Akif Pirincci / 14.04.2013 / 09:42 / 0 / Seite ausdrucken

Wir Mörder

Eine meiner Lieblingssendungen des Öffentlich Rechtlichen Rundfunks war schon seit meinen Jugendtagen stets ASPEKTE im ZDF gewesen. Es ist eine Kultursendung für den saturierten Mittelstandsbürger, dem kunstsinnigen Akademiker und für am öffentlichen Diskurs interessierten Jedermann. Schaute ich mir die Sendung jedoch in früheren Tagen aus reinem Kunst- und Kulturinteresse an, so faszinierte mich nach und nach etwas viel Cleveres daran, nämlich ihre Machart. Wie kein anderes Magazin beherrscht ASPEKTE die Magie der Realitätsverkehrung, die des Gesunden-Menschenverstand-auf-den-Kopf-Stellens und des X-für-ein-U-Vormachens, vor allem jedoch den des öffentlichen Trendsetzens. ASPEKTE macht das ganz unterschwellig, der Zuschauer merkt es gar nicht, es ist wie Zauberei, ja, wie wenn man hypnotisiert wird und so allmählich in ein Phantasiereich hinübergleitet. Ob es sich um einen Schizo handelt, der in einen Kochtopf geschissen und das Produkt eine Woche ziehen lassen hat, um es dann in einem Berliner Museum als Kunst feiern zu lassen, oder um einen Haufen von exotischen Irren, die uns als zukünftiges Familienmodell dienen sollen, ASPEKTE schafft es, die vom Feuilleton abgeguckten Kulturperlen in hübsche Bilder zu verpacken und dann dem Zuschauer zu sagen, wo es avantgarde- und lifestylemäßig langgeht. Ich vermag nicht zu urteilen, ob die Redaktion solcherlei abgedrehte Parallelwelten dem Publikum bewußt als Lebensalternative verkaufen will oder schon so lange mit diesen komplett wahnsinnigen Künstlerdödeln verbandelt ist, daß sie schon gar nicht mehr mitbekommt, wie normale Menschen ticken.

Am 5. April war es wieder soweit. Nach einem putzigen Filmchen über Tiere bringt ASPEKTE einen Bericht über die Verfilmung des Buches “Schuld” vom berühmten Strafverteidiger und inzwischen Bestsellerautor Ferdinand von Schirach. Quasi als Einstiegsdroge zur Relativierung von, tja, Schuld. Bestialische Mordfälle werden da aneinandergereiht, und ständig sieht man zwischendurch einen sehr nachdenklichen Strafverteidiger, der vermutlich seit erst gestern seine Kanzlei eröffnet hat und sich scheinheilig das fragt, was auf öffentlichen Tatorten neben Blumen und brennenden Kerzen auf Pappkartons geschrieben steht: Warum? Der erfahrene Ferdinand gibt im Interview süffisant lächelnd die Antwort: Jeder kann zum Mörder werden, absolut jeder. Das Ganze ist also ein demokratisches Ding. Da wundert man sich, weshalb die Leute überhaupt noch Krimis lesen, wenn eh jeder ein potenzieller Mörder ist. Ist doch schließlich stinkelangweilig, immer wieder etwas über sich selbst zu erfahren. Ferdinand fährt fort und sagt, diese Mörder wären alles ganz normale Menschen wie du und ich gewesen. Bloß hätten wir, die wir zufälligerweise noch keinen Mord begangen haben, halt Glück gehabt, vermutlich weil wir gerade von der Telekom einen Anruf bezüglich eines sensationellen Tarifs bekommen haben und uns darob das Küchenmesser aus der Hand gefallen ist, mit dem wir unsere Frau oder unseren Mann abstechen wollten.

Natürlich lügt Schirach, denn ich fresse eine Besenfabrik, wenn er sich als Spezialist für solche hammerharten Fälle nicht mit der einschlägigen Literatur beschäftigt hätte. Da steht nämlich etwas anderes drin. Menschen mit niedriger bis gar keiner Hemmschwelle zum Töten sind schon als Embryo potenzielle Mörder. Fast neunzig Prozent der Mörder sind bereits seit ihrer Pubertät, wenn nicht sogar schon als Kind durch Gewaltakte auffällig. Kriminalität, schon gar die Überschreitung der letzten menschlichen Grenze, nämlich einem anderen Menschen das Leben zu nehmen, rührt von einer genetischen Disposition her. Dabei spielt die Ausschüttung von Dopamin eine wesentliche Rolle. Alles Psychologisierei und all die Rechtfertigungsarien von wegen Scheißkindheit und so sind nichts weiter als blödes Geschwätz von staatlich bezahlten Blödschwätzern, die Gewalt und Mord in einer zivilen Gesellschaft zu einem “normalen” menschlichen Verhalten unter vielen uminterpretieren wollen. Natürlich hatte auch ich im Laufe meines Lebens Mordgedanken, weil ich auf jemandem ungeheuer sauer war. Anderseits träumte ich auch davon, daß um zwei Uhr nachts Angelina Jolie bei mir klingelt und sagt: Also der Brad ist vielleicht ein Arschloch! Kann ich heute bei dir pennen?

