Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 12.03.2007 / 19:04 / 0 / Seite ausdrucken

Wie Politik gemacht wird

Vergessen wir die öffentliche Aufregung um den Klimawandel für einen Moment und schauen ein wenig hinter die Kulissen des politischen Geschäfts. Dort bleibt von der viel zitierten Sorge um die Zukunft des Planeten nicht mehr viel übrig. Dafür kann man Politiker und Lobbyisten erleben, die sich die gegenwärtige Klimahysterie für ihre eigenen Zwecke zunutze machen.

Da wäre zum Beispiel der jüngste Vorschlag der britischen Konservativen, den Flugverkehr stärker zu besteuern oder gar eine Rationierung von Flugreisen vorzunehmen. Während sich viele Kommentatoren wundern, warum die Tories ausgerechnet die Luftfahrt als Gegenstand ihrer Regulierungspläne gewählt haben, ist der Grund eigentlich sehr leicht zu verstehen. Morgen wird die Regierung nämlich ihr neues Klimaschutzgesetz vorstellen, von dem bereits durchgesickert ist, dass es keine konkreten Maßnahmen bezüglich der Luftfahrtindustrie enthalten wird. Darauf konnten sich nämlich Schatzkanzler Brown und Umweltminister Miliband nicht verständigen. Folglich bot sich für die Konservativen eben dort eine Möglichkeit, die Regierung vorzuführen und sich selbst als die angeblich besseren Umweltpolitiker zu positionieren. Dass die Luftfahrt insgesamt nur 0,1 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verursacht und andere Maßnahmen wesentlich größere Einsparungen erzielen würden, interessierte da nur am Rande. Es war einfach eine zu verlockende Gelegenheit, den Konflikt beim politischen Gegner auszunutzen. Und da man zudem noch darauf hofft, dass es zwischen Brown und Miliband vielleicht noch zu einem offenen Konflikt um die Nachfolge von Premierminister Blair kommen könnte, umso besser. Wie ein konservativer Politiker hinter vorgehaltener Hand bemerkte, dürfe man daher getrost davon ausgehen, dass es sich bei den Tory-Luftfahrtplänen um “politics”, nicht um “policy” handelt. Es ging also um den (partei-)politischen Effekt, nicht um eine (umwelt-)politische Strategie. Punktsieg für die Partei, Ergebnis für die Umwelt: irrelevant.

Andere Politiker haben die Handlungsmaxime “politics, not policy” bereits fest verinnerlicht. Bei einem Arbeitsessen mit einem oppositionellen Energiepolitiker begann dieser seine Ausführungen mit der Feststellung, dass die Debatte um den Klimawandel beendet sei. Das heiße natürlich nicht, fügte er sofort hinzu, dass alle wissenschaftlichen Fragen beantwortete seien, und er selbst sähe noch sehr viele Unsicherheiten um die Auswirkungen des Kohlendioxidausstoßes auf das Klima. Doch darauf käme es auch gar nicht an. Entscheidend sei, dass die Öffentlichkeit glaube, dass die Debatte beendet sei, und darum müsse nun dringend gehandelt werden. Folglich ginge es nun darum, milliardenschwere Subventionsprogramme für regenerative Energien auf den Weg zu bringen - der Wähler verlange schließlich danach. Schade, dass man solche Äußerungen niemals öffentlich zu hören bekommt. Es wäre bestimmt spannend, die Sinnhaftigkeit von Subventionsprogrammen aufgrund eines lediglich gefühlten Konsenses zu diskutieren.

