, fällt es uns um so leichter, besser zu sein als unsere eigene Prognose. „Ich denke, es gibt weltweit einen Markt für vielleicht fünf Computer“, hat Thomas Watson, damals Vorsitzender von IBM, im Jahre 1943 gemutmaßt. Was aber hat er getan? Den ersten und lange größten Computerkonzern der Welt aufgebaut. Heute werden pro Jahr weltweit ca. 410 Mio. Computer verkauft, das sind 13 Computer pro Sekunde. Watson, behaupte ich, war angetrieben von seinem Wunsch, den eigenen Pessimismus zu übertreffen.

Kleine Propheten verdrehen die Wirklichkeit, um ihre Prophezeiungen wahr erscheinen zu lassen. Große Propheten hingegen verändern die Wirklichkeit, um ihre eigenen Prophezeiungen Lügen zu strafen.

Ein großer Prophet in diesem Sinne war auch Gottlieb Daimler. Er sagte 1901 über die Zukunft der Automobilbranche: „Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen wird eine Million nicht überschreiten – allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren.“

Nicht anders als Darryl Zanuck, Chef der Filmgesellschaft 20th Century Fox, der 1946 vorhersagte: „Der Fernseher wird sich auf dem Markt nicht durchsetzen. Die Menschen werden sehr bald müde sein, jeden Abend auf eine Sperrholzkiste zu starren.“

Auch in unserer eigenen Branche sorgen die düsteren Aussichten für eine glänzende Perspektive.

Zweckpessimisten sind sicher: „Die gedruckte Zeitung geht unter.“ Aber Zweckpessimisten werden sehen: Die Zeitung überlebt viel länger, als wir denken. Zwar ist mit Zeitungen auf Papier kaum noch Wachstum zu erzielen, aber Geld verdienen wird man mit ihnen noch viele Jahre. Die Goldenen Zeiten des Print-Geschäftes mögen vorbei sein. Aber die silbernen können auch noch sehr schön sein.

Zweckpessimisten sind sicher: „Die Leute zahlen nicht für Journalismus im Netz.“ Aber Zweckpessimisten werden sehen: Die Menschen zahlen, wenn das Bezahlen einfach genug ist und die Geschichten interessant und verlässlich sind. Je mehr Informationen für jedermann jederzeit überall verfügbar sind, desto größer wird die Sehnsucht nach Auswahl, Orientierung und einem Absender, der für die Richtigkeit einer Information auch Verantwortung übernimmt. Und genau das macht guten Journalismus aus, genau das ist das Prinzip Zeitung, genau deshalb glaube ich an die Zukunft der digitalen Zeitung, die ihren Lesern etwas Wert ist.

Zweckpessimisten sind sicher: Der Journalismus im Internet wird immer oberflächlicher und schlechter. Aber Zweckpessimisten werden sehen: Er wird immer besser. Im Netz nämlich zählt nur noch die Qualität einer Geschichte, nicht mehr die Qualität des Papiers, die Qualität der Druckerei oder die Quantität der Kioske, an denen eine Zeitung verkauft wird. Allein der Inhalt macht den Unterschied. Und der profitiert von maximaler Geschwindigkeit und dem kürzest möglichen Weg zum Leser, von unbegrenztem Platz auch noch für die längste aller denkbaren Hintergrundgeschichten, von der Möglichkeit, alle Mediengattungen, Ton, Bewegtbild sowie geschriebene Geschichten zu kombinieren und schließlich von der Interaktivität, also der Möglichkeit auch die Intelligenz und das Wissen der Leser in das journalistische Angebot einzubeziehen. Das sind gute Nachrichten für gute Autoren und gute Reporter. Im Jahr 2013 beginnt die wirkliche Emanzipation der Zeitung vom Trägermedium Papier. Das Digitalzeitalter hat alle Chancen zum Goldenen Zeitalter des Journalismus zu werden.

Wir Zweckpessimisten müssen also nur recht beharrlich an das Gegenteil glauben, dann wird alles genauso wie eben beschrieben kommen.

Dieses zweckpessimistische Axiom galt mit größter Verlässlichkeit schon im neunzehnten Jahrhundert. Vor allem Kulturpessimisten feierten hier eine wahres apokalyptisches Freudenfest. Ein Beispiel: Die Oper sei von Wolfgang Amadeus Mozart zur Perfektion geführt worden, danach könne nichts mehr kommen, die Oper sei tot, hieß es nach dem Ableben des Genies am Ende des 18. Jahrhunderts. 1813 dann wurden Richard Wagner, der größte Erneuerer des deutschen Musiktheaters, und Giuseppe Verdi, der größte Vollender der italienischen Belcanto-Oper, geboren.

Noch ärger kam es im darauffolgenden Jahrhundert: Die Angst vor dem Unglücksjahr 1913 versetzte die Zeitgenossen in schönste Paranoia. Gabriele d’Annunzio schenkt einem Freund sein „Martyrium des Heiligen Sebastian“, ein geradezu hochdepressives Werk, das er in seiner Widmung vorsorglich mit „1912 plus 1“ datiert.

Was im Jahr 1913 dann tatsächlich geschah, das erzählt Florian IIlies in seinem großartigen Buch „1913“. Er lässt dort im Stil einer Reality-Soap die Protagonisten dieses Ausnahmejahres auftreten. Und man spürt: Es war vielleicht das beste Jahr des Jahrhunderts.

Doch als Zweckpessimist muss ich mich bremsen: Ja, das Jahr 1913 war mit Duchamps erstem Ready-made und dem Schwarzen Quadrat von Malewitsch der wirkliche Anfang der Moderne (und eben nicht 1907 Picassos „Demoiselles d’Avignon“), aber es war doch auch Vorbote einer Ära der Weltkriege, des Fanatismus und des Völkermords. 1913 – das janusköpfige Wendejahr. 2013 kann das ebenfalls sein. Alles ist möglich: Niedergang und Aufbruch.

Hoffen wir, dass es so sein wird wie die erste Sekunde des Jahres 1913, die Florian IIlies so beschreibt:

„Ein Schuss hallt durch die dunkle Nacht. Man hört ein kurzes Klicken, die Finger am Abzug spannen sich an, dann ein zweiter, dumpfer Schuss. Die alarmierte Polizei eilt herbei und nimmt den Schützen sofort fest. Er heißt Louis Armstrong. Mit einem gestohlenen Revolver hatte der zwölf jährige in New Orleans das neue Jahr begrüßen wollen. Die Polizei steckt ihn in eine Zelle und schickt ihn schon am frühen Morgen des 1. Januar in eine Besserungsanstalt. Er führt sich dort so wild auf, dass der Leiter der Anstalt sich nicht anders zu helfen weiß, als ihm spontan eine Trompete in die Hand zu drücken. Louis Armstrong aber wird urplötzlich stumm, nimmt das Instrument fast zärtlich entgegen, und seine Finger, die noch in der Nacht zuvor nervös mit dem Abzug des Gewehrs gespielt hatten, spüren erneut das kalte Metall, doch statt eines Schusses entlockt er der Trompete noch im Zimmer des Direktors erste warme, wilde Töne.“

Für das Jahr 2013 wünsche ich Ihnen, meine Damen und Herren, Frieden, Freiheit und ein Leben wie guten Jazz.

Vorabdruck aus der WELT vom 12.1.2013 mit freundlicher Genehmigung des Autors

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