Nachdem also der erste Beitrag die Ausnahme zu Regel umgelogen hat, beschäftigt sich der gleich darauffolgende Beitrag damit, wohin so die ganz normalen Mörder und andere Verbrecher hinwandern. Empörenderweise in den Knast! Einen solchen hat man gerade für 118 Millionen Euro in Berlin gebaut. Die Moderatorin macht mit einem spöttischen Lächeln um die Mundwinkel gleich darauf aufmerksam, daß die “Boulevardblätter” den Bau für zu luxuriös geraten fänden. Ja, ja, die niveaulosen Boulevardblätter, reden dem doofen Volk immer nach dem Munde. Hotel Adlon ist ja schließlich auch luxuriös, und keine Sau regt sich darüber auf. Was ist denn schon dabei, wenn ein Gefängnis es auch ist? Dann sehen wir endlich die Anlage, die sich in ihrer postmodernen Architektur ein bißchen ausnimmt wie die nächste Firmenzentrale von Apple. Jedenfalls habe ich in zehnmal schlechteren Hotels übernachtet. Das Wort lichtdurchflutet fällt oft und in einem freudigen Ton dabei, geradeso, als ginge es um ein Therapiezentrum für Depressive. Besonders toll sei es, jauchzt der Off-Kommentator, daß es hier keine Gefängnismauern gebe, sondern viellöchrige Zäune, durch die der Knacki den Blick frei nach draußen schweifen lassen könne. Das will ich aber auch meinen, wo käme man denn hin, wenn sich der Knacki wie im Gefängnis eingesperrt fühlte? Später wird in einem Nebensatz erwähnt, daß der Architekt nicht einmal Sicherheitsglas einbauen lassen wollte. Die Zellen selbst sind zehn anstatt wie üblich fünf Quadratmeter groß und selbstverständlich mit allem Schnickschnack wie Internet und Kabelfernsehen ausgestattet. In meinen Zwanzigern wohnte ich jahrelang in einem Acht-Quadratmeter-Zimmer. Alles ist vollkommen durchgestylt, mit edlen Materialien bestückt und ästhetisch auf dem Niveau der Zeitschrift “Atrium”. Es gibt sogar Bereiche, in denen die Knackis ganz ohne die Beobachtung der Wärter unter sich sein dürfen.

Dann tritt die Gefängnisleiterin auf. Man kennt ja diese Gefängnisleiter aus Knastausbruch-Filmen. Samt und sonders sind es Sadisten und Faschisten im Anzug und mit Krawatte, die ihren kleinbürgerlichen Haß auf Andersartige in ihrem Beruf ausleben. Doch, oh Wunder, was vernimmt man von dieser Knastchefin? Man darf ja nicht vergessen, sagt sie, und sie wirkt dabei eher wie eine x-beliebige Sozialpädagogin, daß man im Gefängnis “entmündigt” würde. Stimmt, das hatte ich tatsächlich vergessen! Der Knastbruder kann ja nicht sagen: Ich gehe heute Abend zum Tabledance, kann spät werden, wartet nicht auf mich. Oder: Ich habe für Juli drei Wochen auf Malle gebucht, also wundert euch nicht, wenn in der Zeit keiner in meiner Zelle ist. Das Beschissene an so einem Knastaufenthalt ist, daß man nicht wie ein mündiger Bürger behandelt wird, sondern von Hinz und Kunz gesagt bekommt, was man zu tun und wo man sich zu befinden hat. Vielleicht sollte sich mal Amnesty International um diesen Mißstand kümmern. Und noch einen Hammersatz schießt die Leiterin ab: “Es geht ja nicht um gut und böse.” Aha. Worum geht es dann? Um dick und dünn? Oder um gelb und grün? Vermutlich geht es auch nicht um Leben oder Tod, wenn jemand einen Menschen umgebracht hat, sondern um die aktuelle Sommermode. Es ist wirklich ein Skandal, daß Verbrechen immer noch mit solchen altmodischen und diskriminieren Begriffen wie gut und böse in Zusammenhang gebracht werden, wo doch sogar der Schirach vorhin gemeint hat, daß absolut jeder hast du nicht gesehen seine Familie massakrieren kann. Vielleicht sollte man fürderhin anstatt von einem Verbrechen von einem Versehen oder Unfall sprechen.

