Rainer Bonhorst / 10.01.2013 / 16:09 / 0 / Seite ausdrucken

Wir sind alle kleine Sünderlein

Es ist nun mal keine reine Freude, einem Volk anzugehören, das die Ermordung von sechs Millionen Juden zugelassen und in nicht geringer Zahl aktiv betrieben hat. Das trübt bis heute die Stimmung, auch wenn man sonst ein ganz fröhlicher Mensch ist. Ein bisschen hilft, dass wir Deutschen uns selbstkritischer mit den Verbrechen unserer Vorfahren beschäftigen als andere, die auch keine Chorknaben waren. Aber der einzigartige Wahnsinn von damals lässt sich damit nicht aus der Welt schaffen. Es ist kein Wunder, dass die Psyche einen Ausweg sucht. Der Freudsche Ausweg der bloßen Verdrängung reicht nicht. Man wird ja immer wieder an den Alptraum erinnert. Nein, es bedarf einer subtileren Methode, um sich eine ungetrübte Lebensfreude zu verschaffen.

Nicht Verdrängung sondern Inklusion ist der Weg. Es gilt, das Opfervolk in die Kameradschaft des Verbrechertums einzubeziehen, oder genauer: hineinzuziehen. Das ist gar nicht so schwer. Es geht etwa so: „Wir waren damals die Bösen, ihr seid es heute. Klar, unsere Leute waren die Schlimmeren, aber ihr seid inzwischen auch ganz schön miese Burschen.“ Gelingt das, kann man mit Willy Millowitsch singen: „Wir sind alle kleine Sünderlein. ‘s war immer so , ‘s war immer so …“

Wenn man es erst einmal zu dieser gesanglichen Gemeinsamkeit gebracht hat, fällt dem deutschen Part ein Stein vom Herzen. In einer Welt voller Sünderlein ist man endlich unter seinesgleichen. Die sechs Millionen schrumpfen auf ein erträgliches Maß zusammen.

Das ist natürlich ein langer Weg. Um ans Ziel zu kommen, muss man die Sünden des Opfervolkes suchen und sammeln und notfalls auch kreativ erschaffen. Dabei darf man nicht zu genau nachschauen, ob die gesammelte Ware echt ist. Oder, um es journalistisch zu sagen: Man darf die Geschichte nicht kaputt recherchieren.

Das Ganze wirkt ein bisschen obsessiv. Doch wie soll man ohne Obsession ans Ziel kommen? Es geht schließlich darum, Israel und die dort lebenden Juden in die Gemeinsamkeit des Unmenschen einzureihen. Erst wenn man das geschafft hat, erst wenn man sich also auf Augenhöhe mit dem Opfervolk befindet, kann man den Opfern die an ihnen begangenen Verbrechen verzeihen.

Auf Augenhöhe? Wenn man es klug anstellt, kann man noch ein bisschen mehr erreichen, nämlich eine höhere moralische Ebene. Das ist der Idealfall. So entspannend es ist, wenn man singen kann: Wir sind alle kleine Sünderlein. Die wahre Freude entsteht erst dann, wenn man sagen kann: Wir sind nicht nur genau so gut wie ihr, wir sind sogar besser.

Kann es für einen Deutschen ein herrlicheres Gefühl geben als das, sich den Juden in Israel moralisch überlegen zu fühlen? Das ist der Super-Orgasmus in der deutsch-israelischen Beziehung. Unbezahlbar. Er ist jede Obsession, jede Tatsachenverdrehung und jede Blindheit wert. Es ist das ultimative Wow-Erlebnis.

Ist einer, der sich so verhält, ein Antisemit? Weiß ich nicht. Was ist überhaupt ein Antisemit? Die Amerikaner sagen: Wenn etwas wie eine Ente watschelt und wie eine Ente quakt, dann ist es wahrscheinlich eine Ente. Das leuchtet ein. Es ist aber auch schon vorgekommen, dass Ente ein Schwan war. Im Märchen zwar, aber immerhin. 

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