Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der größte Heuchler hier im Land? Sexismus und keine Ende. Talkshows in Serie, #aufschrei im Netz, Empörung im Ausverkauf.
Anlass: Der schlimmste Macho-Spruch des Jahres! “Sie können ein Dirndl auch ausfüllen.” - soll FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle (67) zu der Stern-Journalistin Laura Himmelreich (29) abends an der Bar gesagt und auf ihre Brüste geblickt haben.
Ach Gottchen!
Peter Fox, 2008:
„Alle tanzen, die Damen sind echt entzückend,/
‘n’ ganzes Backblech voller Sahneschnitten./
Die Torten sch-schütteln ihre Schrippen,/
sch-schütteln ihr Gold auf den Rippen,/
sch-schütteln ihr Holz vor den Hütten…“
Schlimm, ganz schlimm!
Rammstein, 2001:
„Rein Raus/
Ich bin der Reiter/
du bist das Ross/
ich hab den Schlüssel/
du hast das Schloß?
Noch schlimmer!
Und selbst Roland Kaiser sang schon 1980: „Manchmal möchte ich schon mit dir…“ (Platz 1 in Charts!)
Bei den Live-Übertragungen aus den Karnevalshochburgen blinken uns täglich bei ARD und ZDF opulente Dekolletés an, bei der Love-Parade wird öffentlich blank gezogen, beim Christopher-Street-Day geht es fleischeslustig zur Sache, Busse fahren die Reklame für das größte Bordell der Hauptstadt mitten durch Berlin, und bei der Berichterstattung über die russische Punk-Band „Pussy Riot“ sparen wir uns augenzwinkernd die Übersetzung des Bandnamens.
“Sie können ein Dirndl auch ausfüllen.” Püh!
Wer will hier eigentlich wem etwas vormachen! Im Abendprogramm baggert der „Bachelor“ vor laufender Kamera, unterbrochen von Werbeblöcken für Elite-Partner, eDarling und Parship. Seitensprung-Portale und Telefon-Sex inserieren erst später. Der Mann, der mit „Youporn“ zum Multimillionär wurde, sitzt gerade wegen Problemen mit der Steuer, die Ossis sind stolz auf ihre FKK-Tradition, und in den Kondom-Automaten der öffentlichen Örtchen gehört die „Travel Pussy“ zum Standardsortiment.
“Sie können ein Dirndl auch ausfüllen.” – Unglaublich!
Worüber reden wir hier eigentlich!? Ein ältlicher FDP-Mann baggert eine junge Journalistin an, will ihr seine „Tanzkarte“ aufdrängen. Geradezu rührend. Um es klar zu sagen: DER DARF DAS! Solange er nicht grapscht, nötigt oder schlimmeres, wird nicht einmal eine Affäre draus. Und selbst beim einvernehmlichen Schäferstündchen, wäre Brüderle in bester Gesellschaft hochrangiger Politiker gewesen, deren Pressekontakt sehr intim wurde (Schröder, Lindner, Fischer, Gauck…)
Dies ist ein freies Land, da ist Baggern erlaubt – weder mit Steinigung belegt noch sonstwie verfolgt. Über Geschmack lässt sich streiten, aber solange wir keine Moral-Diktatur haben, ist „Sie sehen blendend aus, gnä’ Frau!“ nicht verpflichtend. Und wer sich ansieht, was BILD-Girls angeben, wenn sie nach ihrem Lieblings-Anmachspruch gefragt werden, der weiß, dass es auch ganz anders geht. Wenn Herrenwitze strafbar wären, hätten Fips Asmussen und Mario Barth nicht mal Freigang.
Brüderle hat auf altmodische Art versucht, charmant zu sein. Das kommt nicht überall an. Das muss man nicht mögen. Aber zum sexuellen Übergriff stilisieren, muss man es auch nicht. Es gab und gibt kein Macht- oder Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Journalistin und dem Politiker. Im Zweifel kann sie ihn eher vernichten, als er sie. Brüderle hat weder Vergewaltigungen in Indien das Wort geredet, noch der Unterdrückung von Frauen in Arabien oder sonstwo. Der Casus Brüderle ist kein Paradebeispiel für irgendwas – nur für hormongetriebene Männerträume.
Frauen, zumal in diesem Teil der Welt, sind erwachsen, selbstbewusst und werden nicht aus der Bahn geworfen, wenn jemand meint, sie könnten ein Dirndl ausfüllen. Es ist auch nicht bekannt, dass das Münchner Oktoberfest wegen seiner Dirndl-Dichte unter die Sieben Sexismus-Todsünden fiele. Hierzulande kann jeder Mann wegen seiner Wampe angefrotzelt werden. Hierzulande rennt niemand zum Beauftragten, wenn er gefragt wird, ob er schon Golf spiele oder noch Sex habe. Hierzulande knistert es auf mancher Weihnachtsfeier lauter als an Brüderles Bar.
Willkommen in der Neutrum-Nation! Der nächste Kampf sollte dem Sommer schlechthin gelten, wo der straflos zu betrachtende Teil einiger Zeitgenossinnen zwischen Dekolleté und Minirock wieder gefährlich schmal wird und „anzügliche“ Blicke das Gegenteil von dem sind, wonach sie klingen… Schlimm, ganz schlimm!