Lobbyisten stehen Politikern allerdings hinsichtlich der Nutzbarmachung der Klimadiskussion in nichts nach. Bei einem anderen Arbeitsessen, zu dem Unternehmen aus dem Bereich der Agrargentechnik eingeladen hatten, saßen Abgeordnete aller Parteien aus Unter- und Oberhaus sowie Medienvertreter beisammen, um über die Zukunft gentechnisch veränderter Lebensmittel zu diskutieren. Einigkeit bestand über zweierlei: Erstens, dass das öffentlich wahrgenommene Risiko (Stichwort: “Frankenstein foods”) keine wissenschaftliche Grundlage hat. Zweitens, dass es nur noch eine Möglichkeit gibt, wie man die Bevölkerung doch noch für die Gentechnik gewinnen kann, nämlich unter Bezugnahme auf den Klimawandel. Wie ein Unterhausabgeordneter ausführte, könne man sich doch ein Beispiel an der Atomlobby nehmen. “Bis vor drei Jahren”, so sagte der Abgeordnete zu den Industrievertretern, “war Atomenergie doch tot, und dann kam der Klimawandel. Wenn Ihr Eure Gentechnik verkaufen wollt, dann müsst Ihr sie nur als einen Beitrag zur Lösung des Klimaproblems darstellen”. Zustimmendes Nicken aller Beteiligten. Auf diese Idee war man anscheinend noch gar nicht gekommen. Eigentlich hatte man auf Seiten der Industrie nämlich überlegt, die Vereinbarkeit von Gentechnik und ökologischer Landwirtschaft zu kommunizieren. Auf die Vorzüge der eigenen Produkte kam es dabei anscheinend gar nicht mehr an, sondern nur darauf, sich praktisch irgendwie im Windschatten der öffentlichen Meinung zu positionieren. Und auch für Politiker, die der Gentechnik positiv gegenüberstehen, ergibt sich durch den Klimawandel gleich ein ganz neues Argument.

Ökonomen haben seit Jahrzehnten darauf hingewiesen, dass man Politik am besten versteht, wenn man den handelnden Personen unterstellt, dass sie vor allem auf die Maximierung ihres Eigennutzes konzentriert sind. Mit der romantischen Demokratievorstellung des lediglich um das Gemeinwohl besorgten Politikers ist dies natürlich nicht zu vereinbaren, weshalb diese als “public choice” bezeichnete Schule der Wirtschaftswissenschaft in der Vergangenheit immer wieder als undemokratisch und ideologisch kritisiert worden ist.

Tatsächlich aber ist der “public choice”-Ansatz weder undemokratisch noch ideologisch, sondern in erster Linie deskriptiv zu verstehen. Jeder, der einmal einen Blick hinter die Kulissen der Politik geworfen hat, wird bestätigen können, dass Politik in der Praxis dem von “public choice”-Ökonomen skizzierten Bild doch sehr nahe kommt. Wer trotzdem noch Zweifel an der “public choice”-Theorie hat, der möge sich die Diskussion um den Klimawandel einmal unter diesem Aspekt ansehen. Wären Politiker nämlich tatsächlich so sehr besorgt um die Lebensbedingungen zukünftiger Generationen, wie sie stets vorgeben, dann würden sie beispielsweise kaum hohe Schuldenberge anhäufen und die Entwicklungschancen ärmerer Länder durch eine protektionistische Handelspolitik gefährden. Der Klimawandel hingegen ermöglicht Politikern hier und heute, ihren Eigennutz zu maximieren, indem sie sich ihren Wählern als Retter der Umwelt präsentieren, neue Steuerquellen erschließen, bestimmte Industrien fördern und - ganz allgemein - Aufmerksamkeit für sich generieren. Mit effektivem Umweltschutz muss dies alles nichts zu tun haben, was denn auch das Vorherrschen von Symbolpolitik und Aktionismus erklärt. “Politics, not policy” lautet die Devise.

Für ökonomisch geschulte Beobachter bietet die gegenwärtige Klimapolitik hervorragendes Anschauungsmaterial. Alles, was man jemals in seinen Lehrbüchern zum Thema “public choice” gelesen hat, findet sich in der gegenwärtigen Diskussion wieder. Nur leider ist Politik ja eigentlich nicht dazu da, um die Theorien von Ökonomen zu bestätigen, sondern um Probleme zu lösen. Doch davon entfernen wir uns zur Zeit immer weiter. Aber so wird Politik gemacht.

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