Und das tut der Gefängnisarchitekt auch prompt. Er sieht nach einem Feingeist aus und ist wie Schirach der Auffassung, daß jeder von uns ins Gefängnis kommen könne. Einfach so. Zum Beispiel wegen eines Autounfalls, sagt er. Er führt das nicht weiter aus, aber vermutlich meint er Fahrerflucht. Ich meine mich erinnern zu können, daß vor etwa drei Monaten ein Typ, der ein Kind überfahren/getötet und dann Fahrerflucht begangen hat, lediglich ein paar Tausender löhnen mußte und zwei Jahre Bewährung erhielt. Die einzigen, die hierzulande noch ins Gefängnis kommen, sind Steuerhinterzieher und nicht mehr ignorierbare Gemeingefährliche. Der Herr Architekt lügt und will Verständnis für sein luxuriöses Machwerk anheimsen, indem er dem Zuschauer Angst macht und so tut, als basiere der Anlaß, weshalb Leute ins Gefängnis wandern, auf das Ene-mene-muh-und-drin-bist-du-Prinzip. Reiner Zufall, nur Pech gehabt.

Dann gibt es einen Zwischenschnitt auf herkömmliche Gefängnisse, die eigentlich auch nicht gerade wie die Hölle aussehen. Doch die Off-Stimme beharrt, man wolle die Gefangenen in diesen unmöglichen Orten “brechen”. Da tauchen im Kopf des Zuschauers sofort wieder Bilder von berühmten Gefängnisfilmen auf, in denen die Knastis gedemütigt und ausgepeitscht werden oder sich zu Tode arbeiten müssen, und verdrängen die heutige Realität in deutschen Knästen, wo es sogar “Liebesräume” gibt, in denen der Gefangene einmal im Monat seine Freundin, Frau oder einfach eine Nutte ficken darf. Eine Kleinigkeit klingt sowieso äußerst paradox an dieser Brechen-Theorie. Dieselben Leute, die sie vertreten, verkünden auch gleichzeitig mit Inbrunst, daß Gefängnisse die Kriminellen in Wahrheit noch mehr kriminalisieren und verrohen lassen würden. Was stimmt denn nun? Werden sie durch den Gefängnisaufenthalt “gebrochen”, so daß sie zu Weicheiern mutieren und nach ihrer Entlassung wie hirngewaschene Zombies einer normalen Tätigkeit nachgehen müssen, oder macht sie das Gefängnis erst recht zu Ultra-Schwerverbrechern erhobenen Hauptes? Beides zusammen geht ja wohl nicht.

Am Ende des Beitrags zeigt die Kamera die Sportanlagen des Knackipalastes. Es ist ein atemberaubendes Bild, unglaublich und unfaßbar! Ich weiß nicht, ob Olympiateilnehmer über solche Trainingsstätten verfügen, eher wohl nicht, doch ein deutscher Schuldirektor dürfte nicht einmal in seinen feuchtesten Träumen von etwas Ähnlichem für seine Schule träumen. Ach übrigens, der Bericht tut so, als hätte sich die Sache mit den 118 Mio € erledigt. Er unterschlägt die jährlichen Kosten für die Heerscharen von Therapeuten, Psychologen, Wachpersonal, Imamen und Priestern, Sozialarbeitern, die doppelt geführte Kantine für Christen und Muslime und und und. Tja, der Palast ist erst der Anfang. Das Schlußbild ist aus der Vogelperspektive aufgenommen. Das Ganze hätte etwas von einer Rehaklinik, meint die Off-Stimme. Nein, es hat was von verkommener Moral, geistiger Perversion, von abgründiger Umkehrung der Werte und etwas von der Kapitulation vor dem Bösen. Und ASPEKTE wäre natürlich nicht ASPEKTE, wenn sie nicht noch einen draufsetzen würde, nachdem der Bericht geendet hat. Die Moderatorentante versichert ohne rot zu werden, daß ASPEKTE in drei Monaten überprüfen werde, ob es den Insassen darin auch wirklich gut geht.

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