Rainer Bonhorst / 10.02.2018 / 06:25 / Foto: Kalispera Dell / 23 / Seite ausdrucken

Wie man von Hundert auf Null kommt

Der Fall Schulz ist ein Lehrstück aus der kleinen Politikfibel für Zyniker. Also für Realisten. Ein Lehrstück, das im Zeitraffer zeigt, wie man in der Politik von Hundert auf Null gebracht werden kann. Wie man sich selbst auf diese steile Rutschbahn bringen kann und wie die Freunde beim Absturz liebevoll nachhelfen.

Es begann mit dem Wechsel von Brüssel, einem charmanten Vorort von Würselen, nach Berlin. Als Präsident des Europaparlaments hatte Martin Schulz die ehrenvolle Aufgabe, hauptsächlich „wichtige Reden“ (so die Selbstbeschreibung) zu halten. Ach, was war das schön. Und dann Berlin.

Ein sozialdemokratischer Ameisenhaufen, unter Panik und Wählerschwund leidend, musste halbwegs auf Linie gebracht werden. Durch „wichtige Reden“? Man ahnte nichts Gutes. Aber die Verzweiflung war so groß, dass der Mann mit den Haaren im Gesicht ein Hundertprozent-Ergebnis als Vorschuss bekam, etwas, was sich nicht mal die DDR-Größen gestattet haben.

Wie aber kann man das Kunststück fertig bringen, innerhalb eines knappen Jahres von Hundert auf Null zu kommen? Leicht ist es nicht, aber es geht.

Erste Voraussetzung: noch mehr Wähler verlieren, nächste Voraussetzung: zweimal Wort nicht halten, dritte Voraussetzung: sich mit Hilfe von innerparteilichem Demokratirrsinn bei den Genossen anbiedern, vierte Voraussetzung: mit Andrea Nahles in ein Boot steigen.

Mit seinem „Nein zur GroKo, Ja zur GroKo“ startete Schulz den ersten Schleudergang, mit seiner „Mutter-darf-ich“-Fragerei bei jedem weiteren Schritt reduzierte er sich vom Chef zum Angsthasen. Und mit dem Nichtbeitritt und dann Dochbeitritt zum Kabinett machte er sich endgültig zum offiziellen Wackel-Martin. Kurz und schlecht: Ein falscher Zug folgte dem anderen. Und so bot er der starken Frau an seiner Seite ein unwiderstehliches Gambit zu seinem eigenen Schachmatt.

Erster Zug: Du gibst mir den Parteivorsitz und kriegst dafür den Posten als Außenminister. Zweiter Zug: Künstliche Empörung im Vorstand und an der Basis und dazu die Drohung: Wenn du den Außenminister machst, wackelt das ganze GroKo-Konstrukt beim Entscheid der Parteimitglieder. Dritter Zug: Erzwungener Rücktritt vom Antritt. Schachmatt in drei Zügen. Der Hundertprozentige ist auf Null gesetzt. Das Spiel geht ohne ihn weiter.

Was soll man dazu sagen: Armer Schulz? Gewiss. Arme SPD? Auch das. Armes Deutschland? Ich fürchte, das vor allem.

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Leserpost

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Matthias Thiermann / 10.02.2018

Politisches Schach lernen mit Rainer Bonhorst. Köstlich! Ob die Schulz Eröffnung wohl Eingang in die Literatur findet?

Bernhard Weber / 10.02.2018

Schulz und Seehofer haben viele Gemeinsamkeiten; d,h. Dreh- und Wendemanöver. Warum ist Schulz weg aber Seehofer noch da ? Bernhard Weber

Sebastian Hade / 10.02.2018

Ich glaube, bei der Betrachtung darf Gabriel nicht unbeachtet bleiben. Als Vorsitzender der notleidenden SPD den abgehalfterten Brüssel-Apparatschik mit Vorliebe für große Portemonnaies zum Parteivorsitzen und Kanzlerkandidaten zu machen und ihn, den Millionär auf Steuerzahlerkosten, unter dem Werbebanner “Gerechtigkeit” durchs Land ziehen zu lasse, waren echte Glanzstücke an Hinterhältigkeit. Denn anders als der selbsthypnotisierten SPD und ihren Medien war jedem Bürger mit nur halbwegs funktionierendem Verstand klar: Da hatte sich Schulzens Karre den ersten Nagel eingefahren; der von 100 auf 0 führende Reifenplatzer war unabwendbat0f vorprogrammiert. Was für ein Schmierenstück, das das echte Leben hier schrieb! Kein Shakespeare hätte sich soetwas ausdenken können.

Wilfried Cremer / 10.02.2018

Das Jammern des Herrn Gabriel war nach innen echt und nach außen effizient. Diese Tränen haben Schulz den Rest gegeben. Ein Vorschlag zur Güte: Berlusconis Micro auf dem Schiff ist frei.

H. Schmitt-Fellgiebel / 10.02.2018

Ja, ja, der Martin. Das hatte er sich damals alles so schön ausgedacht. Aber jetzt is nix mehr mit “Ich mach’ mir die Welt widdewidde wie sie mir gefällt”. Jetzt hat er so richtig “in die Fresse” bekommen. Und zwar so, dass es “quietscht”. “Bätschi!” (Sorry für den Nahles-Sprech)

Wolfgang Lang / 10.02.2018

Eine Ansammlung von Nullen. Leider in führenden Positionen. Masters of disasters.

Rupert Drachtmann / 10.02.2018

Ich bitte Sie Herr Bonhorst, Ihre abschließenden Worte sind natürlich die beabsichtigte Einladung dazu kollektiv auf den / bzw. die am Boden liegenden nochmals kräftig einzutreten. (als Partei sind sie ja aktuell noch „mächtig“). Dann darf ich mal: Jeder der in dieser Position antritt bekomm seine Chance zu gestalten. Mit medienwirksamer Unterstützung. Dieses Privileg ist schon etwas besonderes. Er spricht, er wird gehört. Nur was spricht er denn ? Und wie handelt er denn. Auch das ist - medienwirksam - für alle wahrnehmbar. Er / sie hatten ihre Chance. Kein Mitleid ! Zeigt alles was ihr von euren Wählern und deren Interessen haltet - und tragt die Konsequenzen. Es geht aber auch anders: Grüße ins geliebte Österreich

Hubert Bauer / 10.02.2018

Er war ja schon als Bürgermeister von Würselen hoffnungslos überfordert (Spaßbad). Die Null lässt sich deshalb leicht nachvollziehen. Wer schon als Kleinstadtbürgermeister scheitert, kann doch nie ein guter Bundeskanzler werden. Unerklärlich ist für mich nur, wie er es bei der EU so weit bringen konnte und warum die eigene Partei und die Medien in Schulz jemals sowas wie einen Hoffnungsträger sehen konnten. Liegt es vielleicht daran, dass wir Alle bei der EU soviel nicht verstehen und dass Merkel die Latte so verdammt tief gehängt hat?

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